Popkultur | Mexiko

Superstar der Corridos

Mit einem Mix aus traditionellen mexikanischen Klängen und internationalem Pop füllt Peso Pluma Stadien. Seine Songs über Drogen­gewalt und Liebe wecken heftige Emotionen bei Fans und Kritikern
Der mexikanische Sänger Peso Pluma steht auf einer Bühne und lächelt. Er trägt ein weißes T-Shirt und eine weiße Basecap und hebt beide Arme Richtung Himmel. In der linken Hand hält er ein Mikrofon.

Peso Pluma, das „Federgewicht“, so lautet der Künstlername von Hassan Emilio Kabande Laija, der als neues Phänomen in der mexikanischen Musikwelt aufgetaucht ist und die Jugend in Mexiko tief bewegt. Angelehnt an die traditionellen Corridos tumbados greift Peso Pluma in seinen Texten die Geschichten legendärer Verbrecher auf und verortet sie im heutigen mexikanischen Alltag. Im Umfeld von Gewalt und territorialen Streitigkeiten öffnet sich mitunter aber auch urplötzlich ein Raum für die Liebe. Etwa in dem Song „Igual que un ángel“ – „Wie ein Engel“ –, den er zusammen mit Kali Uchis gemacht hat, der US-amerikanischen R&B- und Soulsängerin.

„Die Songs bringen die Ängste und Sorgen einer frustrierten Generation zum Ausdruck“

Die Songs von Peso Pluma wirken weit über das Musikalische hinaus. Die Songs bringen die Ängste und Sorgen einer frustrierten Generation zum Ausdruck, die sich mit mangelnden Zukunftsaussichten, sozialer Ungerechtigkeit und einer prekären wirtschaftlichen Lage herumschlagen muss. Die Texte üben offene Kritik an der grassierenden Korruption, an Gewalt und Benachteiligung. Damit sprechen sie ein junges Publikum an, das die Welt verstehen und verändern will.

Die ungewöhnlichen Corridos tumbados von Hassan Emilio Kabande Laija haben in der mexikanischen Musikszene wie auch in vielen anderen Ländern für Furore gesorgt. Allein im vergangenen Jahr erhielt der 25-jährige Mexikaner mehr Klicks auf YouTube als jeder andere Musiker; mit 8,5 Milliarden hat er selbst Taylor Swift und den Rapper Drake überflügelt. 2023 wurde er für mehrere große Musikpreise nominiert, darunter der Billboard Latin Music Award. Sein Ruf als großes Nachwuchstalent gründet vor allem auch darauf, wie Hassan Emilio Kabande Laija traditionelle mexikanische Genres weiterentwickelt hat.

Seine Laufbahn begann 2020, beeinflusst von verschiedenen Musikstilen wie Norteño, Banda und Ranchero. Innerhalb kürzester Zeit konnte er sich als feste Größe in der Szene der Corridos tumbados etablieren, eines jungen Ablegers der traditionellen mexikanischen Corridos, Balladen und Romanzen, die er mit Elementen aus Trap und Reggaeton versieht. Mit Texten über das harte Leben in mexikanischen Städten, den Drogenhandel und -konsum hat er auch die sogenannten Narcocorridos – die traditionellen Drogenballaden – neu interpretiert.

„Die jungen Fans lieben das authentische Auftreten von Peso Pluma“

Die ungewöhnliche Mischung aus Trap, Reggaeton und Drogenballaden, verbunden mit einer urbanen Ästhetik, die gelegentlich auch den Konsum psychoaktiver Substanzen thematisiert, machte Peso Pluma zu einer Ausnahmeerscheinung unter den aufstrebenden Künstlern und Künstlerinnen seiner Generation.

Die Zusammenarbeit mit namhaften Popstars und Rappern wie Anitta, Natanael Cano und Eladio Carriòn hat dazu beigetragen, seinen Ruhm zu vergrößern. Die jungen Fans lieben das authentische Auftreten von Peso Pluma und bewundern seine Treue zu den kulturellen Wurzeln seiner Musik, die er niemals verleugnet. Auch auf TikTok geht sein Sound viral.

Aber es gibt auch durchaus kritische Reaktionen. Da in Songs wie „El Belicón“ und „Siempre Pendientes“ immer wieder die Rede von Gewalt und Verbrechen ist und er sich teils auf ambivalente Weise oder positiv über die Welt der Drogenbarone äußert, wird er häufig angegriffen. Man wirft ihm die Verherrlichung von Kriminellen vor, insbesondere bei der Darstellung von Joaquin „El Chapo“ Guzmán, des ehemaligen Chefs des Sinaloa-Kartells.

„Da er sich teils auf ambivalente Weise oder positiv über die Welt der Drogenbarone äußert, wird Peso Pluma häufig angegriffen“

Es ist kein Geheimnis, dass Musikschaffende aus dieser besonderen Szene oft direkt oder indirekt in Verbindung zu Gangsterbossen und den Drogenkartellen stehen. Man denke nur an den berühmten Corrido-Sänger Chalino Sánchez, der eine Todesdrohung erhielt und nach einem Konzert im Mai 1992 erschossen wurde. Auch Peso Pluma und andere Stars des „Regional Mexicano“ [Sammelbegriff für mexikanische Subgenres der Country-Musik, Anm. der Red.] bekamen Morddrohungen.

So zum Beispiel in Tijuana, wo das „Federgewicht“ im Oktober 2023 einen Auftritt geplant hatte. Doch dann tauchten Schilder mit massiven Drohnachrichten auf: „Dies geht an dich, Peso Pluma: Falls du das Konzert am 14. Oktober nicht absagst, wird dies deine letzte Vorstellung gewesen sein, du respektloses Großmaul. Wenn du dort auftrittst, werden wir dir deine Sch***fr***e polieren. MfG CJNG“. Die Initialen „CJNG“ stehen für das Cartel Jalisco Nueva Generación, eine ultrabrutale Jugendbande aus Jalisco – und ein Hauptrivale des Sinaloa-Kartells, das Peso Pluma besingt.

Aber auch vonseiten einer kritischen Öffentlichkeit ist der Star wegen seiner kontroversen Texte immer wieder aufgefordert worden, Auftritte abzusagen. So verzichtete er auf die Teilnahme am diesjährigen Festival de Viña del Mar in Chile. Dafür konnte er einen triumphalen Erfolg in Coachella feiern, wo er zu Ehren der wichtigsten Stars des „Regional Mexicano“ auftrat. Er erhielt euphorische Kritiken, nicht nur für seine musikalische Darbietung, sondern auch für die eindrucksvolle Show und das Bühnenbild, auch dies ein Hinweis auf seine Kreativität – und eine sorgfältig durchdachte Vermarktungsstrategie.

„Die Corridos bélicos sind Loblieder auf Gewalt, Luxus, Drogen und Waffen, doch sie erzählen auch von Hoffnung, Loyalität und Liebe, vom Kampf gegen das Unglück“

In Mexiko, dem Land mit einer der höchsten Kriminalitäts- und Mordraten der Welt, feiert man zwischen Kampf und Gewalt; die Menschen singen Worte wie: „Traigo el cuernito y eso a ti te vuelve loca“ – „Wenn ich mit der Knarre komme, dann drehst du durch“. So lautet die Überlebensparole. Mit den Narcocumbias, die auf traditionellen Cumbia-Rhythmen beruhen, werden die Menschen mit Trommeln und Akkordeon dazu aufgerufen, zu kriegstreiberischen Texten zu tanzen: „Si algún día a mi me tumban, nomas recuerdan que me llevé cientos“ – „Wenn ich einst falle, erinnere dich daran, dass ich Hunderte mit mir ins Grab gerissen habe“.

In den Corridos bélicos geht es um Krieg, sie sind Loblieder auf Gewalt, Luxus, Drogen und Waffen, doch sie erzählen auch von Hoffnung, Ehre, Loyalität und Liebe, vom Kampf gegen das Unglück. Sie spiegeln die heutige hochkomplexe mexikanische Realität. Vor allem aber sind sie ein Schlachtruf für uns: für die Menschen, die vorankommen wollen, die mit aller Macht den alltäglichen Schrecken hinter sich lassen und überleben wollen.

Die spanische Journalistin und feministische Aktivistin Itziar Ziga fordert: Eine verzweifelte Welt braucht Verse. Der junge Singer-Songwriter Chino Pacas, der ähnlich wie Peso Pluma aus den musikalischen Traditionen Mexikos schöpft, singt vom Kriegszustand, von prekären Verhältnissen, von der Gefahr für Leib und Leben: „Sie sagten, du schaffst das nicht, doch nun sind sie still“. Auch dies ein Schrei der Hoffnung! In Mexiko kommen wir als Krieger zur Welt, und als Krieger treten wir ab. Genau dafür steht Peso Pluma.

Aus dem Spanischen von Birgit Kirberg