Gewerkschaften | Pakistan

Unsichtbare Heimarbeit in Pakistan

Frauen in Heimarbeit sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Pakistan, doch die Arbeitnehmerinnen sind oft isoliert und rechtlos. Eine Gewerkschafterin will das ändern
Eine Frau in senfgelbem Hemd mit gemustertem Schal lehnt neben einem Fenster an einem Geländer vor einer Betonwand. Sie trägt eine Brille, ihr langes graues Haar ist hinten zusammengebunden. Sie schaut nachdenklich zur Seite aus dem Fenster

Zehra Khan gründete 2009 die Home Based Women Workers Federation

Sie bauen Elektroteile zusammen, nähen Perlen auf Kleider oder etikettieren Ware: pakistanische Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter. Sie verrichten Tätigkeiten, die nicht von Maschinen erledigt werden können.

Bezahlt werden diese ungelernten Kräfte unter der Hand. Obwohl ohne sie viele Industriezweige nicht funktionieren würden, erscheinen ihre Namen in keinem Vertrag – und sie haben keine gesicherten Rechte.

Die Bedingungen, unter denen sie schuften, gehören zu den prekärsten in Südostasien, wo etwa die Hälfte der weltweit tätigen Heimarbeiterinnen beheimatet ist.

Zehra Khan möchte das ändern. Seit fast zwanzig Jahren engagiert sich die Gewerkschafterin aus Karatschi für die Rechte der Heimarbeiterinnen.

„Wie viele Heimarbeiterinnen und -arbeiter es in Pakistan gibt, weiß niemand so genau“

Mit der „Home Based Women Workers Federation“ (HBWWF) hat sie 2009 die erste Gewerkschaft für Heimarbeit in Pakistan gegründet.

Sie bringt Frauen zusammen, die sonst kaum eine Chance hätten, aus der Abgeschiedenheit ihres Zuhauses ihre Rechte einzufordern. Khan macht sie sichtbar und stärkt ihre Position gegenüber Auftraggebern.

Wie viele Heimarbeiterinnen und -arbeiter es in Pakistan gibt, weiß niemand so genau. Schätzungen gehen von zwanzig Millionen Menschen aus, die im informellen Sektor tätig sind, davon etwa ein Viertel in Heimarbeit. Klar ist, dass es sich dabei vor allem um Frauen handelt.

„In Pakistan ist es kulturelle Norm, dass Frauen im Privaten bleiben und nicht mit Fremden in Kontakt kommen“, erklärt Zehra Khan. Die 46-Jährige hat einen festen Händedruck.

„Oft schuften die Frauen und Mädchen mehr als zwölf Stunden am Tag und kümmern sich zusätzlich um den Haushalt.“

Viele der Heimarbeiterinnen fangen schon als Kinder an, weil ihre Familien Geld brauchen. Weil sie simple Tätigkeiten verrichten, sind sie für Unternehmer austauschbar.

Oft schuften die Frauen und Mädchen mehr als zwölf Stunden am Tag und kümmern sich zusätzlich um den Haushalt. „Da bleibt kaum Zeit, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren“, stellt Khan fest.

„Anfangs mussten wir von Tür zu Tür gehen, um die Frauen überhaupt zu finden“, erinnert sich Khan. Bei den Familien gab es viele Vorbehalte: „Sie dachten, wir wären Menschenhändler oder wollten ihre Frauen und Töchter verwestlichen, sodass sie den Männern nicht mehr gehorchen.“

Khan blieb dran und fand mit der Zeit die Frauen, die in ihrer Nachbarschaft einen gewissen Einfluss hatten und als Multiplikatorinnen fungierten.

„Als wir ihre Unterstützung hatten, konnten wir wachsen.“ Khan klärt Heimarbeiterinnen über ihre Rechte und mögliche Probleme ihrer Tätigkeit auf. Sie bekommen zu niedrige Löhne und werden nach Stückzahl bezahlt.

Auch steht ihnen keinerlei Hilfe zu, wenn sie etwa wegen einer Schwangerschaft oder Erkrankung nicht oder weniger arbeiten können.

Khan stammt selbst aus einer Arbeiterfamilie. Ihre Eltern waren nicht in einer Gewerkschaft aktiv, aber „es war immer üblich, sich ehrenamtlich zu engagieren“.

Im Zuge ihres Masterstudiums in Gender Studies mit den Heimarbeiterinnen in Pakistan. Ihr wurde klar, dass sie zu den am stärksten marginalisierten Gruppen gehörten. Je mehr sie über das Thema erfuhr, desto stärker wurde der Wunsch, die Lage der Frauen zu verändern.

Bei einer der ersten Versammlungen, erzählt Khan, hätten die Unternehmen den Arbeiterinnen noch gedroht, sie nicht mehr zu beauftragen, falls sie sich der HBWWF anschlossen.

Hunderte erschienen trotzdem: „Das war ein Wendepunkt“, erinnert sie sich. Heute hat die HBWWF etwa 4.500 Mitglieder. Von den meisten Auftraggebern und Zwischenhändlerinnen wird die Gewerkschaft mittlerweile als offizielle Vertretung der Heimarbeiterinnen akzeptiert.

„Viele europäische Unternehmen lassen ihre Produkte zu Niedrigpreisen in Pakistan und Nachbarländern fertigen.“

Manches wurde bisher nur auf dem Papier reformiert und muss erst noch umgesetzt werden. Zum Beispiel gilt der Mindestlohn von umgerechnet etwa hundert Euro pro Monat in der Provinz Sindh seit 2016 auch für Heimarbeiterinnen, die Glasarmreifen herstellen.

Sindh verabschiedete 2018 zudem als erste Provinz ein Gesetz, das zur Registrierung von Arbeiterinnen verpflichten soll. Nur wenn sie in der Produktionskette sichtbar werden, können sie ihre Rechte einfordern – in Pakistan und weltweit.

Denn viele europäische Unternehmen lassen ihre Produkte zu Niedrigpreisen in Pakistan und Nachbarländern fertigen. Einige Staaten wie Deutschland, Frankreich oder die Niederlande haben inzwischen Lieferkettengesetze, die Unternehmen verpflichten, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen an jedem Schritt ihrer Produktion aktiv zu verhindern.

Davon könnten auch die pakistanischen Heimarbeiterinnen profitieren. Für Khan und andere Gewerkschafterinnen sind die europäischen Gesetze ein Hebel, um Druck auf ihre Regierung und Firmen vor Ort auszuüben.

Darum wollen sie für Transparenz sorgen: „Wir bitten die Heimarbeiterinnen, immer zu fragen, von welcher Firma der Auftrag kommt. Jetzt kennen die Heimarbeiterinnen immer öfter Namen und Adresse des Auftraggebers, und wir können Stück für Stück die ganze Lieferkette einsehen.“