Standpunkt | Kenia

Ich bin dafür, dass Fitness wieder einfach wird

Der Druck auf Social Media kann schnell überfordern. Aber Fitness muss nicht teuer, kompliziert oder perfekt sein

„One Day oder Day One, du entscheidest!“ Diesen oder einen ähnlichen Spruch haben Sie sicher auch schon mal irgendwo aufgeschnappt, wahrscheinlich in den sozialen Medien. Eigentlich soll er ja dabei helfen, Dinge, die man bislang vor sich hergeschoben hat, endlich anzupacken, und zwar in kleinen Schritten und ohne einen Anspruch auf Perfektion. Aber ich persönlich leide, seit ich vor ein paar Monaten die ersten Videos mit diesem Slogan gesehen habe, in dem sich ziemlich fitte Menschen tummelten.

Ich bin jetzt Mitte dreißig und arbeite von zu Hause aus – mehr und mehr verspüre ich den Druck, etwas an meinem Lebensstil zu ändern. Ich müsste mich gesünder ernähren und mich mehr bewegen. Ja, bislang fielen schlechte Angewohnheiten nicht so sehr ins Gewicht, der Körper hat sie weggesteckt. Aber natürlich sollten auch Sie Ihren Blick nicht vor drohenden Problemen wie Osteoporose, Diabetes oder einer Herzerkrankung versperren.

Höchste Zeit also, etwas für die Gesundheit und Fitness zu tun, Schluss mit der Prokrastination. „Day One“statt „One Day«. Doch da beginnen die Probleme. Wer wie Sie und ich anfangen will, sieht sich mit einem Überangebot an Trainingsplänen, Diäten und Vorstellungen darüber konfrontiert, wie ein fitter, schöner Körper auszusehen hat. Für mich ist es wichtig, die ideale Mischung aus körperlicher Fitness und ästhetischer Verbesserung zu finden, mit der ich mich wohlfühle. Doch das ist gar nicht so leicht. Denn die Hemmschwelle wächst, wenn mir in den sozialen Medien ständig vorgeführt wird, wie spielend leicht andere die größten Challenges wie Eisbaden oder Cycling zu meistern scheinen.

„Realistisch betrachtet haben nur Influencer Zeit, stundenlang in einem Fitnessstudio abzuhängen“

Wir alle wissen, dass soziale Medien nicht real sind, aber sie sind so allgegenwärtig geworden, dass wir vergessen, dass alles, was online gestellt wird, eine Ware ist. Alles? Ja, alles, was keine Ausschnitte aus dem Alltag Ihrer Freunde und Familie sind, ist Marketing. Und das ist teuer. Die Mitgliedschaft im Studio kostet, ganz zu schweigen von einem Personal Trainer, Fitnessapps oder Diätplänen (Keto, Paleo usw.), Nahrungsergänzungsmitteln und High-Tech-Heimtrainern. Diese Liste wird jeden Tag länger.

Realistisch betrachtet haben nur Influencer Zeit, stundenlang in einem Fitnessstudio abzuhängen, Inhalte zu drehen und ständig neue Outfits zu zeigen. Das alles wirft für mich die Frage auf: Wie zugänglich sind Fitnessangebote eigentlich, zumal für Menschen, die nicht ohnehin schon einigermaßen in Form sind oder per se hochmotiviert und zudem über ein ordentliches Einkommen verfügen?

Gerade wegen des Überangebots des ständig wachsenden Fitnessmarktes ist es heute so schwer wie noch nie, eine einfache Sportroutine zu finden, die zu den eigenen Bedürfnissen passt. Womöglich hilft ein Blick zurück in andere Zeiten, als die Dinge in mancher Hinsicht noch einfacher waren. Ein Blick darauf, was die älteren Generationen für ihre Fitness getan haben, als sie etwa so alt wie ich waren: Spaziergänge mit Familie und Freunden; Treppen steigen statt Lift oder Rolltreppe; einkaufen gehen statt per Mausklick Lieferdienste zu beauftragen; sich die Zeit nehmen, selbst zu kochen.

„Fitness muss nicht kompliziert sein, und alles, was Sie brauchen, ist eine positive Einstellung“

Diese Personen sind reale Vorbilder, die das Gegengewicht zu den Fitness-Influencern darstellen können, nach dem wir uns alle sehnen. Wir wollen Leute, die uns erklären, wie man beim Kardio-Training keine Hautabschürfungen zwischen den Oberschenkeln bekommt, weil – seien wir realistisch – eine beträchtliche Anzahl von uns Hautabschürfungen davontragen wird.

Wir wollen Menschen, die uns zeigen, welche Anreize sie nutzen, um ein schwieriges Training zu überstehen (zum Beispiel zu einer Konditorei zu rennen; nicht ideal, aber sehr nachvollziehbar), und wie man seine Ernährung realistisch verbessern kann. Der letzte Punkt war ein echter Gamechanger für mich! Als ich Vegetarierin wurde, wusste ich nicht, dass ich viel mehr Stärke und Kohlenhydrate essen muss, um mich satt zu fühlen.

Natürlich will man aus vielerlei Gründen nicht in alte Zeiten zurück, aber es mag hilfreich sein, sich zwischendurch an die Einfachheit früherer Fitnessprogramme zu erinnern. Die Schwelle, die es zu überschreiten galt, um mit ihnen anzufangen, war niedriger, das Ganze mit weniger Organisationsaufwand verbunden, mit weniger Qual der Wahl, es war insgesamt beiläufiger und zugleich direkter daran gekoppelt, Spaß zu haben.

Wenn Sie sich also das nächste Mal zurückgelassen, überfordert oder unter Druck gesetzt fühlen, denken Sie daran, dass die sozialen Medien Sie anlügen. Fitness muss nicht kompliziert sein, und alles, was Sie brauchen, ist eine positive Einstellung. Für mich heißt das, dass ich jetzt erst mal nichts von den kostenpflichtigen Fitnessangeboten konsumiere, sondern mir die Zeit nehme, mehr Strecken zu Fuß zurückzulegen und auch öfter wieder tanzen zu gehen. Und dann, one day, wohl auch ganz gemütlich zum Joggen.