Warum wir hier sind
Foto: Shirin Bhandari
„Das ist alles, was ich kenne“
Carlota Tiro lebt seit ihrer Geburt auf dem Nordfriedhof von Manila
Foto: Shirin Bhandari
„Manche Leute sagen: Es muss schwer sein, auf einem Friedhof zu leben. Manche meinen sogar, unser Essen sei schmutzig, aber sie sollten wirklich nicht über uns urteilen. Unser Essen ist sauber, und ich liebe es, für meine Familie zu kochen! Wir haben Wasser und Strom. Wir haben alles, was die Welt da draußen auch hat. Der einzige Unterschied ist, dass wir von den Toten umgeben sind.
Es war immer mein Traum, einen eigenen Laden zu haben, schon seit ich jung bin. Ich bin sehr glücklich, dass sich mein Wunsch erfüllt hat, auch wenn er nur klein ist. Die Einnahmen fließen in unsere täglichen Ausgaben, für Lebensmittel und die Schulbildung meiner Kinder. Vor allem, wenn mein Mann gerade keine Arbeit hat. Ich versuche, meine Kinder zu ermutigen, fleißig zu lernen und ihre Ausbildung abzuschließen, damit sie bessere Chancen haben. Ich hoffe, dass sie irgendwann von hier weggehen, ihre eigenen Familien gründen und ein normales Leben draußen führen können. Ich selbst bin hier zufrieden. Ich wurde auf dem Friedhof geboren und habe mein ganzes Leben hier verbracht. Das ist alles, was ich kenne. In den letzten vierzig Jahren hatten wir hier keine Probleme. Die Lebenden können mehr Schaden anrichten als die Toten. Ich mag unsere Gemeinschaft, es ist ein ruhiges Leben. Man muss lernen, miteinander auszukommen, egal welchen Ort man sich zum Leben aussucht, denn wenn man gut zu anderen ist, werden sie auch gut zu einem sein.“
Protokolliert von Shirin Bhandari
„In meinem Viertel gibt es einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn“
Ahmed Mostafa ist ein großer Fan des Kairoer Fußbalclubs Al-Ahly SC
Foto: Privat
Ich bin 25 Jahre alt und lebe in der informellen Siedlung Bulaq El-Dakrour in Kairo. Meine große Leidenschaft ist Fußball. Als eingefleischter Fan des Al-Ahly SC, verbringe ich meine Freizeit damit, die Spiele der Mannschaft zu verfolgen und sie im Stadion anzufeuern. Für mich ist es der größte Verein in Ägypten. Abends gehe ich gerne im Stadtteil El Manial am Nil spazieren. Dort genieße ich am liebsten den Blick von der Abbas-Brücke auf den Fluss. In meinem Viertel gibt es einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn, das schätze ich ganz besonders. Vor allem in schwierigen Zeiten und wenn es einem schlecht geht, wird das deutlich. Dann bemühen sich alle hier, einander so gut zu helfen, wie es geht.
Protokolliert von Mohamed Gamal Salaman
„Ich bin hierhergekommen, weil ich wegen des Bürgerkriegs fliehen musste“
Ahmed Hussein Al-Masrouhi wohnt zusammen mit seinen 14 Kindern und Enkelkindern in einem Zelt im Al-Falah Slum
Foto: Ali Ibrahim Al Moshki
Ich lebe seit zehn Jahren in Sanaa, ich bin hierhergekommen, weil ich wegen des Bürgerkriegs aus Haddscha fliehen musste, einem Bezirk im Nordwesten des Landes. Dort hatte ich mein eigenes Haus. Heute wohne ich in einem Zelt an einem Gehweg mit meinen 14 Kindern und Enkelkindern zusammen; das jüngste ist vier Jahre alt. Die ersten Jahre stand das Zelt im Zentrum von Sanaa, bevor wir 2019 nach al-Falah, einem Slum im Bezirk Shamila, gezogen sind. Ich habe kein Geld, um die Miete für eine Wohnung zu bezahlen, also muss ich mit meiner Familie in dieser Unterkunft leben, die aus Planen, Kartons und alten Kleidungsstücken besteht. Wir haben noch nicht mal Decken oder Matratzen. Ich sammle Plastikmüll auf der Straße und verkaufe ihn. Damit verdiene ich rund 500 jemenitische Rial (etwa zwei Euro), manchmal Tausend am Tag. Außerdem sammeln wir Essensreste, trocknen sie in der Sonne und verkaufen sie dann. Manchmal geben uns Nachbarn etwas, zum Beispiel ein Mittagessen bestehend aus Brot, Reis und Hühnchen. Während wir Erwachsenen die meiste Zeit damit verbringen, Plastik zu sammeln, spielen die Kinder Fußball neben dem Zelt oder auf dem Gelände der nahe gelegenen Moschee.
Protokolliert von Ali Ibrahim Al Moshki
„Letztendlich gibt es nichts Schöneres als zu Hause zu sein“
José Antonio lebt seit 33 Jahren in Cañada Real
Foto: Isabel Garrido Martín
Ich bin 86 Jahre alt und ein bisschen schwerhörig. Ich lebe seit 33 Jahren in Cañada Real. Früher lebten nur halb so viele von uns hier und die Gegend war viel kleiner. Ich war damals Schausteller, habe auf Jahrmärkten gearbeitet und 500 Euro im Monat verdient. Jetzt bin ich Rentner. Ich könnte nirgendwo anders in Madrid über die Runden kommen außer in Cañada Real. Klar, mit hundert Euro mehr könnte ich besser überleben. Das ist kein großer Betrag, denn hier in der Cañada gibt man weniger Geld aus als sonstwo. Ich wohne in meinem Haus mit meiner Tochter. Wenn man hier lebt, spart man bei Strom, Wasser, Miete und anderen Kosten. Wenn ich nicht hier wohnen würde, könnte ich meine Kosten nie decken. Mein Haus ist ordentlich und voller Familienandenken. Was mir am besten gefällt, ist der Ofen: Er versorgt mich mit Wärme – wenn ich Strom benutzen müsste, könnte ich mir das gar nicht leisten. Letztendlich gibt es nichts Schöneres, als zu Hause zu sein. In meinem Alter bewege ich mich nicht mehr viel.
*Vollständiger Name wird aus Sicherheitsgründen nicht genannt
Protokolliert von Isabel Garrido Martín
„Ich würde diese Nachbarschaft für nichts tauschen wollen“
Rakhi Matan arbeitet als Dienstmädchen in einem reichen Viertel
Foto: Zofeen Ebrahim
Ich bin 39 Jahre alt und lebe mit meinem Mann, meinen drei Kindern und den Schwiegereltern in der Shireen Jinnah Colony, einer informellen Siedlung in Karatschi in Pakistan. Ich wohne hier schon seit meinem achten Lebensjahr. Es ist der Ort, an dem ich meinen Mann kennengelernt und unsere Kinder zur Welt gebracht habe. Als mein Mann einen Unfall hatte und seinen Job als Chauffeur verlor, begann ich als Dienstmädchen in einem reichen Viertel in Karatschi zu arbeiten. Das ist jetzt zwölf Jahre her, und ich kann mir nicht vorstellen, damit aufzuhören. Als Teilzeitkraft verdiene ich 33.000 Pakistanische Rupien im Monat (etwa 112 Euro), mehr als jeder andere in der Familie. Ich liebe dieses Viertel, weil es sich sicher anfühlt und wir Teil der hinduistischen Gemeinde hier sind. Die Straße, in der ich wohne, ist wenig befahren, sodass die Kinder draußen spielen können. Am meisten schätze ich die Abende in der Gemeinde. Dann versammeln sich Menschen aus der Nachbarschaft auf dem Bürgersteig, plaudern und tauschen Geschichten aus. Wir besprechen alles, vom Alltäglichen bis zum Bedeutsamen. Hier herrscht ein Kameradschaftsgefühl, das ich in den Häusern der Wohlhabenden, in denen ich arbeite, vermisse. Ich würde diese Nachbarschaft für nichts tauschen wollen.
Protokolliert von Zofeen Ebrahim
„Mein Lieblingsplatz in der Gegend ist der Skaterpark“
Christian Garzóns träumt von einer Zukunft weit weg von Gewalt und Angst
Foto: Juan Álvarez
Mein Name ist Cristian Garzón, ich bin 27 Jahre alt, wohne im Viertel Los Laches im Südosten von Bogotá und habe gerade meine Bachelorarbeit in Spanisch abgeschlossen. Ich lektoriere handgefertigte Bücher bei Totuma Libros und arbeite, wo immer ich kann: Ich berichte über Veranstaltungen, stehe herum, öffne Türen, bringe Leute nach Hause und korrigiere Texte für Menschen, die Zweifel bezüglich ihrer Syntax und Zeichensetzung haben. Außerdem rappe ich auch und verkaufe Hip-Hop-Platten. In meinem Haus leben fünf Personen und zwei Katzen. Ich habe vier Geschwister. In der Nachbarschaft gibt es einen grünen Hügel, aber man kann ihn kaum betreten ohne ausgeraubt zu werden. Wir haben diesen Platz für uns gefunden, aber manchmal kommen Leute hoch, um uns zu bestehlen. Ich habe kein festes monatliches Einkommen. Es variiert von Monat zu Monat. Im Durchschnitt sind es etwa 400.000 kolumbianische Pesos (etwa 85 Euro). In meiner Freizeit lese ich, schaue Kunstfilme, bei denen ich fast immer einschlafe, und fahre Skateboard. Ich mag es, stilvoll zu landen, wenn ich von meinem Skateboard falle. Außerdem spiele ich Basketball. Mein Lieblingsplatz in der Gegend ist der Skatepark. Für die Zukunft wünsche ich mir, möglichst weit weg von Gewalt zu sein und nicht in der Angst zu leben, eines gewaltsamen Todes zu sterben.
Protokolliert von Juan Álvarez