Fotografie | Afrika

Afrikanische Fotografie heute

Fotografinnen und Fotografen aus afrikanischen Ländern sind international unterrepräsentiert. Mit „Tender Photo“ schuf der nigerianische Autor Emmanuel Iduma eine lebendige Plattform für Bildkunst aus allen Ecken des Kontinents
Auf einem Straßenmarkt ist ein junger Mann neben einem Verkaufsstand mit Obst zu sehen. er trägt ein rotes T-Shirt und einen verrückten goldenen Helm mit Hörnern

Marktszene in Tambaccounda, Senegal 

Hier das Porträt eines jungen Mannes auf einem Straßenmarkt in Senegal; dort ein gestrandetes Schiffswrack an der Küste Mauretaniens, so sorgfältig in Szene gesetzt wie auf einem Gemälde: Sich durch die Fotografiesammlung von „Tender Photo“ zu klicken, gleicht einem Spaziergang durch ein sorgsam kuratiertes Fotografiemuseum. Seit 2022 veröffentlicht der nigerianische Autor und Kritiker Emmanuel Iduma regelmäßig eine neue Ausgabe seines Newsletters über afrikanische Fotografie. Er möchte damit „die Arbeit einer vielfältigen Gruppe afrikanischer Künstlerinnen und Künstler würdigen, die in verschiedenen Bereichen der Fotografie tätig sind.“ 

Inzwischen hat sich „Tender Photo“ zu einem Archiv entwickelt, das einzigartig in seinem Umfang und seiner Themenvielfalt ist. „Ich versuche eigentlich ständig, meine Kenntnisse über die Fotografie, und besonders über die Fotografie aus Afrika, zu erweitern“, erklärt Iduma im Gespräch über sein Projekt. Das Interview führt er von seinem Zuhause in Norwich, Großbritannien, aus. Immer wieder wägt der Autor seine Worte sorgfältig ab, und seine Antworten machen deutlich, dass „Tender Photo“ aus einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Medium der Fotografie entstanden ist. 

„Ich versuche eigentlich ständig, meine Kenntnisse über die Fotografie, und besonders über die Fotografie aus Afrika, zu erweitern“

Das Thema des Newsletters ist historisch aufgeladen: In Zeiten des Kolonialismus wurde Fotografie in vielen Regionen Afrikas als Mittel der Unterdrückung eingesetzt. In einem Artikel in der „New York Times“ von 2019 bezeichnet der Autor Teju Cole die Fotografie als „Waffe des Imperialismus“: „In Afrika, wie in vielen anderen Gebieten, deren Besitztümer geraubt wurden, gehörte die Kamera zusammen mit dem Gewehr und der Bibel zur kolonialen Ausrüstung“, zitiert er die simbabwische Autorin Yvonne Vera. Auf den Zusammenhang zwischen kolonialistischer Ideologie und Fotografie angesprochen, bemerkt Iduma in einem Interview von 2017: „Unsere Körper wurden oftmals auf eine abwertende Weise dargestellt. Wie wir gesehen wurden, hat unsere Selbstwahrnehmung geprägt. Ich hoffe, ich kann mit meiner Arbeit einen Anstoß dazu geben, dass sich Menschen mit dieser Komplizenschaft auseinandersetzen, sich gegen sie wehren und sie überwinden.“

Tatsächlich eröffnet „Tender Photo“ eine neue Perspektive auf das Medium der Fotografie, aber auch auf den Kontinent selbst. Die gezeigten Bilder vermitteln Einblicke in die vielfältigen Kulturen, die von stereotypen und kolonialistisch geprägten Darstellungen abweichen. In seinen Begleittexten vermeidet Iduma Verallgemeinerungen und stellt Arbeiten aus mehreren Ländern mit sehr verschiedenen Stilen vor: „Ich denke viel darüber nach, wie ich mit noch mehr Fotografinnen und Fotografen aus noch mehr Ländern in Kontakt treten kann. Und ich versuche, mich mit Leuten auszutauschen, die in unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Das kann Journalismus, Dokumentar, Modeoder Kunstfotografie sein.“ In der Regel schickt Iduma eine Auswahl von Aufnahmen an die Fotografinnen und Fotografen, und sie entscheiden, welches Bild in den Newsletter aufgenommen wird.

Ich habe mich gefragt, wie afrikanische Fotografen und Fotografinnen einen Beitrag zur Diskussion über das Medium der Fotografie leisten können, der nicht nur unter soziologischen Gesichtspunkten interessant ist.“

Bei dem Projekt geht es aber nicht nur um Repräsentation. Angesprochen auf seine Motivation, sich auf Afrika zu konzentrieren, erklärt der Autor, er habe zunächst durchaus Bedenken gehabt, sein Projekt geografisch zu definieren. Er stellte zwar fest, dass Fotografinnen und Fotografen aus afrikanischen Ländern in Ausstellungen und Sammelbänden nicht ausreichend vertreten sind, aber dennoch wollte er sein Projekt weiter fassen: „Ich dachte nicht in erster Linie: Oh, es gibt nicht genug Fotos aus Afrika zu sehen, ich muss etwas tun. Ich habe mich eher gefragt, wie afrikanische Fotografen und Fotografinnen einen Beitrag zur Diskussion über das Medium der Fotografie leisten können, der nicht nur unter soziologischen Gesichtspunkten interessant ist.“

In „Tender Photo“ wird dies nicht einfach nur durch die Fotos selbst erreicht, sondern auch durch die Art und Weise, wie Iduma sie präsentiert. Ein Newsletter besteht in der Regel aus einer Fotografie, begleitet von einer kurzen Einführung durch Iduma und einem längeren Statement des Künstlers oder der Künstlerin. Diese Texte sind so zentral für das Projekt wie die Aufnahmen selbst: „Als ich mit dem Newsletter begann, wollte ich nicht nur selbst meinen Weg finden, über Fotografie zu schreiben, sondern auch mit Fotografinnen und Fotografen ins Gespräch kommen und sie dazu bringen, über ihre Arbeit zu sprechen“, erklärt Iduma. In seinen kurzen Einführungen weist er die Leserinnen und Leser auf kleine Details hin, die leicht zu übersehen sind: „Wenn ich mir ein Bild ganz genau und lange genug anschaue, kann ich erfassen, was sich nicht unmittelbar zeigt, was sich meinem Blick entzieht, meine blinden Flecken“, sagt Iduma. Er ermutigt seine Leser, es ihm gleichzutun. 

„Fotografie ist wichtig, um unsere Geschichte zu bewahren, unsere Geschichten zu erzählen. Mit ihr lassen sich Wachstum und Stagnation messen.“

Die längeren Erklärungen der Fotografinnen geben Aufschluss über die Art und Weise, wie das Bild aufgenommen wurde, über den gesamten Entstehungsprozess. Ihre Texte zeugen von einem tiefen Bewusstsein für die Bedeutung des Mediums und dessen Kraft. So schreibt etwa in einer Ausgabe des Newsletters vom Februar 2024 die nigerianische Fotografin Amarachi Nnoli: „Fotografie ist wichtig, um unsere Geschichte zu bewahren, unsere Geschichten zu erzählen. Mit ihr lassen sich Wachstum und Stagnation messen.“