Mit rosa Tüll gegen die Verfolgung
Foto: Haroun Ben Youssef für Kulturaustausch
Die Füße und die Hüfte schmerzen, die Beine sind schwer. Den anderen Partygästen, die bis zuletzt gebliebenen sind, scheint es auch so zu gehen. Gegen vier Uhr morgens trotten sie in Richtung Ausgang und wirbeln dabei glitzerndes Konfetti vom Boden auf. Am Ausgang umarme ich Mamou, der einen grünen Seidenanzug trägt. Er ist der Partyorganisator, Co-DJ – und Bräutigam. „Wie schön, dass ihr bis zum Ende geblieben seid“, sagt er lächelnd.
Er und seine Braut Samar, DJ Chebba, haben alles gegeben, um die Menge in einen tunesischen Hochzeitstraum zu entführen. Sie haben Ferjani Chaladi engagiert, eine Hochzeitsband mit Trommeln und der tunesischen Sackpfeife, und haben alle in den „Gingembre“-Club eingeladen. Zwischen Glitzer, Konfetti und den Klängen traditioneller Volksmusik haben die queere Community von Tunis und ihre Freunde in einem Rausch die Nacht durchtanzt – und das, obwohl es eigentlich illegal ist.
Dass queere Menschen in Tunesien so feiern können, ist bei Weitem nicht selbstverständlich. Nach der Revolution von 2011 erstritten sich LGBTIQ+-Aktivistinnen und Aktivisten einige Freiräume, doch die stehen heute unter dem tunesischen Diktator Kais Saied wieder auf dem Spiel.
Der Club „Gingembre“ in Tunis ist einer der wenigen verbleibenden Schutzräume. Dadurch dass die Betreiber die Türen ihres Clubs unter dem Motto „Tunesische Hochzeitsparty“ für eine Feier mit traditioneller Musik geöffnet haben, hat sich auch die Gelegenheit für die LGBTIQ+-Community ergeben, queere Spuren in der eigenen Kultur zu entdecken.
„Einer der Mitarbeiter schildert, wie er einmal von der Polizei beim Knutschen mit einem Mann erwischt wurde“
Zu Beginn des Abends war mir noch nicht so klar, ob ich sie nun tatsächlich endlich gefunden hatte: die sagenhaften Queer-Partys. Die Veranstaltungsankündigung war vielversprechend, aber nicht eindeutig: ein trashiges Bild auf Instagram mit einer tanzenden Frau, bekleidet mit einer Dschibba, dem traditionellen tunesischen Gewand, das mit einem breiten Hüftgurt, dem Hzem, gebunden ist, mit dem Zusatz „Wedding Edition“. Der neutrale Text enthielt keine weiteren Hinweise. Die Community muss in diesen Zeiten politischer Verfolgung die Diskretion wahren, um ihre Mitglieder zu schützen.
Pünktlich um zwanzig Uhr vor dem Eingang des „Gingembre“: Die Miteigentümerin Leah mustert mich skeptisch. Ein anderes Mal gerne, heute eher nicht. Als ich ihr erkläre, dass ich eine Reportage über die LGBTIQ+-Community schreiben will, bittet sie mich doch zu einem Gespräch herein.
Im Club ist alles rosa bis rot, in sämtlichen Schattierungen: die in grellem Pink angestrahlte Bar, die altrosa Wände, die Barhocker aus rot lackiertem Metall, und dann noch die rote Neonbeleuchtung. Einzig die riesige weiße Tüllgirlande, die extra für die „Hochzeitsparty“ angebracht wurde, setzt einen Kontrast.
Anis (oben) und DJ Mamou (unten) sind auf der Tanzfläche, sobald sie die Mezoued-Musik hören
Foto: Haroun Ben Youssef für KULTURAUSTAUSCH
Leah lässt sich überzeugen: Ich darf mich für meinen Artikel in ihrem Club umsehen. Sie muss sich aber sicher sein, dass die tunesische Polizei keinen Wind von der Sache bekommt.
Bei einem deutschen Kulturmagazin eher unwahrscheinlich. „Die Polizei ist hier auch wirklich ziemlich dumm“, sagt sie und lacht. Ob der Club generell Probleme mit der Polizei habe? Manchmal kämen Beamte, um nach dem Rechten zu sehen. Mitunter greifen sie auch ein.
Zuletzt ist eine der Tänzerinnen vorübergehend in Polizeigewahrsam gelandet. „Aber wir bestechen niemanden. Wenn man einmal anfängt, dann nimmt das kein Ende mehr“, sagt Leah. Einer der Mitarbeiter, Anis, mischt sich ein. Er schildert, wie er einmal von der Polizei beim Knutschen mit einem Mann erwischt wurde. Sie brachten ihn aufs Revier, nahmen seine Personalien auf und schlugen auf ihn ein.
„Als die mit Glitzer geschmückten Trommeln und die Tambourins einsetzen, gibt es kein Halten mehr“
Homosexualität ist in Tunesien illegal, es drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Das Gesetz stammt ursprünglich von der französischen Kolonialverwaltung, die Anfang des 20. Jahrhunderts den Artikel 226 des Strafgesetzbuches verabschiedete, der Homosexualität unter Strafe stellt.
Wie viele andere Gesetze wurde auch dieses übernommen, als das Land die Unabhängigkeit erlangte, und wird bis heute regelmäßig angewendet. Die letzte Verurteilung gab es im Herbst 2023. Zur Feststellung des Tatbestands greift die Justiz unter anderem auf medizinisch fragwürdige Analtests zurück.
Dass die Party im „Gingembre“ nicht direkt als queere Veranstaltung zu erkennen ist, gehört deshalb zur Strategie der Betreiber. Die Community selbst versteht die subtilen Zeichen, die trashige Aufmachung, man kennt die DJs. Auch mit Fotos von den Events sind der Club und die Community sehr vorsichtig.
Nicht nur mit Blick auf die Sicherheitskräfte, sondern auch und vor allem wegen der Familie und der Bekannten derjenigen Gäste, die sich noch nicht geoutet haben. Fotos in den sozialen Netzwerken könnten Besucher wie auch die Veranstalter in eine schwierige Lage bringen.
Um 22 Uhr geht es offiziell los, die schneidenden Klänge des Mezoued, eines Instruments, das einem Dudelsack ähnelt, locken die Gäste auf die Tanzfläche. Als dann die mit Glitzer geschmückten Trommeln und die Tambourins einsetzen, gibt es kein Halten mehr.
Der Boden vibriert unter den Schritten des Publikums. Es gibt nicht viele Gelegenheiten im Nachtleben von Tunis, zu den galoppierenden Rhythmen des volkstümlichen Mezoued oder zu arabischer Musik zu tanzen.
„Entgegen aller kolonialen Vorurteile ist Queerness ein Teil unserer Kultur“
Generell gilt dieser lokale Sound als nicht „hip“ genug, meint DJ Mamou: „Unser Nachtleben ist sehr westlich geprägt. In der queeren Community feiern wir vor allem zu Britney und Co., die angeblich den nötigen Coolnessfaktor haben. Irgendwann habe ich mich damit nicht mehr wohlgefühlt. Ich konnte mich damit nicht mehr identifizieren.“
DJ Chebba und DJ Mamou veranstalten
queere Partys, auf denen traditionelle Musik gespielt wird
Also machte sich Mamou auf die Suche nach queeren Personen in der tunesischen Kultur und findet einige emanzipatorische Beispiele, etwa die Mezoued-Sängerin Fatma Boussaha (1942–2015), die sang: „Ich nahm ihn von seiner Mutter.“
Die Tradition verlangt eigentlich, dass der Bräutigam in spe beim Vater seiner Braut um ihre Hand anhält und nicht anders herum. Die Community bezieht sich auch auf den Sänger Ali Riahi (1912–1970) der selbst schwul gewesen sein soll.
Bevor er sich für seinen Auftritt umziehen geht, bekräftigt Mamou: „Entgegen aller kolonialen Vorurteile ist Queerness ein Teil unserer Kultur.“ Doch die Ablehnung stammt nicht allein aus der kolonialen Vergangenheit, sie existiert auch in der tunesischen Gesellschaft selbst.
Oumeyma arbeitet als Barkeeperin im Club, nebenbei ist sie Astrophysikerin. Sie erzählt, dass sich zum Beispiel die Wohnungssuche schwierig gestaltet habe. Ihre blondierten kurzen Haare und ihre Ohrringe seien zu ausgefallen für viele Vermieter und Vermieterinnen gewesen. Während sie erzählt, mixt sie mir einen „Fur Sapatizi“, einen Drink auf Whiskybasis mit Apfel-Zimt-Geschmack.
Gegen Mitternacht wird die Band mit schrillen Tzarghit-Tönen, einem sehr lautem Zungenschnalzen, das in Tunesien traditionell Applaus und Lob ausdrückt, verabschiedet. Jetzt tritt das DJ-Brautpaar auf, zur Begrüßung geht ein Glitzerregen auf sie nieder.
DJ Mamou und DJ Chebba stehen – er im grünen Anzug und sie im lila Tüllschleier – am DJ-Pult und drehen die Lautstärke hoch. Stunden später, als die Ersten aufbrechen, rückt der harte Kern nochmal zusammen.
Wir versammeln uns um das hochzeitlich dekorierte Pult. Da sehe ich Leute bauchfrei und in langen Röcken beherzt die Hüften schwingen. Andere haben ihre Oberteile ausgezogen und stellen ihre Muskeln und Tattoos zur Schau. Auch ein paar rote Filzhüte und marineblaue Seemannsjacken finden sich in der Menge.
„Deine Schönheit habe ich noch in keiner Werbung gesehen, lieber Mohammed“, grölen die Verbliebenen voller Inbrunst im Einklang mit der Musik von Fatma Boussaha, ehe das Licht angeht.