Pressefreiheit Polen

Protestaktion von PiS-Anhängern in Krakau am 30. Dezember 2023
Foto: NurPhoto / Getty Images
Es waren tumultartige Szenen, die sich im Dezember 2023 im staatlichen polnischen Fernsehsender Telewizja Polska abspielten: Entlassene Chefredakteure verschanzten sich in den Redaktionsräumen, Abgeordnete der PiS besetzten die Sendezentralen und weigerten sich, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hereinzulassen. Diese improvisierten derweil auf den Fluren, um die aktuellen Abendnachrichten zu produzieren. Zuvor hatte der Kulturminister der frisch gewählten Regierung von Donald Tusk die alten Intendanten gefeuert und die Spitzenpositionen neu besetzt. Ein Jahr später ist der Aufruhr zwar beendet, der zugrunde liegende Konflikt bleibt jedoch bestehen.
„Es gibt in Polen noch immer kein wirksames System, das die öffentlich-rechtlichen Medien vor Eingriffen durch die Politik schützt“
Auch nach 35 Jahren Demokratie gibt es in Polen noch kein wirksames System, das die öffentlich-rechtlichen Medien vor Eingriffen durch die Politik schützt. Seit 1989 das Medienmonopol der kommunistischen Partei abgeschafft wurde, gerieten die staatliche Fernsehanstalt Telewizja Polska (TVP), der Rundfunk Polskie Radio und die Nachrichtenagentur Polska Agencja Prasowa (PAP) zum Gegenstand verbissener Rivalität zwischen den politischen Parteien.
Bei jedem Regierungswechsel kam es zum Umbruch bei Personal und Programm. 1993 wurde als Kontrollgremium der Landesrundfunkrat (KRRiT) gegründet. Doch trotz seiner Verankerung in der Verfassung erwies er sich als zu schwach, um die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien zu gewährleisten, nicht zuletzt weil er durch das Parlament und den Präsidenten besetzt wird und damit die jeweils aktuellen politischen Mehrheiten widerspiegelt.
Die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wusste diese Schwäche zu nutzen. Parteichef Jarosław Kaczyński machte keinen Hehl daraus, dass er die Medien als Instrument der Machtausübung betrachtet. Nachdem die PiS ab 2015 sowohl die Regierung als auch den Präsidenten stellte, verwandelte sie die staatlichen Medien in eine Waffe gegen die Opposition.
Im Kreuzfeuer stand dabei über Jahre hinweg besonders der liberalkonservative Oppositionsführer Donald Tusk, der als „deutscher Agent“ diffamiert wurde. Um ihre Kontrolle zu festigen, entmachtete die PiS im Sommer 2016 auch den Landesrundfunkrat KRRiT in Personalfragen und schuf dafür den Rat der Nationalen Medien (RMN). In diesem Gremium hatten PiS-Politiker eine Mehrheit von drei zu zwei und konnten damit nach Belieben Vorstände, Aufsichtsräte und Intendanten berufen oder entlassen. In den ersten Monaten der neuen PiS-Regierung wurden etwa 300 Journalistinnen und Journalisten entlassen oder gingen selbst, weil sie die neuen „Standards“ nicht akzeptierten. In den Jahren danach fiel insbesondere TVP durch extrem einseitige Berichterstattung wie auch durch Hetze gegen Minderheiten und die Opposition auf. Im Volksmund erhielt der Sender gar den Spottnamen „TVPiS“.
„Die von der PiS dominierten Gremien blieben im Amt und widersetzten sich allen Reformversuchen“
Daher wundert es nicht, dass bei den Parlamentswahlen von 2023 die Reform der staatlichen Medien ganz oben auf der Prioritätenliste der Opposition stand. Nachdem das von Donald Tusks Partei „Bürgerplattform“ angeführte Bündnis gewann, schrieb die neue Regierung die „Reparatur und Entpolitisierung“ der öffentlich-rechtlichen Medien in ihren Koalitionsvertrag. Doch die politische Wirklichkeit erwies sich als viel schwieriger als erwartet. Denn obwohl die PiS die Regierungsverantwortung abgeben musste, blieben die von ihr dominierten Gremien weiter im Amt und widersetzten sich allen Reformversuchen. Der Kanal TVP Info sendete selbst in den Tagen nach Tusks Amtsantritt am 13. Dezember 2023 weiterhin äußerst tendenziöse Berichterstattung.
In dieser Situation entschied sich Donald Tusk für einen radikalen Schritt, der sich nach Ansicht vieler Juristinnen und Juristen an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit bewegte. Am 20. Dezember 2023 entließ sein Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz die Vorstände und Aufsichtsräte von TVP, Polskie Radio und PAP. Er überführte die Unternehmen in den Konkurs und setzte eine neutrale Verwaltung ein, die die Führungsgremien neu besetzen sollten.
„Derzeit wird eine grundlegende Reform vor allem durch finanzielle Unsicherheit behindert“
Dabei berief er sich auf die Vorschriften des Handelsrechts, weil alle drei Aktiengesellschaften sind, an denen der Staat hundert Prozent hält. Die national-konservative Opposition sprach prompt von einem „Putsch“. Die abgesetzte, PiS-nahe Chefredaktion besetzte gemeinsam mit Abgeordneten das TVP- und das PAP-Gebäude. Bartłomiej Sienkiewicz ließ im Gegenzug den Sender TVP Info erst einmal komplett abschalten. Die propagandistische Abendsendung „Wiadomości“ wurde aus dem Programm genommen und durch das neue Format „19.30“ ersetzt – eine Art Mischung aus „Tagesschau“ und „Tagesthemen“.
Nach diesen Tumulten entspannte sich zwar langsam die Lage und es gelang dem neuen TVP-Intendanten Tomasz Sygut einen regelmäßigen Sendebetrieb herzustellen. Doch der Konflikt hält im Grunde weiter an. Denn derzeit wird eine grundlegende Reform der öffentlich-rechtlichen Medien vor allem durch finanzielle Unsicherheit behindert. Nach der Neubesetzung der Führungsgremien von TVP legte der Präsident Andrzej Duda, der der PiS nahesteht, Ende Dezember 2023 plötzlich sein Veto gegen ein Gesetz zur Finanzierung des öffentlichen Dienstes ein. Damit wollte er vor allem die Haushalte von TVP, Polskie Radio und PAP blockieren und deren Umgestaltung behindern.
Der Landesrat KRRiT, dessen gewählte Mitglieder seit 2022 ebenfalls von der PiS dominiert sind, stoppte überdies im Januar 2024 die regelmäßige Überweisung der Finanzmittel aus den Rundfunkgebühren, um die Finanzblockade zu verstärken. Diese Löcher im Budget stopft die Regierung derzeit ad hoc durch Finanzhilfen, doch das macht eine längerfristige Planung unmöglich.
„Um die Unabhängigkeit der staatlichen Sender wiederherzustellen, braucht es ein neues Mediengesetz“
Die Wiedergewinnung der Glaubwürdigkeit bei Zuschauenden ist eine schwierige Aufgabe, nicht zuletzt, weil Polen ein tief gespaltenes Land bleibt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der neuen Nachrichtensendung „19.30“, deren Gesichter bekannt sind, berichten, dass sie auf der Straße manchmal beleidigt oder eingeschüchtert, aber auch gelobt und ermuntert werden. Viele Journalistinnen und Journalisten, die sich als PiS-Propagandisten kompromittiert hatten und entlassen wurden, fanden Beschäftigung beim rechtsnationalen TV-Republika. Der Sender, der zuvor nur eine geringe Reichweite hatte, gewann neue Zuschauer und wurde zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für TVP.
Um die Unabhängigkeit der staatlichen Sender wiederherzustellen, braucht es ein neues Mediengesetz. Ein erster Entwurf zirkuliert seit Juni 2024. Er sieht eine Abschaffung der Rundfunkgebühren vor. Stattdessen sollen die öffentlich-rechtlichen Medien aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Der Rat der Nationalen Medien soll abgeschafft werden, der Landesrat KRRiT dagegen seine Kompetenzen bei der Personalpolitik zurückerhalten. Es soll wieder das Prinzip gelten, dass alle zwei Jahre drei Mitglieder ausgetauscht werden. Damit will man verhindern, dass eine Partei das Gremium dominiert.
Doch obwohl ein Entwurf für das Gesetz bereits vorliegt, wird es voraussichtlich nicht kurzfristig in das Parlament eingebracht. Zu wahrscheinlich ist es, dass Präsident Andrzej Duda sein Veto einlegt. Entscheidend für die Zukunft dieses Gesetzes und damit der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen wird daher die Präsidentenwahl im Mai 2025 sein. Wenn der Kandidat des liberalen Lagers, der derzeitige Oberbürgermeister von Warschau Rafał Trzaskowski, gewinnt, ist mit schnellen Reformen auf der Grundlage des neuen Mediengesetzes zu rechnen. Falls aber der von Jarosław Kaczyński aufgestellte Bewerber Karol Nawrocki siegt, wird er voraussichtlich die Blockadepolitik seines Vorgängers fortsetzen.
„Entscheidend für die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen wird die Präsidentenwahl im Mai 2025 sein“
Das hätte fatale Folgen für die Medien: „Es geht um Kopf und Kragen“, sagt Jan Ordyński, stellvertretender Vorsitzender der liberalen Gesellschaft der Journalisten (Towarzystwo Dziennikarskie). „Das Schicksal der öffentlich-rechtlichen Medien hängt von dieser Präsidentenwahl ab. Entweder Reformen oder Stillstand.“
Egal wie dieser Kampf ausgeht, die polnische Medienlandschaft bleibt pluralistisch. Dafür sorgen zahlreiche private elektronische und Printmedien. Eine besondere Rolle spielt etwa der Sender TVN Discovery Polska, dessen Nachrichtensendung „Fakty “ weit höhere Einschaltquoten hat als „19:30“. Auf dem Radiomarkt dominieren die privaten Stationen RMF und Radio Zet. Bei den Zeitungen haben „Gazeta Wyborczaç“ und „Rzeczpospolita“ einen festen Platz. Medien wie diese spielen seit Jahren eine wichtige Rolle in der polnischen Gesellschaft und sorgen für das politische Gleichgewicht – trotz der Querelen um die öffentlich-rechtlichen Kanäle.