Meow Tours
Langsam und zögerlich nähert sich die schwarze Katze dem Trockenfutter, das vor ihr auf dem Gehweg liegt. Ihr dünner Körper ist dicht an den staubigen Boden gedrückt, ihr Blick springt nervös auf und ab, zwischen dem Futter vor ihr und dem Menschen, der es dort hingestreut hat.
Es ist ein sonniger Tag in Kairo. Die Katze ist eine Straßenkatze, und der Mensch, der sie gerade füttert, nimmt an einer sogenannten „Meow Tour“ teil. Seit 2019 macht der ägyptische Fotograf Mostafa Abdel Aty diese kostenlosen Führungen durch verschiedene Viertel von Kairo. Ägypter wie ausländische Touristen folgen ihm durch die Metropole, auf der Suche nach Straßentieren, die Hunger haben. Das Ziel ist jedoch nicht nur, die Tiere kurzfristig zu füttern. Abdel Aty möchte vor allem zeigen, dass diese Tiere nicht – wie viele Ägypterinnen und Ägypter glauben – gefährlich sind. Dass sie nicht vergiftet oder misshandelt werden dürfen. Und dass sie treue Kameraden im mitunter trostlosen Großstadtleben sein können.
„Die meisten Leute hier wissen gar nichts über Tiere. Sie sehen sie vor allem als Bedrohung“
Mostafa Abdel Aty ist 36 Jahre alt, hat üppige Locken und trägt eine Brille mit dicken rosafarbenen Gläsern. Er lacht viel und scherzt gerne. Aber das war nicht immer so. Die Idee für Meow Tours kam ihm 2015, in einer Phase tiefer Depression. Er besuchte damals regelmäßig Tierheime und kümmerte sich dort um die Tiere. Das half ihm. „Ich stellte fest, dass Tiere meine Stimmung aufhellen konnten. Sie kamen auf mich zu, als wüssten sie, dass ich traurig war, und wollten mich trösten.“
Er erfuhr, dass sie auf der Straße oder von ihrem vorherigen Besitzer misshandelt worden waren. „Die meisten Leute hier wissen gar nichts über Tiere. Sie sehen sie vor allem als Bedrohung. Wenn ein Hund bellt, weil er spielen will, halten sie ihn für tollwütig. Wenn eine Katze sich ihnen nähert, denken sie, dass sie sie kratzen will. Es herrscht ein riesiges Missverständnis zwischen den beiden Seiten.“
Abdel Aty beschloss, etwas zu unternehmen, um zu einem anderen, bewussteren Umgang mit Straßentieren in Ägypten beizutragen und die Beziehung zwischen ihnen und den menschlichen Bewohnern der Stadt zu verbessern. Mittlerweile hat er mehr als hundert Touren veranstaltet. Die 134. dieser Touren führt durch Attaba, eine historische Nachbarschaft im Nordwesten Kairos, die bekannt für ihre belebten Straßenmärkte ist.
Zwischen der lauten Kreuzung vor dem Bahnhof und den ruhigeren Straßen eines Wohnviertels startet an diesem Apriltag die Meow Tour. Mostafa Abdel Aty erklärt den zwölf Teilnehmenden die Regeln: Sie sollen sich den Tieren nicht zu abrupt oder in großen Gruppen nähern, sondern langsam auf sie zugehen oder warten, bis sie von selbst zu ihnen kommen. „Denkt daran, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ Ganz besonders wichtig sei es, kein Essen direkt vor eine Haustür oder einen Laden zu legen. Das könnte Anwohner stören. Deren Reaktionen seien nicht immer positiv, warnt Abdel Aty. Manche befürchten, dass sich die Straßentiere in ihrem Viertel durch das Füttern vermehrten, und beschweren sich deshalb. „Falls das passiert, seid höflich und geht weiter.“
Nach dieser Ansage sind einige Teilnehmende noch etwas unsicher. Doch nachdem die erste Katze auf dem Gehweg gefüttert und der erste Hund unter einem Auto hervorgelockt ist, entspannt sich die Gruppe. Manche der Teilnehmenden legen das Futter auf der Straße ab und sehen den Tieren aus der Ferne beim Fressen zu, andere scheinen keinerlei Berührungsängste zu haben und fangen direkt an zu kuscheln.
Es dauert nicht lange, bis ein paar Anwohner mit der Gruppe ins Gespräch kommen. Bis auf vereinzelte Kritik sind die Reaktionen positiver als erwartet. Drei Jungs fragen, ob sie etwas Futter für die Hunde in ihrer Nachbarschaft haben können. Eine alte Frau, die auf einem Plastikstuhl am Straßenrand sitzt, bittet um eine Handvoll Katzenfutter. Sie hat die Tiere vor ihrem Laden bereits gefüttert, aber will sichergehen, dass sie genug bekommen. Von einem Balkon ruft eine Frau herunter, dass die Welpen in ihrer Gasse auch hungrig sind.
Abdel Aty ist überzeugt: Wer gut zu Tieren ist, ist auch gut zu Menschen
Je mehr in der Nachbarschaft los ist, desto mehr Menschen möchten wissen, was es mit der Meow Tour auf sich hat. Sie sind es nicht gewohnt, dass Fremde durch ihre Viertel ziehen. In einer Sackgasse stößt die Gruppe auf einen Haufen sandfarbener Welpen. Die Teilnehmenden fotografieren sie, spielen mit ihnen oder sehen zu, wie sie von ihrer Mutter gesäugt werden. Plötzlich ist eine panische Stimme zu hören: „Das sind meine Babys, was macht ihr mit ihnen?“, schreit eine Frau in einer leuchtend orangen Gallabiya und einem hellen Kopftuch. Erst als sie sicher ist, dass niemand die Hunde vergiften will, beruhigt sie sich. Sie stellt sich als Rahma vor, und ihre dunklen Augen strahlen, als sie erzählt, wie sehr sie ihre Straßentiere liebt. Dutzende von Katzen tummelten sich in ihrer Wohnung, sagt sie, und die Hunde füttere sie jeden Morgen. „Ich will einfach, dass sie etwas Liebe und Zärtlichkeit erfahren.“
Während Mostafa Abdel Aty und die Gruppe sich mit Rahma unterhalten, kommen weitere Nachbarn dazu. Sie wirken stolz, als sie davon erzählen, wie sie sich um die Tiere in der Gegend kümmern. Ein Anwohner inspiziert das Futter, das die Gruppe dabeihat. Ein Teilnehmer der Tour zeigt einem schüchternen Mädchen aus dem Viertel, wie sie dem freundlichen Hund etwas zu fressen geben kann, der sich dazugesellt hat. Bald sind jede Furcht und Distanz überwunden – zwischen Menschen und Tieren ebenso wie zwischen Menschen und Menschen.
Diese Tour durch Attaba sei eine seiner liebsten gewesen, erzählt Mostafa einige Monate später bei einem Telefonat. Die Gegend sei das perfekte Beispiel dafür, wie Menschen und Tiere zusammenleben und einander akzeptieren können. Selbst die Leute, die keine Tiere mochten, hätten die Gruppe nicht gestört: Sie haben Nachbarn, die die Tiere füttern, und sie respektieren diese Nachbarn. Abdel Aty ist überzeugt: Wer gut zu Tieren ist, ist auch gut zu Menschen.