Essen | Mexiko

Scharf auf Traditionen

Die mexikanische Küche kann mehr als nur Tacos! Chefkoch Alejandro Ruiz aus Oaxaca mischt lokale Rezepte mit ungewöhnlichen Zutaten und hat die Küche der Region auch international bekannt gemacht
Auf dem Bild ist eine Person zu sehen, die ein großes Tablett mit verschiedenen Gerichten auf der Schulter trägt. Das Bild ist aus der Vogelperspektive aufgenommen, so dass man auf die Oberseite des Kopfes der und das Tablett mit fünf verschiedenen Schalen, Kannen und Brot deutlich zu sehen sind.

Avocado, Schokolade, Kochbanane, Chili, Ingwer, Anis, Nelken – Mole ist eine sämige, reichhaltige Soße, die in Mexiko zu vielen Gerichten gereicht wird und die bei ihrer langen Zutatenliste von den vielfältigen kulturellen Einflüssen des Landes profitiert wie keine andere. Laut Alejandro Ruiz, dem Pionier der neuen Küche Oaxacas, des südlichen Bundesstaats, der besonders berühmt für die Soße ist, lässt sich nur schwer erklären, was genau sie eigentlich ist. Denn je nach Region, Tradition und den gerade zur Verfügung stehenden Zutaten unterscheidet sich die Zubereitung teils erheblich. Das gilt auch für die traditionelle Küche innerhalb Oaxacas.

Zum Beispiel wird für die Zubereitung der Mole Negro im Stil der Region zunächst eine Mischung getrockneter Chilisorten, etwa Chilhuacle und Pasilla, in einem Comal geröstet, einer traditionellen mesoamerikanischen Terrakottapfanne. Die Rösttechnik »tatemar«, wörtlich »verbrennen«, stammt aus dem ländlichen Süden Mexikos. Im selben Comal werden mitunter Mandeln und Sesam angebraten. Diese besonderen Mole-Zutaten gehen auf arabische Einflüsse zurück, die mit den spanischen Kolonisatoren nach Mexiko gelangt sind.

„Der außergewöhnliche Geschmack der Mole geht auf jahrhundertelange Erfahrung in der Kunst der Verfeinerung zurück“

Anschließend werden die Gewürze erhitzt, die die Mole Negro den Manila-Galeonen verdankt, den Schiffen, die einst zwischen den Philippinen und Acapulco auf der wichtigen Seehandelsroute unterwegs waren. Letztere verband Asien mit dem damaligen kolonialen Verwaltungszentrum Neuspanien, und so kamen Oregano, Majoran, Nelken, Pfeffer, Muskatnuss und Anis ins Land.

Alle Zutaten, seien es nun zehn oder hundert, werden mit Tomaten vermengt und bei mittlerer Hitze gegart. Der außergewöhnliche Geschmack der Mole geht auf jahrhundertelange Erfahrung in der Kunst der Verfeinerung zurück. Als Nächstes werden Oaxaca-Schokolade, Avocadoblätter, Zucker und Salz hinzugefügt, die Paste mit etwas Wasser verdünnt. Die fertige Mole serviert man zu Hühnchen oder Schweinefleisch. Das Fleisch in die Sauce zu tunken ist Spaniens Beitrag zur Mole-Kultur.

„Kochen ist in Oaxaca traditionell Frauensache, doch Alejandro hantierte schon als Kind mit Töpfen und Pfannen.“

Kochbananen, Pan Amarillo (eine in Oaxaca unter Verwendung von Eigelb hergestellte Brotsorte), Dörrpflaumen und Ingwer sind nur einige der Zutaten, die Alejandro Ruiz außerdem in seiner eigenen Mole Negro verarbeitet. Álex, wie er hier liebevoll genannt wird, hat maßgeblich zu dem Trend beigetragen, dass die kulinarischen Traditionen Oaxacas in den letzten Jahren immer wieder neu interpretiert werden. Der Koch wurde als Ältester von fünf Geschwistern in La Raya de Zimatlán geboren, einer kleinen Siedlung etwa eine halbe Stunde entfernt von der Stadt Oaxaca. Sie liegt zwischen den Dörfern Zaachila und Zimatlán, deren Bewohner sich der Kultur der Zapoteken beziehungsweise Mixteken noch heute eng verbunden fühlen.

Álex’ Herkunft unterscheidet sich nicht von jener der Mole: mexikanisch, das heißt ein »Mestizo« (»Mischung«), würde er selbst sagen. Alejandro kam als Sohn eines Vaters spanischer Abstammung aus Zaachila und einer Mutter zapotekischer Herkunft aus Zimatlán zur Welt. Er lernte sein Handwerk von seinen Tanten, seiner Mutter und seiner Großmutter. Kochen ist in Oaxaca traditionell Frauensache, doch Alejandro hantierte schon als Kind mit Töpfen und Pfannen. Er wendete Tortillas und zerkleinerte Zutaten in der Metate, einem Mörser aus Lavastein zum Zermahlen von Mais, Kakao und Ähnlichem, dessen Ursprung bis in prähispanische Zeiten zurückreicht.

Alejandro hatte ein gutes Gespür und war in der Küche bald eine feste Größe. Doch der frühe Tod seiner Mutter riss die Familie auseinander, als der Junge zwölf Jahre alt war. Dieser Verlust prägte seine Jugendzeit ebenso wie die daraus folgende materielle Not. Alejandro arbeitete auf dem Feld und später in verschiedenen Küchen. Nach einem hindernisreichen Weg fand er schließlich seine Bestimmung: als Koch die – oft anspruchsvollen – Gerichte aus Oaxaca Feinschmeckern aus aller Welt nahezubringen.

„Ein Antrieb war für sie allerdings immer auch, die vorzügliche Küche ihrer Heimat bekannt zu machen“

Selbst mit dem begrenzten Wissen, das seine Mutter ihm in ihrer gemeinsamen Zeit weitergeben konnte, gelang es Ruiz, die Speisen seiner Kindheit und solche aus anderen Regionen des gleichnamigen Bundesstaats auch international auf die Speisekarte zu setzen. Damit haben er und seine Geschwister eine Möglichkeit gefunden, ihre Herkunft und ihr Wissen zu einem einträglichen Lebensunterhalt zu machen. Ein Antrieb war für sie allerdings immer auch, die vorzügliche Küche ihrer Heimat bekannt zu machen und auf höchstem Niveau kochen zu können.

In La Raya de Zimatlán hat Álex heute einen Gemüsegarten, der zugleich ein Treffpunkt für Freunde ist. Mit dessen Erträgen versorgt er seine Restaurantküchen, und er liefert Speisen für die Mayordomías, die traditionellen Feste im Ort, die seine Tanten mit organisieren. So wie Álex pflegen auch andere Köche und Köchinnen die Verbindung zwischen ihren Dörfern und ihren Restaurants. Auch im Garten in La Raya selbst werden Feste mit gutem Essen, traditioneller Küche, mit Mezcal und Musik gefeiert. So huldigt man zeitgemäß der traditionellen »Mestizaje«, der Verschmelzung von Kulturen und Völkern, die Mexiko ausmacht.

„überall haben die Oaxaqueños die Ärmel hochgekrempelt und diverse Ideen und Zutaten zusammengebracht zur »Nueva Cocina« Oaxacas“

Die Mole ist ein typisches Produkt dieser vielfältigen Einflüsse. Aber auch andere Spezialitäten Oaxacas haben einiges zu bieten, wie etwa die Tlayudas, eine Art mexikanische Pizza, die Molotes-Teigtaschen oder auch die Eintöpfe, Caldos genannt. Ob auf der Landenge am Golf von Mexiko oder der Sierra, in Städten und Dörfern – überall haben die Oaxaqueños die Ärmel hochgekrempelt und diverse Ideen und Zutaten zusammengebracht zur »Nueva Cocina« Oaxacas.

Alejandro steht mittlerweile seit über dreißig Jahren am Herd des renommierten Restaurants Casa Oaxaca, Seite an Seite mit unzähligen Köchinnen und Köchen aus der Region. Aus seinen Restaurants sind Chefs hervorgegangen, die derzeit in Europa und den Vereinigten Staaten von sich reden machen. Ruiz führt nicht nur mehrere erfolgreiche Lokale, sondern hat auch ein Buch zur Küche Oaxacas veröffentlicht, eines der interessantesten über die mexikanische Küche überhaupt. Doch obwohl sein Beitrag so umfassend ist, bleibt er selbst doch bescheiden und lächelt – so wie die Küche Oaxacas.


Aus dem Spanischen von Miriam Denger

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