Es begann mit dem Tod meiner Mutter. Als sie starb, war ich 23. Was mich am meisten traf, war die Erkenntnis, wie wenig ich sie eigentlich gekannt hatte. Für mich war sie eine strenge Mutter gewesen. Sie hatte vier Kinder, wenig Geld und kümmerte sich um alles im Haushalt. Als ich nach ihrem Tod begann, Menschen aus ihrem Leben über sie zu befragen, überraschte mich eine Nachbarin mit der Aussage, meine Mutter hätte „gerne herumgealbert“. Daraufhin fragte ich mich, was meine Mutter eigentlich machte, wenn sie Zeit für sich hatte. Auf der Suche nach Antworten fing ich an, meine Schwester in ihrer Freizeit zu fotografieren. Sie ist sechs Jahre älter als ich, und in vielerlei Hinsicht ähnelt ihr Leben dem unserer Mutter: Sie hat zwei Kinder, führt einen Haushalt und ist dazu noch berufstätig. Ich wollte sehen, wie sie ihre Freizeit nutzt – in der Hoffnung, dadurch das Leben unserer Mutter besser zu verstehen.
Was als persönliche Untersuchung begann, entwickelte sich zu einer umfassenderen Frage nach Freizeit als feministischem Anliegen. Plötzlich achtete ich überall darauf, was Frauen in ihrer Freizeit machten und wie sie diese nutzten. Wer hat überhaupt das Recht darauf, mal freizuhaben? So habe ich schließlich das Fotoprojekt „Women at Leisure“ gegründet. Seitdem habe ich viel über das Thema gelernt. Die Menge und Art von Freizeit, die einer Person zusteht, hängt von der sozialen Stellung ab. Herkunft, Geschlecht, Schicht – all diese Faktoren wirken sich darauf aus, wer ein Recht auf echte Pausen hat. Frauen leisten die meiste Care-Arbeit zu Hause, weshalb es für sie immer etwas zu tun gibt. Wenn Arbeit ungleich verteilt ist, gilt das auch für die Freizeit. Und es geht um Sicherheit: Ein und derselbe Marktplatz kann sich für eine Person einladend anfühlen, für jemanden aus einer anderen Kaste oder eines anderen Geschlechts jedoch gefährlich sein. Ich denke oft darüber nach, dass Frauen in Indien nicht allein wandern gehen können, weil Parks und Wälder nicht sicher sind.
Sich Zeit für sich selbst zu nehmen und Freizeit einzufordern, ist eine neue Form des Widerstands. Sie besteht darin, dem Selbst zu erlauben, sich frei zu entfalten. In feministischen Kreisen wird Erfolg oft nach Kategorien und Werten des Patriarchats gemessen. Wir kämpfen für gleichen Lohn, gleiche Rechte, gleichen Raum. Das alles ist wichtig, aber wir sollten die Diskussion ausweiten, noch andere Maßstäbe berücksichtigen. Wir sollten weiterdenken: Was würde ich auf diesen Straßen machen, wenn ich mich auf ihnen völlig unbeschwert bewegen könnte? Freizeit ist die Voraussetzung dafür, dass man als Individuum gedeihen kann, und das bringt neue Möglichkeiten. Das erkennen auch zunehmend Stadtplanungsforschende. Sie schauen nicht mehr nur darauf, ob öffentliche Räume für Frauen sicher sind – ein vom Patriarchat gesetzter Maßstab –, sondern fragen: Sind sie einladend gestaltet? Sicherheit ist nur der Ausgangspunkt. Wenn Menschen an einem Ort gemeinsam lachen und sie selbst sein können, ist Sicherheit bereits gegeben.