Frauenrechte | Mexiko

Frauenrechte müssen auf die Agenda

Beim Stand der Frauenrechte klaffen in Mexiko Gesetz und Realität oft weit auseinander. Gewalt gegen Frauen grassiert, viele Mädchen werden ungewollt schwanger, unbezahlte Care-Arbeit liegt vor allem bei den Frauen. Fünf Expertinnen ziehen Bilanz: Was hat sich gebessert, was muss getan werden?
Dekorative Illustration, gestickt
Angélica de la Peña Gómez

Politische Parität

Porträt der Politikerin Angélica de la Peña Gómez

Obwohl die Parität seit 2014 gesetzlich verankert ist, wurde sie erst 2024 auf alle wählbaren Ämter angewandt, also auf die Präsidentschaft, auf Gouverneursposten, auf Gemeinderäte und Kongressabgeordnete. Auch deshalb wird in Mexiko ab Oktober 2024 erstmals eine Präsidentin regieren. Von 32 Bundesstaaten werden 13 von Frauen regiert, und die Kongresse auf Landes- und Bundesebene sind gleichermaßen mit Männern wie Frauen besetzt.

Dass Frauen paritätisch öffentliche Ämter bekleiden, ist ein Erfolg, bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie sich besonders für Frauen einsetzen. Wir brauchen eine Politik, die weibliche Perspektiven berücksichtigt, und die Ausübung politischer Ämter muss insgesamt transparenter werden.

Angélica de la Peña Gómez, geboren 1954, ist Mitglied im Parlamentsausschuss mexikanischer Frauen, Senatorin und Gründerin der NGO „Frauen im Kampf für die Demokratie“

Araceli González Saavedra

Recht auf Abtreibung

Porträt der Aktivistin Araceli González Saavedra

Nach Angaben des mexikanischen Gesundheitsministeriums von 2023 zählen unsichere Schwangerschaftsabbrüche zu den fünf häufigsten Ursachen der Müttersterblichkeit in Mexiko. Erst 2007 entkriminalisierte Mexiko-Stadt als erster Bundesstaat Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Weitere elf Bundesstaaten schlossen sich an: Oaxaca, Hidalgo, Coahuila, Veracruz, Baja California, Colima, Sinaloa, Guerrero, Baja California Sur, Quintana Roo und Aguascalientes. 2024 kommen noch Jalisco und Chihuahua dazu, auf der Grundlage von Gerichtsurteilen aus ihren jeweiligen Staaten.

Bisher handelt es sich ausschließlich um Änderungen in den Bundesstaaten, im nationalen Strafrecht wird Abtreibung weiterhin als Straftat geführt. Trotz dieser Fortschritte gibt es in der Praxis weiterhin Verbesserungsbedarf. Will man den Zugang zu dieser medizinischen Dienstleistung erleichtern, muss auch mehr für die Information und Aufklärung getan werden. Besonders wichtig ist dies für junge Mädchen, die durch gewaltsam erzwungenen Sex schwanger geworden sind. Mütter im Alter von 17 Jahren oder jünger machen insgesamt 5,7 Prozent aller Geburten aus. Wir brauchen ein nationales Programm zur Verhinderung beziehungsweise zum Abbruch von Kinderschwangerschaften.

Araceli González Saavedra, geboren 1973, ist Mitglied der NGO Equifonía zur Anerkennung, Wahrnehmung und Ausübung der Rechte der Frauen

Ana Yeli Pérez Garrido

Femizide

Porträt der Rechtsanwältin Ana Yeli Pérez Garrido

Zwar müssen wir anerkennen, dass es in Mexiko Fortschritte in Bezug auf Frauenrechte gab, etwa mit dem Gesetz über das Recht von Frauen auf ein Leben ohne Gewalt (2007), der Einführung des „Femizid“ und schließlich dessen Einführung als Straftatbestand (2012). Doch das hat leider nicht zu einem Rückgang der Gewalt geführt. Der Staat hat nichts gegen die tief verwurzelte Kultur des Machismo unternommen, die Verbrechen gegen Frauen zulässt.

2023 wurden nach Angaben der Nationalen Sicherheitsbehörde 3.408 Frauen umgebracht. Das sind neun Morde am Tag, aber nur 827 Fälle wurden als Femizide eingestuft. Die Staatsanwaltschaften verfügen nicht über ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Polizisten sind nicht wirklich für den Einsatz in besonders problematischen Gegenden ausgebildet, etwa dort, wo die Organisierte Kriminalität grassiert. Im Justizapparat sitzen unzureichend vorbereitete Richter und Richterinnen, die oft nicht einmal gewisse Standards in Sachen ­­Menschenrechte einhalten. Wir brauchen eine umfassende Sicherheitspolitik, die das Thema Gewalt gegen Frauen ganz oben auf die Agenda setzt. 

Ana Yeli Pérez Garrido, geboren 1983, ist feministische Rechtsanwältin und Rechtsberaterin

Lucía Lagunes Huerta

Sicherheit von Journalistinnen

Porträt der Aktivistin Lucía Lagunes Huerta

Mexiko ist für Journalisten eines der unsichersten Länder überhaupt. Doch für Journalistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen ist die Lage besonders drastisch. Allein 2023 verzeichnete CIMAC 184 Fälle von Gewalt gegen Journalistinnen. Dabei handelt es sich vor allem um Reporterinnen, die zu Menschenrechtsverletzungen recherchierten.

Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten wurde 2012 auf Initiative von Mitgliedern der Zivilgesellschaft ein Schutzmechanismus geschaffen. Er beinhaltet, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Bundesstaaten koordiniert wird, um Angriffe auf diese Berufsgruppen zu verhindern oder abzuwehren. Zudem sind präventive Maßnahmen vorgesehen. Bislang hat es diese Institution jedoch weder geschafft Fälle zu verhindern, noch sie umfassend zu untersuchen.

Dafür, dass bereits geschaffene Schutzmechanismen auch wirklich greifen, braucht es mehr geschultes Personal und eine bessere Aufklärung über vorhandene Möglichkeiten.

Lucía Lagunes Huerta, geboren 1965, ist Leiterin der Agentur „Comunicación e Información de la Mujer“ (CIMAC) zur Förderung der Information von und für Frauen

Carmen Ponce Meléndez

Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege

Porträt der Autorin und Wirtschaftswissenschaftlerin Carmen Ponce Meléndez

Eine der größten Hürden für die stärkere Einbindung von Frauen in die Wirtschaft ist ihre immense Belastung durch häusliche und pflegerische Arbeit. 38,5 Millionen Frauen in Mexiko im Alter von 15 Jahren und älter sind Mütter. Im Jahr 2023 verbrachten sie vierzig Stunden pro Woche mit unbezahlter Hausarbeit, Männer hingegen nur 16 Stunden laut dem Nationalen Institut für Statistik und Geografie.

Der entscheidende Faktor für die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist der Zugang zu Kinderbetreuung. Sechzig Prozent der Arbeitnehmerinnen landesweit haben keine Sozialversicherung. Deshalb können sie die öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen nicht nutzen.

Auch die Betreuung älterer und behinderter Menschen lastet auf den Schultern der Frauen. Eine Antwort auf diese Situation könnte die Verstaatlichung der Pflege und Betreuung sein. So läge sie nicht mehr ausschließlich im Verantwortungsbereich der Frauen, sondern es würde eine Struktur geschaffen, in der die Tätigkeiten gerecht und gleich aufgeteilt werden.

Carmen Ponce Meléndez, geboren 1952, ist eine feministische Ökonomin

Aus dem Spanischen von Lea Hübner