Der Schlüssel für die Zukunft der Republik Moldau

Flüchtlingsströme und die Sorge vor einer Eskalation in Transnistrien - Moldau steht mit dem Krieg in der Ukraine vor großen Herausforderungen

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Von Natalia Sergheev, Chișinău

25. März 2022

Der Krieg in der Ukraine hat das Leben in der Republik Moldau auf den Kopf gestellt. Als eines der ärmsten Länder Europas beherbergen wir die größte Zahl ukrainischer Flüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung. Mindestens 362.000 Flüchtlinge aus der Ukraine haben hier bereits Schutz gesucht. Die meisten sind auf der Durchreise und suchen in EU-Ländern Asyl. Einige bleiben jedoch und suchen nach Gelegenheitsjobs, einem neuen Zuhause und Schulen für ihre Kinder. Um ihnen zu helfen, ihr Leben wieder aufzubauen, und um ihre Unterstützung zu zeigen, organisieren die Moldauer Spendenaktionen, Konzerte und Proteste. Der traditionelle feministische Marsch am Internationalen Frauentag war dieses Jahr dem Frieden und der Solidarität mit der Ukraine gewidmet. Die immer größer werdende Welle von Flüchtlingen aus der Ukraine gibt jedoch Anlass zur Sorge, dass die Freiwilligen auf Dauer nicht in der Lage sein könnten, ihr Engagement in diesem Maße aufrechtzuerhalten.

 

Die Mehrheit der Moldauer glaubt, dass Russland der Aggressor in der Ukraine ist. Doch die Version des Kremls findet auch weiter Unterstützung.

 

Die Krise könnte die bisher größte Bewährungsprobe für die pro-europäische Regierung von Präsidentin Maia Sandu sein. Der Republik Moldau wurden EU-Hilfen in Millionenhöhe versprochen als Anerkennung für die Bemühungen der Bürger, Nichtregierungsorganisationen und lokalen Behörden zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Experten befürchten jedoch, dass dies nicht ausreicht, um den Druck auf die wirtschaftlichen und sozialen Sicherungssysteme des Landes, die bereits von der Pandemie betroffen waren, zu mildern. Die Mehrheit der Moldauer glaubt, dass Russland der Aggressor in der Ukraine ist – trotz der Bemühungen der Pro-Putin-Propagandamaschine, die in den lokalen Medien immer noch aktiv ist. Pro-russische Politiker in der Republik Moldau schweigen derzeit oder beschreiben die Ereignisse in der Ukraine nur sehr vage. Es gibt jedoch nach wie vor starke Anzeichen dafür, dass die Version des Kremls weiter Unterstützung findet. Medienexperten haben etwa auf die Zunahme von Anti-Flüchtlings-Kampagnen in den sozialen Medien hingewiesen. Sie stellen die Flüchtlinge als unhöflich, undankbar und opportunistisch dar. In der Hauptstadt Chișinău sind jüngst auch Graffiti mit den Buchstaben „Z” und „V” aufgetaucht, den neuen Pro-Kriegs-Symbolen. 

 

Es wächst die Sorge, dass die russischen Streitkräfte einen Landkorridor von Odesa nach Transnistrien eröffnen wollen.

 

Neben der Ukraine haben auch die Republik Moldau und Georgien einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft unterzeichnet. Diese Entscheidung hat einen weiteren Keil in die Beziehungen zwischen Chișinău und Tiraspol, der Hauptstadt der separatistischen Region Transnistrien, getrieben. Transnistrien, ein Gebietsstreifen zwischen Moldau und der Ukraine, fordert die Anerkennung seiner Unabhängigkeit, und es gibt dort bereits eine russische Militärpräsenz. Damit wächst die Befürchtung, dass der seit dreißig Jahren „eingefrorene” Konflikt nun in eine neue Phase eintreten könnte.

Kürzlich hat der Europarat in einem beispiellosen Akt der Unterstützung die abtrünnige Region als „besetztes Gebiet” bezeichnet, im Gegensatz zu einem Gebiet „unter Kontrolle der Russischen Föderation”. Dies hat Kritik in der prorussischen Opposition in Moldau hervorgerufen. Transnistrien war lange isoliert. Doch jetzt richten die Moldauer ihre Augen auf Odessa, die ukrainische Stadt hundert Kilometer südöstlich von Tiraspol, in der viele Moldauer zum ersten Mal das Meer sahen. Es wächst die Sorge, dass die russischen Streitkräfte einen Landkorridor von Odessa nach Transnistrien eröffnen wollen. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, dann liegt der Schlüssel für die Zukunft der Republik Moldau nun tatsächlich im ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion.

 


Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit dem CrossCulture Programm des ifa


Natalia Sergheev ist eine Journalistin in Chișinău, Moldau. Sie arbeitet für Radio Free Europe / Radio Liberty. Ihre Arbeiten wurden auch bei VICE, Current Time TV und Ostpol veröffentlicht. Ihr Schwerpunkt liegt auf Menschenrechtsfragen in Osteuropa.


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