Die Hoffnung bleibt
Als ich im Juni dieses Jahres über den „Zwölf-Tage-Krieg“ zwischen Iran und Israel berichtete, trat ich immer wieder an das Fenster meiner Berliner Wohnung. Wenn ich auf die Straße hinabblickte, zerfielen in meinem Inneren die Mauern der Diktatur des Mullah-Regimes. Die deutsche Hauptstadt, in der ich Schutz gefunden habe, war einst verwüstet worden – im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten bombardiert, in Schutt und Asche gelegt. Aber Berlin hat sich wieder erhoben und ist mittlerweile zu einem Vorbild in Sachen Demokratie geworden. Vielleicht erwartet Teheran eines Tages ein ähnliches Schicksal.
Während des Krieges mit Israel hatten viele Iraner ziemlich widersprüchliche Gefühle. Zwölf Tage lang verspürten viele eine Art Erleichterung, sogar Freude darüber, dass die Fundamente eines Regimes ins Wanken gerieten, das ihr Heimatland schon so lange in Geiselhaft hält. Innerhalb weniger Tage wurden mehrere hochrangige Kommandeure der Revolutionsgarde, berüchtigt für ihre Brutalität und Korrumpierung, getötet; die Israelis zerstörten Teile der Luftabwehr und Nuklearanlagen. „Man kann Freude über die Niederlage des Diktators empfinden und zugleich um die Heimat weinen“, sagte mir Ehsan Niyazmand, ein 34-jähriger Journalist, der während der Bombardierungen in Teheran geblieben war. „Teheran brennt dieser Tage nicht nur in Feuer und Rauch, es brennt in Liebe. Liebe zu dem Tag, an dem Iran sich unter der Last der Ideologie erhebt … Wir werden das Morgen aufbauen – ein Morgen ohne Diktator.“ Als der Waffenstillstand in Kraft trat und die Sirenen verstummten, waren die Gefühle der Iraner durch ein dissonantes Gemisch aus Freude und Unglauben geprägt, aus Hoffnung und Angst. Am ersten Kriegstag hatte mir Sara, eine 41-jährige Iranerin, mit der ich in Kontakt stehe, geschrieben: »Ich habe mich gefreut über den Tod jener, die das Volk seit Jahren unterdrücken, aber ich kann meine Angst vor dem, was kommt, nicht leugnen.« Kurz danach schickte sie mir eine WhatsApp-Nachricht: „Wenn nicht einmal ein solcher Militärschlag die Islamische Republik aus den Angeln heben konnte – was soll uns dann noch retten?“
Der Krieg hat ein seltsames Theater widersprüchlicher Gefühle unter den Iranern offenbart
Jahre wirtschaftlicher Stagnation, hoher Inflation, Korruption und brutaler Unterdrückung haben viele zu der Überzeugung kommen lassen: Nur wenn die Führer der Islamischen Republik gestürzt werden, lässt sich auch Irans Krankheit heilen. Jahrzehntelang hofften die Menschen auf Reformen, nahmen mit vorsichtigem Optimismus an Wahlen teil. Doch all diese Hoffnungen erwiesen sich als Illusion. Friedlicher Protest wurde unterdrückt. Unabhängige Medien wurden geschlossen, Journalisten ins Exil gezwungen. Die Wirtschaft rutschte weiter in den Abgrund.
Aus dieser Erfahrung heraus reifte eine bittere Erkenntnis: Ein Regimewechsel wird nicht allein durch friedlichen Protest erreicht. In einem Land, dessen Repressionsapparat jeden Widerspruch mit Hinrichtungen, Verhaftungen und Folter zerschlägt, sind viele zu dem Schluss gekommen, dass selbst ein Krieg ein geringeres Übel als der Status quo der Islamischen Republik wäre.
Doch die Kehrseite derart verzweifelter Hoffnung sind Angst und Trauer. Viele Bürger beklagen die Auswirkungen des Krieges auf ihr tägliches Leben.
Das Regime, das jahrzehntelang versuchte, Irans vorislamisches Erbe auszulöschen und durch islamistisch geprägte Erzählungen zu ersetzen, hat in seiner Rhetorik im Krieg plötzlich eine Wende vollzogen. Es instrumentalisierte nationale und vorislamische Symbole, um die Iraner für den Kampf gegen den äußeren Feind zu mobilisieren. Dadurch und mithilfe des Einflusses, den das Regime auf inländische und teils auch auf internationale Medien hat, gelang es der Führung, die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren. Teile der desillusionierten Bevölkerung – auch einige Linke – scharten sich um die Regierung.
Fast unmittelbar nach dem Waffenstillstand wurden im Parlament der Islamischen Republik schärfere Spionagegesetze beschlossen. Es kam zu mehr Verhaftungen und die Regierung begann mit Massendeportationen afghanischer Geflüchteter. Mitglieder religiöser Minderheiten – darunter Juden und Bahai – wurden der Spionage beschuldigt.
In jedem Winkel Teherans patrouillieren nun Sicherheitskräfte, Soldaten und Polizei; immer mehr Kontrollpunkte werden eingerichtet. Die staatlichen Medien zeichnen ein einseitiges Bild des Nachkriegsiran: Zerstörung durch Angriffe von außen und Massenkundgebungen regierungstreuer Landsleute.Trotzdem sind die Risse im Fundament des Regimes spürbar geworden. Viele Regimegegner glauben, dass sich im Schatten des Krieges ein Weg eröffnet hat, der lange verschlossen war. Doch die iranische Exilopposition ist alles andere als geeint. Monarchisten, säkulare Linke, diverse ethnische Minderheiten, liberale Republikaner – eine gemeinsame Vision für eine bessere Zukunft fehlt. Diese Zersplitterung ist nicht neu: Schon die Revolution von 1979 war durch ein brüchiges Bündnis aus Islamisten, Linken und Nationalisten angezettelt worden – das kurz nach dem Sturz des Schahs zerfiel. Heute verlaufen die Bruchlinien besonders deutlich zwischen dem Lager von Reza Pahlavi, Sohn des Monarchen, der 1979 gestürzt wurde, und verschiedenen politisch linken Gruppen. Pahlavi, der den vollständigen Sturz des Regimes und die Errichtung einer säkularen Demokratie fordert, ist zur Galionsfigur eines Teils der Opposition geworden. Während und nach dem Krieg hat er sich in internationalen Medien zu Wort gemeldet und erklärt, der historische Moment, den Iran zu befreien, sei gekommen. Er begrüßte die Unterstützung, die er durch die Regierung der USA und andere westliche Länder erhielt.
Die iranische Exilopposition ist weit davon entfernt, geeint zu sein – ein gemeinsames
Zukunftsbild fehlt
Was die Haltung gegenüber Israel betrifft, lässt sich beobachten, dass nur Monarchisten die alte iranische Flagge mit der israelischen schwenken. Linke Gruppen hingegen verurteilen die Angriffe Israels und halten die derzeitige Staatsflagge neben der palästinensischen hoch. Für sie ist Pahlavis proisraelische, proamerikanische Ausrichtung fragwürdig. Der Kampf gegen die Islamische Republik dürfe, so heißt es, nicht ausländischen Mächten überlassen werden. Monarchisten halten dagegen, dass diese Haltung auf alten ideologischen Positionen beruhe und nichts mit den heutigen nationalen Interessen Irans zu tun habe.
Während die Opposition insgesamt also gespalten bleibt, fällt auf, wie aktiv Reza Pahlavi in den letzten Monaten war. In Anlehnung an Trumps MAGA-Bewegung prägte er den Slogan „MIGA – Make Iran Great Again“. Pahlavi traf sich mit mehreren europäischen, vor allem britischen Politikern. Demgegenüber ist die linke Opposition kaum über Intellektuellenkreise hinaus sichtbar und hat keine zentrale Führungsfigur. Als Pahlavi 2023 nach Israel reiste und von Premierminister Netanjahu öffentlich empfangen wurde, vertiefte dies den Graben zwischen beiden Lagern.
Da es an verlässlichen Meinungsumfragen mangelt, lässt sich schwer sagen, welche Regierungsform sich die Iraner wünschen. Doch alles deutet darauf hin, dass eine klare Mehrheit das Ende der Islamischen Republik will – und von einer demokratischen Ordnung träumt. Die größte Angst aller Iraner – auch der Oppositionellen – ist, dass ihr Land in ein Machtvakuum abrutscht, wie etwa der Irak nach dem Sturz Saddam Husseins. Einige Oppositionelle, darunter Pahlavi, haben Konzepte vorgestellt, um das zu verhindern. Doch die Stabilität nach einem möglichen Regimesturz zu wahren, bleibt eine schwere Aufgabe.
Was jetzt schon klar ist: Der Krieg hat die politische Landkarte des Irans verändert. Neben der Hoffnung, einen Regimewechsel aus der Zivilgesellschaft heraus herbeizuführen, etwa durch Straßenproteste, zeichnet sich eine neue Möglichkeit ab: ein Regimewechsel durch Krieg. Für viele Iraner ist das ein bitterer Gedanke. In jedem Fall haben sich die Iraner entschieden: Für eine bessere Zukunft braucht es deutliche Veränderungen. Die überwältigende Mehrheit ist eines Regimes überdrüssig, das – wie viele sagen – »seit 46 Jahren Krieg gegen das eigene Volk führt«. Die Geschichte kennt nur wenige Momente, in denen eine Nation zugleich so stark von Hoffnung und Furcht erfüllt war.
Aus dem Englischen von Julia Stanton