„Mit viel Herz und Gefühl“
Maryam De Sarre für ZN ALI, 2024.
Foto: Crista Leonard
Interview von Atifa Qazi
Herr Ali, Sie sind mit Ihren Eltern im Alter von fünf Jahren aus Pakistan nach Großbritannien gekommen. Der Stil von ZN ALI, Ihrem Modelabel, scheint stark durch Ihre familiären Wurzeln inspiriert. Wie kam es dazu?
Die Geschichte meiner Familie ist durch mehrfache Migration geprägt. Ich bin groß geworden mit Geschichten darüber, dass wir viele persönliche Gegenstände und Erbstücke verloren haben. Auf Hochzeitsfotos meiner Eltern fiel mir irgendwann ein wunderschöner Schal auf, den meine Mutter trug. Ich wollte ihn unbedingt genau nachgebildet haben, vom Material bis zur Stickerei.
Die Schneider in Pakistan, die ich beauftragte, wunderten sich, warum dieser „Ausländer“ so sehr darauf beharrte. Sie sagten, dass die Stoffe von damals heute zu teuer seien und dass bestimmte Techniken nicht mehr angewandt würden. So habe ich vor drei Jahren mein Modelabel gegründet. In meine Entwürfe fließen persönliche Geschichten. Ich habe keine formale Ausbildung in Design und ging ohne Regeln an die Sache heran.
Die Mutter von Zain Ali nach ihrer Hochzeit in Lahore, 1984.
Foto: Rolo Studio
Bei Ihrer Arbeit schöpfen Sie aus Erfahrungen mit Ihrer Familie. Wie wichtig war Mode für Ihre Verwandten?
Als Kind habe ich Fotos von meinem Vater aus den Achtzigerjahren gesehen. Seine Kleidung war so extravagant und bunt. Wenn die Eltern älter werden, ist es oft überraschend zu erfahren, dass sie einst experimentiert haben und Spaß an ihren Outfits hatten.
Wie viele Einwandererkinder war ich eher daran gewöhnt, dass sie immer hart gearbeitet haben. Ich wollte Mode machen, wie sie mein Vater, meine Onkel und meine Großeltern trugen – Menschen, die ich mir, obwohl ich sie sehr gut kenne, heute in dieser Kleidung nicht vorstellen kann.
Ihre Website zeigt alte Familienfotos aus Pakistan. Welche Rolle spielen die Bilder für Ihr Label?
Ich wollte, dass es sich auf meiner Webseite wie in einer familiengeführten Schneiderei anfühlt – etwas verstaubt, mit einem mürrischen Onkel, dem Sohn, der aushilft, und dem Geruch von frisch gekochtem Mittagessen. So sollte meine Marke insgesamt rüberkommen – mit viel Herz und Gefühl.
„Inzwischen lernen meine Eltern das Pakistan von heute aus meiner Perspektive kennen“
Da meine ersten Entwürfe durch die Kleidung meiner Familie inspiriert waren, schien es richtig, mit den alten Fotos anzufangen. Wenn ich mal eine eigene Schneiderei eröffne, möchte ich, dass die Leute dort nicht nur meine Entwürfe kaufen, sondern auch ihre eigenen Geschichten „visualisieren“ können.
Sie sind als Kind von Pakistan nach Großbritannien gezogen und haben später nochmal einige Jahre dort verbracht. Wie haben Sie die Verbindung zu Pakistan wiedergefunden?
Da ich in Großbritannien aufgewachsen bin, kannte ich das moderne Pakistan gar nicht und sah das Land nur durch die Brille meiner Eltern. Also begann ich, allein dort hinzureisen. Dann beschloss ich, ganz nach Pakistan zu ziehen. Ich lebte zwei Jahre lang in Lahore und bin seitdem immer wieder dorthin zurückgekehrt.
So konnte ich Menschen in meinem Alter treffen und mir ein eigenes Bild von dem Land machen. Inzwischen lernen meine Eltern das Pakistan von heute aus meiner Perspektive kennen, und so hat sich eine neue Dynamik zwischen uns entwickelt.
Der Vater von Zain Ali in Lahore.
Foto: privat
Wie beurteilen Sie die neue pakistanische Handwerkskunst und das Design?
Mein Eindruck ist, dass südasiatische Länder wie Pakistan, Indien und Bangladesch oft nur für Umwelt- und Produktionsprobleme bekannt sind, insbesondere für den Textilabfall. Ihr reiches Erbe an luxuriöser Handwerkskunst wird dagegen selten anerkannt.
In meiner Generation wächst jedoch der Wunsch, das lokale Design wiederzubeleben. Marken aus diesen Regionen verdienen einen Platz auf der globalen Bühne und können verschiedene Märkte erschließen.
Aber auch unsere eigenen Länder sind immense Märkte. Bestimmte traditionelle Stile werden nie aus der Mode kommen und sich weiterentwickeln. Interessanterweise dauert es oft länger, bis neue Trends die Diaspora erreichen. Wenn ich Pakistan besuche, sagen mir Designer: „Es ist komisch, die Leute in London kleiden sich wie wir vor zehn Jahren.“
Wie kommt das?
Südasiaten in der Diaspora tragen traditionelle Kleidung eher zu besonderen Anlässen. Aber in Pakistan, Indien und Bangladesch entwickeln sich die Menschen weiter und haben Freude daran, auch im Alltag mit diversen Outfits zu experimentieren und ihnen neue Bedeutung zu geben.
„Der Druck auf Künstler und Künstlerinnen, eine Kultur zu repräsentieren, kann erdrückend sein“
Es gibt heute wieder mehr Aufmerksamkeit dafür, was bei uns national in der Mode passiert, und weniger das Gefühl, man müsse sich an den Trends anderswo orientieren. Manche pakistanische Marken wecken in den jungen Leuten wieder mehr Interesse an traditioneller Kleidung und zeigen, dass sie auch im Alltag relevant ist.
Zain Ali in Kairo, 2022.
Foto: privat
Hat das auch eine politische Dimension?
Kleidung ist natürlich ein politisches Instrument, um die eigene Identität auszudrücken. In der Geschichte Pakistans wurde der Sari zum Beispiel einmal verboten, weil er für eine indisch geprägte Identität stand, die das Land überwinden wollte. Pakistan musste sich kulturell immer wieder neu definieren; Kleidung spielte dabei eine große politische Rolle.
Ist der Sari muslimisch genug oder doch zu hinduistisch? Sollten wir die Gharara wiederbeleben, die als muslimisches Nationalkleid in Südasien bekannt ist? Was ist mit muslimischem Schmuck? In Südasien lässt sich die politische Geschichte eines Landes daran ablesen, wie die Mode angenommen wurde.
Fühlen Sie sich verpflichtet, eine bestimmte Gruppe der südasiatischen Diaspora zu vertreten?
Der Druck auf Künstler und Künstlerinnen, eine Kultur zu repräsentieren, kann erdrückend sein. Klar prägt dich dein Hintergrund und es ist wichtig, das zu feiern, aber wir fühlen uns oft in der Verantwortung gefangen, eine kollektive Identität zu repräsentieren.
Im Grunde bin ich ein unabhängiger Designer mit einer Liebe für Mode, und alle sind eingeladen, eine eigene Verbindung zu meinen Entwürfen zu finden.