Juni 2022
Herr Wilhelms, sie haben fast drei Jahre lang in der Antarktis und auf Grönland mit verschiedenen Teams Eiskernbohrungen unternommen. Das ist mühsame Kleinstarbeit, die oftmals Jahre dauert und auch nur in den Sommermonaten möglich ist…
Nur die Sowjets und später die Japaner haben auch im Winter gebohrt.
Aber auch die Japaner sind schließlich „weich“ geworden, heißt es. Selbst ihnen wurde es irgendwann zu kalt im antarktischen Winter.
Genau (lacht). Die junge Generation hält auch in Japan weniger aus.
Manche der Kernproben, die Sie untersucht haben, kamen aus über 3200 Meter Tiefe. Was erfährt man in der anschließenden Analyse?
Das meiste Eis ist auf den ersten Blick transparent. Man sieht nicht direkt, was drin steckt. Nur in Ausnahmefällen bilden sich sichtbare Aschelagen, etwa von Vulkanausbrüchen. Grundsätzlich kann man aber alles im Eis nachweisen, was sich darin durch Niederschlag abgelagert hat.
Wonach suchen Sie?
Wir finden im Eis jahrhunderttausendealte Luftbläschen, in denen natürliche Treibhausgase wie CO2 messbar sind. Außerdem erkennt man Sauer- oder Wasserstoff mit verschiedener Masse. Letztlich gibt mir die Mischung im Eis Auskunft über die Herkunft des Wassers wie auch über die jeweilige Niederschlagstemperatur. Im besten Falle gelingt es sogar, etwas über einzelne Jahreszeiten zu sagen. Mithilfe des Eises lässt sich eine historische Abfolge von kälteren und wärmeren Phasen bestimmen. Wenn die Auflösung hoch genug ist, prägen die Schwankungen sich zu so etwas wie Jahresringen aus.
Es soll nachweisbar sein, ob Staubpartikel von der Erde oder aus dem Weltall stammen. Wie geht das?
Etwa über erhöhte Werte des Elements Iridium. Auch gibt es Gebiete in der Antarktis, an denen das Eis nicht von einer Schneeschicht bedeckt ist, sondern aufwärts driftet und geradezu blau schimmert – das sogenannte Blaueis. Durch diese Drift können Teile von Meteoriten zu Tage gefördert werden. Manche Kollegen begeben sich extra dort hin, um extraterrestrisches Material einzusammeln.
„Wir konnten politische Umstürze mit extremen Umweltbedingungen in Zusammenhang bringen. “
Über die Analyse des Eises lassen sich angeblich sogar Rückschlüsse auf epochale Entwicklungen und Veränderungen in der Menschheitsgeschichte ziehen. So kann man mit Blick auf die Schwermetalle im Grönländischen Eisschild, die durch Luftströmungen über extrem lange Zeiträume nach Norden transportiert wurden, eine Wirtschaftskrise im antiken Rom datieren – da sich für diesen Zeitraum ein abnehmender Silbergehalt in Münzen berechnen lässt.
Ja, das ist so. Das Eis zeichnet alles auf, was in die Luft gelangt. So kann man die Konzentration von Schwermetallen wie Blei in verschiedenen Eisschichten nachweisen. Ich habe bei einer Publikation mitgearbeitet, in der es um Dürreperioden im alten Ägypten ging. Wir konnten politische Umstürze mit extremen Umweltbedingungen in Zusammenhang bringen.
Was ist die wichtigste Entdeckung, an der Sie direkt beteiligt waren?
Sicher die Forschung im Rahmen der DOME-C-Zeitreihe in der Ostantarktis, bei der man 800.000 Jahre Klimageschichte rekonstruieren konnte. In all dieser Zeit lag die atmosphärische Konzentration von CO2 stets zwischen dem Messwert 180 und 280 ppm, also „parts per million“. Die Temperaturen haben sich dazu wunderbar synchron entwickelt: je höher der CO2-Wert, desto höher auch die Durchschnittstemperatur. Schaut man nun auf die letzten zweihundert Jahre, dann ist die CO2-Belastung rapide gestiegen – auf mittlerweile über 400 ppm, ein nie zuvor erreichter Wert.
Was erfährt man dadurch?
Wir wissen, dass unser Klima von äußeren Einflüssen geprägt wird, vor allem von der Sonneneinstrahlung, die über die Jahrtausende schwach, aber zyklisch variiert. Also braucht es einen Trigger oder Verstärkungsfaktor, der etwa Steigerungen erklärt.
Der Verstärkungsfaktor ist der Mensch?
Ich stelle mir das eher wie bei einer Rückkopplung zwischen Mikrofonen und Lautsprechern vor. Wenn diese zu massiv werden, überschreite ich irgendwann das, was man im Klimasystem einen Tipping-Point nennt. Das System gerät aus den Fugen. Dass man dieses Risiko bewusst in Kauf nimmt, war mir schon immer schleierhaft. Manche wollten beweisen, dass der CO2-Ausstoß keinen Schaden anrichte, was natürlich nicht gelang. Das Klima erwärmt sich nachweislich, das sollte als Motivation für einen Paradigmenwechsel reichen. Spätestens seit den Siebzigern und dem Club of Rome war klar, dass wir ein Problem haben: Es gibt einen Treibhauseffekt, wir müssen weniger CO2 in die Atmosphäre pusten.
Wo sehen Sie die Bedeutung ihrer Arbeit in diesem Kontext?
Ich denke, die Eiskernforschung und Erstellung historischer Klimamodelle haben dazu beigetragen, Menschen für die großen Transformationskräfte unseres Planeten zu sensibilisieren. Unser Klima war nie stabil, wärmere wurden stets von kälteren Phasen abgelöst. Klimawandel ist per se weder gut noch schlecht. Umso wichtiger ist es zu verstehen, dass sich das alles über viele hunderttausend Jahre immer in einem gewissen Rahmen abgespielt hat. Erst ganz zuletzt sahen wir einen starken Anstieg des CO2-Niveaus. Das wird Folgen haben, vor allem für den globalen Süden.
Das Gespräch führte Ruben Donsbach. Unser neues Heft zum Thema „Wasser“ erscheint am 1. Juli 2022.