Rumänien steht der Ukraine ambivalent gegenüber. In der Abwehr gegen Russland jedoch sind sich Bevölkerung und Politik einig. Ein Gespräch mit der Politikwissenschaftlerin Alina Mungiu-Pippidi
„Rumänien ist nach der russischen Invasion auf EU- und NATO-Ebene sehr schnell aktiv geworden, um der Ukraine zu helfen. Rumänien hat einen General als Premierminister, viele Medien werden de facto vom Geheimdienst oder der Armee gesponsert. Es geht hauptsächlich um Kriegspropaganda. Alles, was die USA tun, ist gut. Deutschland dagegen ist der große Beschwichtiger, der für Putin verantwortlich gemacht wird, und so weiter. In allen TV-Talkshows wimmelt es von Generälen, die den Krieg wie ein Fußballspiel kommentieren. Alle sind zuversichtlich, alle Vorbehalte gegenüber dem Krieg werden als russische Propaganda abgetan. Nur die Bevölkerung scheint mehr Angst vor dem Krieg zu haben als die Regierung.“
Alina Mungiu-Pippidi ist Professor of Democracy Studies an der Hertie School in Berlin.
Die ukrainische Aktivistin Diana Berg musste 2014 Donezk verlassen und lebte seither in Mariupol. Dort baute sie die Kunstplattform Tju auf – bis sie im März zum zweiten Mal ihre Heimat verlor. Von Diana Berg
Berlin/Lwiw
„Im Krieg werden alle Pläne über den Haufen geworfen. Ich arbeite derzeit mit meinem Team daran, mehrere Nothilfemaßnahmen einzurichten. Das ist keine bezahlte Arbeit oder ein normales Projekt. Im Moment geht es darum, sich gegenseitig zu helfen, es geht um Mobilisierung und Nothilfe.
Wenn diese Phase vorbei ist, müssen wir darüber nachdenken, wie wir ein Kunstarchiv für Mariupol aufbauen können. Die Stadt ist seit langem das Symbol des ukrainischen Widerstands. In den Jahren 2014 und 2015 wurde sie kurzzeitig besetzt und später befreit. Jetzt sehen wir, dass Russland auf Rache aus ist. Sie wollen die Stadt auslöschen. Wenn das ganze Chaos vorbei ist, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir eine Gedenkstätte errichten, denn es war eine totale Zerstörung.
Aber im Moment ist es sehr schwierig, für die Zukunft zu planen. Wir müssen erst einmal all diesen Schmerz verarbeiten. Wir haben die Stadt nicht mehr, und wir haben nichts mehr von dem, was in der Stadt war. Ich habe mein Zuhause nun schon zum zweiten Mal verloren, und es ist jetzt noch viel schmerzhafter als beim ersten Mal. Alles, was wir in den letzten Jahren gemacht haben, alles, was wir geschaffen haben, die ganze Stadt, das Meer, alles drum herum ist schwarz. Ich ertappe mich immer noch bei dem Gedanken: Vielleicht werde ich zurückkommen! Aber ich weiß, es ist nicht möglich.“
Die Aktivistin Diana Berg lebte in Mariupol, wo sie die Kulturplattform "Tju" aufgebaut hat. Seit März arbeitet sie mit ihrem Team an verschiedenen Notmaßnahmen.
Flüchtlingsströme und Sorge vor einer Eskalation in Transnistrien: die Republik Moldau steht mit dem Krieg in der Ukraine vor großen Herausforderungen. Von Natalia Sergheev
Chișinău: Der Krieg in der Ukraine hat das Leben in der Republik Moldau auf den Kopf gestellt. Als eines der ärmsten Länder Europas beherbergen wir die größte Zahl ukrainischer Flüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung. Mindestens 362.000 Flüchtlinge aus der Ukraine haben hier bereits Schutz gesucht. Die meisten sind auf der Durchreise und suchen in EU-Ländern Asyl. Einige bleiben jedoch und suchen nach Gelegenheitsjobs, einem neuen Zuhause und Schulen für ihre Kinder. Um ihnen zu helfen, ihr Leben wieder aufzubauen, und um ihre Unterstützung zu zeigen, organisieren die Moldauer Spendenaktionen, Konzerte und Proteste. Der traditionelle feministische Marsch am Internationalen Frauentag war dieses Jahr dem Frieden und der Solidarität mit der Ukraine gewidmet. Die immer größer werdende Welle von Flüchtlingen aus der Ukraine gibt jedoch Anlass zur Sorge, dass die Freiwilligen auf Dauer nicht in der Lage sein könnten, ihr Engagement in diesem Maße aufrechtzuerhalten.
Natalia Sergheev ist Journalistin in Chișinău, Moldau. Sie arbeitet unter anderem für Radio Free Europe, ihr Schwerpunkt liegt auf Menschenrechtsfragen in Osteuropa.
Die ukrainische Aktivistin Anna Gvozdiar im Gespräch, Region Winnyzja
Frau Gvozdiar, vor einem Monat hat der Krieg angefangen. Wie hat sich seither Ihr Leben verändert?
Ich habe meine Wohnung in Kyiw verlassen und halte mich bei meinen Eltern in einer kleinen Stadt nahe Winnyzja (etwa 300 km südwestlich von Kyiw) auf. Aber ich fahre sehr regelmäßig nach Kyiw, um der Armee zu helfen. Für mich gibt es schon seit acht Jahren Krieg. Seit die Krim annektiert und der Donbass besetzt wurde, habe ich kein Gefühl der Sicherheit mehr. 2014 bin ich in die östlichen Gebiete gefahren und arbeitete eine Zeit lang als Beraterin des Gouverneurs in Luhansk. Damals habe ich auch angefangen, neben meinem Beruf als Freiwillige die ukrainische Armee zu unterstützen. Ich begriff, dass wir bei diesem Feind mit allem rechnen müssen. Auch, dass eventuell chemische oder gar nukleare Waffen gegen uns eingesetzt werden. Deswegen war der Beginn der Invasion überhaupt keine Überraschung für mich.
Anna Gvozdiar, 31 Jahre alt, hat bis zu Beginn des Krieges in einer Kommunikationsagentur gearbeitet. 2014 nahm sie an der Maidan-Revolution teil und unterstützt seither als Freiwillige die ukrainische Armee.
Der ungarische Soziologe Győri Lóránt im Gespräch, Budapest
Herr Lóránt, Sie sind in Budapest. Wie wurde der russische Einmarsch in die Ukraine in Ungarn aufgenommen?
Alle waren sehr überrascht. Offensichtlich waren auch die Regierung und Ministerpräsident Viktor Orbán selbst laut durchgesickerter Informationen gar nicht darauf vorbereitet. Viktor Orbán hatte Putin kurz zuvor am 1. Februar für vier Stunden in Moskau getroffen – ein Besuch, der nicht anders verlief als die vielen Treffen beider Staatsmänner in den letzten Jahren. Während der Pressekonferenz kritisierte Wladimir Putin Washington und die NATO erneut scharf und Viktor Orbán widersprach nicht. Dennoch versuchte die ungarische Regierung, diese Reise als Friedensmission darzustellen. Dann wurde es wirklich merkwürdig, als Viktor Orbán nach dem 24. Februar erklärte, dass Ungarn ein zu kleines Land sei, um in einer Friedensmission involviert zu sein. Es sei im nationalen Interesse, in diesem Konflikt eine neutrale Position einzunehmen. Das war eine mehr als lächerliche Geschichte.
Der Soziologe Győri Lóránt ist Experte für Geopolitik in Budapest. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Geopolitik und Medien, besonders in Bezug auf den aktuellen russischen Einfluss in Europa.
Der ukrainische Historiker Anatolii Podolskyi im Gespräch, Kyiw
Herr Podolskyi, wie erklären Sie sich als Historiker, dass Putin Begriffe wie „Genozid” und „Neonaziregierung” verwendet, um diese Agression zu rechtfertigen? Sehen Sie Parallelen zum Zweiten Weltkrieg?
Die Analogie mit dem Zweiten Weltkrieg ist völlig berechtigt. Putins Regime ist eine Diktatur. Er zerstört nicht nur militärische Infrastrukturen, sondern er zerstört Wohnviertel und tötet Zivilisten, Familien und Kinder. So wie Hitler die Juden hasste, hasst Putin die Ukrainer als ethnische Gruppe. Er hasst unsere Kultur und unsere Sprache, weil wir frei sein wollen. Er denkt, dass wir die Sowjetunion vermissen, und leugnet die Tatsache, dass die Ukraine ein multikulturelles Land ist: Russen, Polen, Ukrainer, Juden, Armenier und Aserbaidschaner leben in diesem Land mit der ukrainischen Staatsbürgerschaft. Und wie Stalin verbietet Wladimir Putin in Russland jegliche Forschung über den Holodomor. Diese Hungersnot wurde durch die sowjetische Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in den Jahren 1932 und 1933 verursacht und forderte insbesondere in der Ukraine Millionen von Toten.
Anatolii Podolskyi ist Historiker. Er wurde in Kyiw geboren und leitet das Ukrainische Zentrum für Holocaust-Studien.
Der Soziologe Mischa Gabowitsch über die Radikalisierungsdynamik in der Putin-Regierung
Herr Gabowitsch, was will Wladimir Putin mit dem Angriff auf die Ukraine erreichen? Lässt sich dieser Schritt überhaupt geopolitisch erklären oder nur durch eine historisch-ideologische Brille?
Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass hinter jedem Schritt Putins ein rationales Kalkül steht. Sicher fühlt er sich durch seine militärischen Erfolge in Georgien, Syrien, auf der Krim und im Südosten der Ukraine beflügelt. Außerdem gibt es eine außen- und vor allem innenpolitische Radikalisierungsdynamik: Zum Erhalt seines Systems muss er immer aggressiver werden. Nicht weniger wichtig ist aber aus meiner Sicht, dass er von verängstigten Jasagern umgeben ist und offensichtlich kein Gefühl mehr für mögliche Konsequenzen hat. Und er handelt ganz klar aus Ressentiment heraus.
Mischa Gabowitsch, geboren 1977 in Moskau, ist Soziologe und Zeithistoriker. Er promovierte an der École des hautes études en sciences sociales in Paris und lehrte an der Princeton University, derzeit ist er am Einstein Forum in Potsdam tätig.