Salomonen | Klimawandel

„Naturbasierte Lösungen sind langfristige Lösungen“

Informelle Siedlungen können besonders von naturbasierten Lösungen profitieren. Die Forschenden Darryn McEvoy und Mittul Vahanvati erklären warum
Vetivergras

Vetivergras stabilisiert durch ein umfangreiches, starkes Wurzelsystem den Boden

Das Interview führte Julia Stanton

Herr McEvoy, Frau Vahanvati, Sie arbeiten mit und forschen schon lange zu naturbasierten Lösungen. Wie würden Sie das Konzept definieren? 

Mittul Vahanvati(MV): Naturbasierte Lösungen sind ein kosteneffizienter, vielschichtiger Ansatz zum Schutz unserer natürlichen Ressourcen. Das gilt für die Auswirkungen des Klimawandels, aber auch für andere Herausforderungen wie die der Urbanisierung. Dabei werden auch die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen der Menschen berücksichtigt. 

Warum sind naturbasierte Lösungen so produktiv, wenn es um den Umgang mit Auswirkungen des Klimawandels in informellen Siedlungen geht?

MV: Informelle Siedlungen haben oft keinen Zugang zu grundlegender Infrastruktur, die Mittel solcher Gemeinden sind sehr begrenzt; gleichzeitig sind sie auf natürliche Ressourcen angewiesen. Sie liegen oft in Gebieten, die durch den Anstieg des Meeresspiegels, durch Wirbelstürme oder Erdrutsche stark gefährdet sind. Naturbasierte Lösungen sind hier wirksam, weil sie weniger Hilfsmittel und Technologien erfordern als herkömmliche Projekte. 

Seit 2019 leiten Sie „Climate Resilient Honiara“, ein Programm, in dessen Rahmen Sie Projekte der angewandten Forschung zur Verbesserung der städtischen Klimaresilienz in Honiara, der Hauptstadt der Salomonen, durchführen. Als Teil dessen haben Sie mehrere naturbasierte Pilotprojekte in Koa Hill, einer informellen Siedlung in der Stadt, umgesetzt. Wie kam es dazu?

Darryn McEvoy(DMcE): Die Region Asien-Pazifik gehört zu den Regionen der Welt, die am schnellsten verstädtern. Die Siedlungen in den Städten wachsen rasant, und die einzigen verfügbaren Grundstücke liegen oft in Landstrichen, die besonders durch den Klimawandel gefährdet sind. Hier stehen Häuser an steilen Hängen oder in Überschwemmungsgebieten. Gleichzeitig haben diese Gemeinschaften keinen Kontakt mit der Regierung, weil diese ja ganz grundsätzlich nicht will, dass sie dort leben. In Koa Hill war die Regierung nicht daran interessiert, Lösungen wie den Aufbau von Abwassersystemen zu unterstützen. Und wir durften dort nur deshalb tätig werden, weil naturbasierte Lösungen sozusagen nicht invasiv und nicht dauerhaft sind. 

Vor welchen besonderen Herausforderungen steht Koa Hill? 

MV: Koa Hill ist eine informelle Siedlung, die an einem steilen Hang am Ufer des Mataniko-Flusses in Honiara, der Hauptstadt der Salomonen, liegt. Das Ökosystem in dieser Gegend ist insgesamt sehr vielfältig: Es gibt hohe Berge, Wälder, eine reichhaltige Vegetation und Artenvielfalt entlang von Seen und Feuchtgebieten. Die oberen Teile der Siedlung sind, wenn es zu starken Regenfällen kommt, durch Erdrutsche gefährdet, die Wohnhäuser in Ufernähe durch Überschwemmungen. Auch abgesehen von der Gefahr durch Extremwetter mangelt es grundlegend an Infrastruktur, was sich negativ auf die Gesundheit der dort lebenden Menschen auswirkt. 

Welche konkreten naturbasierten Lösungen haben Sie in Koa Hill umgesetzt? 

DMcE: Bei diesem Projekt haben wir hauptsächlich mit Vetivergras und Bambus gearbeitet. Diese Pflanzen sind sehr nützlich und wertvoll, weil sie ein umfangreiches, starkes Wurzelsystem haben, das den Boden stabilisiert. Mit ihnen lassen sich das Risiko von Erdrutschen verringern, Flussufer schützen und Überschwemmungen reduzieren. Auch beim Entwässern spielen sie eine wichtige Rolle.

MV: In Koa Hill haben wir Bambus und Vetivergras vor allem entlang des Flussufers gepflanzt. Das Gras wurde vom Implementierungsteam gezielt eingesetzt, um das Wasser von den Gemeinden wegzuleiten. Außerdem wurde es unterhalb des Erdrutschgebietes gepflanzt, um die Häuser besser zu schützen. 

In ihren Projektberichten betonen Sie, wie wichtig die Einbindung der Bevölkerung bei der Umsetzung der naturbasierten Lösungen war. Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um Einheimische zu involvieren? 

MV: Wir haben eine örtliche NGO unterstützt, dabei aber eher im Hintergrund agiert. Das haben wir bewusst so gemacht, weil die Organisation bereits das Vertrauen der Gemeinde hat, weiß, was funktioniert und was nicht, besser improvisieren kann und langfristig da sein wird.

DMcE: Die lokale NGO hat dann Studentinnen und Studenten der National University der Salomonen hinzugezogen. Sie übernahmen die Arbeit vor Ort und standen als Mentoren für die Gemeinde zur Verfügung. Die Abmachung war, dass die Gemeinde selbst fünfzig Prozent der Arbeit leisten musste. Sie halfen bei den Aufräumarbeiten, bei der Bepflanzung und der Anlage der städtischen Gärten. Es gab Sensibilisierungsmaßnahmen und Workshops, um möglichst viele Menschen einzubeziehen und deren Eigenverantwortung zu fördern.

Warum war es bei diesem Projekt so wichtig, mit den Gemeinden zusammenzuarbeiten? 

MV: Die Menschen vor Ort haben bereits ein tief verwurzeltes Wissen darüber, wie man mit der Natur umgeht und arbeitet. Wir schauen uns an, was ihnen fehlt und welche Stärken sie haben, um dann herauszufinden, wie wir sie am besten unterstützen können.

DMcE: Es ist wichtig zu verstehen, dass naturbasierte Lösungen in Europa nicht mit naturbasierten Lösungen im Pazifik zu vergleichen sind, weil die Menschen dort weiterhin eine direkte Beziehung zu dem Land und zum Meer haben, auf dem sie leben und worauf sie angewiesen sind.  Das ist der Gesichtspunkt, unter dem wir an Projekte herangehen müssen, anstatt einen Top-down-Ansatz zu verfolgen, der meist mit kolonialen Machtdynamiken zu tun hat. Das Wichtigste ist, das Vertrauen der Gemeinschaften zu gewinnen. Wenn wir Workshops veranstalten, sagen wir in der Regel als Erstes: „Nicht wir sind die Experten, sondern ihr. Wir sind hier, um zu erfahren, was eure Bedürfnisse und Prioritäten sind.“ Wenn man einfach hinginge und Vetviergras anpflanzte, ohne vorher ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, würde sich niemand darum kümmern und die Pflanzen würden bald absterben. 

Wie hat sich das Projekt in Koa Hill entwickelt? 

DMcE: Dank der naturbasierten Lösungen konnten wir nicht nur das Klimarisiko der Gemeinde in Koa Hill verringern, sondern auch die Mitglieder zusammenbringen. So wurde ein Zusammenhalt geschaffen, den es vorher nicht gab. Teil des Projekts war zum Beispiel der Bau eines städtischen Gartens, in dem die Menschen ihr eigenes Vetivergras anbauen können. In vielerlei Hinsicht übernehmen sie dort also die Verantwortung für diese Initiative, die auch in Zukunft noch von Nutzen sein kann. Darin liegt sogar wirtschaftliches Potenzial, da man das Vetivergras an andere Gemeinden verkaufen kann. Es ist keine perfekte Lösung, aber das Leben der Bevölkerung lässt sich dadurch nachhaltig verbessern.

Mit welchen Herausforderungen waren Sie konfrontiert? 

MV: Naturbasierte Lösungen sind langfristige Lösungen. Die Natur braucht Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Pflanzen erbringen ihre Leistungen nicht schon als Sprösslinge. Zudem müssen sie richtig gepflegt werden. An einigen Stellen funktioniert das in Koa Hill wirklich gut und das Vetivergras hat bereits einen spürbaren Unterschied bei Überschwemmungen gemacht. Ein Teil des Grases ist allerdings auch abgestorben, weil sich nicht richtig darum gekümmert wurde. 

Und wie geht es jetzt weiter? 

DMcE: Die Vereinbarung für eine Verlängerung für 2025, das letzte Jahr des Projekts, wurde soeben unterzeichnet. Eines der Projekte, die wir in Angriff nehmen werden, wird der Ableitung von Abwasser dienen, um das Trinkwasser zu schützen. Meine Hoffnung ist, dass die Gemeinde in Koa Hill nach Abschluss des Projekts in der Lage sein wird, die Arbeit ohne externe Hilfe fortzusetzen