Comeback der philippinischen Dynastien

Ferdinand Marcos, Sohn des gleichnamigen Ex-Diktators, wird als Präsident der Philippinen eingeschworen. Geholfen hat ihm eine Desinformations-Kampagne – und ein System politischer Dynastien

Von Nicole Curato

Juni 2022

Ferdinand „Bongbong“ Marcos ist seit 30. Juni 2022 der 17. Präsident der Republik der Philippinen. Der Sohn des verstorbenen Diktators gleichen Namens gewann die Wahlen vom 9. Mai mit einem Erdrutschsieg. Sara Duterte, die Tochter des letzten Präsidenten und Hardliners Rodrigo Duterte, legte bereits eine Woche zuvor ihren Amtseid als Marcos’ Vizepräsidentin ab.

Der deutliche Wahltriumph der beiden Kinder vormaliger Potentaten hat viele Kommentatorinnen und Kommentatoren verblüfft. Noch im Jahr 1986 bewiesen die Philippinen der Welt, dass ein friedlicher Aufstand einen Diktator und sein Regime stürzen kann. 36 Jahre später zeigt sich nun, dass dasselbe Volk die Familie desselben Diktators ganz legal auch wieder an die Macht bringen kann.

Aus diesem historischen Zusammenhang lassen sich Lehren ziehen. So sehen einige Experten die Vorgänge auf den Philippinen als eine vielleicht letzte Warnung davor, wie sehr die Macht von „Big Tech“ zunehmend über den Ausgang von Wahlen entscheidet. Untersuchungsberichte und wissenschaftliche Studien haben die Flut von Desinformation und Propaganda dokumentiert, die den Namen Marcos in den Augen vieler Philippinerinnen und Philippiner rehabilitiert hat. Auf YouTube etwa fanden absurde Theorien darüber Verbreitung, woher der Reichtum der Marcos angeblich rühre. Sie seien reich, so hieß es, weil Marcos Senior Goldbarren als Bezahlung für seine Tätigkeit als Jurist erhalten habe, oder weil er Gold gefunden habe, das die japanischen Streitkräfte erbeutet und gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf den Philippinen in Verstecken zurückgelassen hätten.

Das mag harmlos, wenn nicht gar amüsant klingen, hat aber erhebliche Zweifel darüber aufkommen lassen, wie glaubwürdig entsprechende Erklärungen aus dem Lager der Marcos-Familie sind. Gerichte in der Schweiz und auf den Philippinen haben festgestellt, dass die Familie über ein immenses unrechtmäßig erworbenes Vermögen verfügt.

 

Desinformation für die Digital Natives

Auf TikTok wiederum luden Influencer alte Fotos der Marcos hoch, um Landsleute, die für Sentimentalität empfänglich sind, zu rühren und an ihren vermeintlichen Nationalstolz zu appellieren: von der glamourösen First Lady Imelda Marcos neben US-Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus; dem jungen „Bongbong“ Marcos in der ersten Reihe seiner Erstsemesterklasse in St. Edmund’s Hall, seinem College in Oxford; von Ex-Diktator Ferdinand Marcos, wie er eine leidenschaftliche Rede vor einer begeisterten Menge hält. So wurde das Image einer respektablen Familie geschaffen, die eine globale Öffentlichkeit erstmals überhaupt auf die Philippinen aufmerksam machte und für so etwas wie ein Gefühl von „Größe“ und Bedeutsamkeit des Landes sorgte.

In diesem Narrativ werden jene Tausende ausgeblendet, die während der Diktatur von Marcos senior getötet, gefoltert und entführt wurden. Vergessen wird auch die damalige schwere ökonomische Krise, ausgelöst durch Vetternwirtschaft und extreme Verschuldung. Fragt man die Marcos und ihre Verbündeten nach entsprechenden Vorwürfen, so tun sie das Ganze als reine Schlammschlacht ab. Sie inszenieren sich als Opfer, denen Unrecht getan wurde, von der Elite und den Oligarchen, und das, obwohl sie ja selbst dazugehören.

Dieses einseitige Storytelling war anscheinend so attraktiv, dass Marcos junior die Präsidentschaft mit großem Vorsprung gewann. Umfragen zeigen, dass er bei den jüngsten Wählern, den Digital Natives, die mit den sozialen Medien als Hauptinformationsquelle aufgewachsen sind, am beliebtesten war. Einige Historiker fordern nun, die Lehrpläne für den Schulunterricht in Bezug auf die Zeitgeschichte zu stärken, um die Gräueltaten der Vergangenheit ins Bewusstsein einer Generation zu bringen, die damals noch gar nicht geboren war. Dass Marcos seine Vizepräsidentin Duterte auch zur Bildungsministerin ernannt hat, wird diesem Ansinnen sicher nicht hilfreich sein.


„Die politischen Eliten schlossen ihre Reihen und weigerten sich, ein Gesetz zu verabschieden, das quasimonarchische politische Dynastien verhindern sollte.“

 


Doch auch wenn es wichtig ist anzuerkennen, welch große Rolle die erwähnten orchestrierten Falschinformationen für den Wahltriumph von Marcos gespielt haben, wäre es irreführend zu glauben, dass dies der einzig relevante Faktor war. Marcos junior ist nicht nur Nutznießer einer verzerrten Darstellung vergangener Zeiten, sondern auch ganz konkret alter politischer Muster und Traditionen, die noch die Gegenwart prägen.

Nachdem man Ferdinand Marcos senior 1986 gestürzt hatte, bestand die Möglichkeit einer echten Umgestaltung der Philippinen zur Demokratie. Die Verfassung von 1987 sah vor, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, Frauen sowie Angehörige marginalisierter Minderheiten wie Indigene und Menschen mit Behinderungen in erheblichem Maße im Kongress vertreten sein sollten. Aber diese Hoffnung verflüchtigte sich, als die Eliten ihre Reihen schlossen und sich weigerten, ein Gesetz zu verabschieden, das quasimonarchische politische Dynastien verhindern sollte. Nach dem Sturz der Diktatur kam es daher zur Restauration einer alten Funktionselite – ein System entstand, das zwar formal demokratisch war, in dem de facto aber eine kleine Anzahl von Familien um die Macht stritten.

 

Dynastische Cluster in der philippinischen Politik

Will man wissen, wer auf den Philippinen wann das Sagen hatte, muss man schauen, welche Familie zu einer gegebenen Zeit an der Macht war, nicht welche Partei. Im Jahr 2019 wurden achtzig Prozent der wichtigen politischen Ämter von sogenannten „fat dynasties“ („fetten Dynastien“) kontrolliert. So heißen in der Politikwissenschaft dynastische Cluster, in denen zum Beispiel die Ehefrau, die Kinder oder die Eltern eines Gouverneurs, der eine der Provinzen regiert, gleichzeitig wichtige Ämter wie das des Vizegouverneurs, Bürgermeisters, Landrats oder Bezirksvertreters besetzen. Auch die Präsidentschaft selbst ist ein Amt, das von dynastischer Herrschaft dominiert ist. Über einen Zeitraum von sechzig Jahren hatten im Wesentlichen drei Familien das Amt inne: Diosdado Macapagal (1961–1965) und seine Tochter Gloria (2001–2010), Corazon Aquino (1986–1992) und ihr Sohn Benigno (2010–2016) sowie Ferdinand Marcos senior (1965–1986) und nun, ab 2022, sein Sohn „Bongbong“. 

Das Marcos-Duterte-Tandem ist nun das Paradebeispiel für den Zusammenschluss politischer Dynastien. Umfragen zeigen, wie sie gemeinsam die Stimmen aus dem Norden, wo die Marcos herkommen, und dem Süden, wo die Dutertes jahrzehntelang regierten, gesammelt haben. So gesehen entspricht die Präsidentschaft von Marcos junior einem politischen Muster, von dem immer schon eine Handvoll philippinischer Familien profitierte. 

Es bleibt abzuwarten, was die Marcos-Duterte-Allianz mit ihrer neuen Macht anstellen wird. Menschenrechtsgruppen befürchten, dass die Regierung die historische Aufarbeitung der Geschehnisse, seien es die Gräueltaten während der Marcos-Diktatur oder die brutale Polizeigewalt im Rahmen des Antidrogenkriegs von Rodrigo Duterte, unterbinden wird. Aktivistinnen und Aktivisten beklagen schon jetzt das zunehmend repressive Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen und Protestaktionen; Journalistinnen und Journalisten verweisen auf die Schikanen durch Trolle, die eine kritische Berichterstattung über die neue Regierung erschweren.

All das gibt Anlass zur Sorge um die politische Zukunft der Philippinen. Werden die nächsten sechs Jahre – die Amtszeit des Präsidenten – den Aufstieg politischer Bewegungen bringen, die stark genug sind, um der dynastischen Herrschaft ein Ende zu setzen? Oder muss sich die Bevölkerung der Philippinen auf einen weiteren Nachfolger aus einer bekannten politischen Familie gefasst machen?


 

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