... die Stadt ein Ort für alle bleibt
Städte brauchen auch schmuddelige Ecken, damit sich eine vielfältige Gesellschaft entwickeln kann, argumentiert der Autor

Der Author Johnny Pitts
Foto: Jamie Stoker
Städte müssen bunt gemischt sein, sagte einst die weltbekannte Städtebaukritikerin Jane Jacobs. Sie sollten unordentlich sein und nicht zu sauber, Platz für eine große Bandbreite von Geschäften bieten und sowohl reiche als auch arme Menschen beherbergen. Ich selbst glaube, Städte müssen vor allem darauf achtgeben, dass sie ihre Seele erhalten. Es braucht Orte, an denen sich kulturelles Leben ungestört entwickeln kann – und enge Gassen mit Graffiti neben belebten Straßen.
Es ist genau diese bunte Mischung, auf die London einst so stolz war. Doch mittlerweile hat sich die Stadt verändert. Die Londoner Musikszene und der kulturelle Mix der Stadt zogen Menschen aus der ganzen Welt an. Heute erschreckt es mich, wie teuer London geworden ist. Meine alte Dreizimmerwohnung liegt in Peckham, einer von abgewrackten Hochhaussiedlungen geprägten Gegend, in der bekannte Sitcoms wie „Desmond’s“ und „Only Fools and Horses“ gedreht wurden. Früher stand Peckham wie kein anderer Stadtteil für das Arbeitermilieu. Jetzt ist mein ehemaliges Heim eine halbe Million Pfund wert. Es ist verrückt. Man kann in London heutzutage nicht mehr überleben, wenn man nicht zur Oberschicht gehört.
Wir müssen endlich aufhören, Wohnraum als Ware zu behandeln
Dabei sind es gerade die Städte, die in Zeiten großer Ungleichheit einen Beitrag leisten müssen, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu weit auseinandergeht. Wir müssen endlich aufhören, Wohnraum als Ware zu behandeln. Städte sollten Orte sein, an denen die Gemeinschaft gepflegt wird. Sie dürfen nicht zu Anlageobjekten verkommen. Dazu müssen Städte auch Orte dulden, die ein bisschen heruntergekommen sind. Ein gutes Beispiel ist die Sozialbausiedlung Heygate Estate. 1997 hielt Tony Blair in deren Nähe seine erste Rede als Premierminister. Kurz darauf wurde die Siedlung abgerissen, die Bewohnerinnen und Bewohner mussten wegziehen. So etwas passiert gerade nicht nur in London, sondern auch in Lissabon oder in Marseille, wo ich jetzt lebe. Überall kaufen Investoren ganze Stadtteile auf.
Diese Art der Verdrängung fällt nicht vom Himmel. Sie wird durch neue Formen der Arbeit befeuert, zum Beispiel durch die Start-up-Industrie. In diesem Wirtschaftszweig arbeiten oft junge Leute aus reichem Haus, die über viel Kapital verfügen. Deswegen können Start-ups oft vollkommen ortsunabhängig betrieben werden. Die Firmeninhaber kaufen sich also zum Beispiel ein schönes altes Haus in Lissabon und arbeiten von dort aus. So profitieren sie auch noch von den günstigeren Lebenshaltungskosten. Gleichzeitig gibt es in Lissabon Menschen, die vom Mindestlohn leben müssen und es sich nicht leisten können, mobil zu sein. Wenn sie umziehen, dann nur, weil sie verdrängt werden.
Wenn wir wollen, dass Städte ein Ort für alle bleiben, dann müssen wir in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf die Gebiete richten, die der kanadische Autor Doug Saunders als „Arrival Cities“, also als „Ankunftsstädte“ bezeichnet. Ein Begriff, der die äußersten Ränder der großen Metropolen bezeichnet. Man könnte diese Räume auch „das Hinterland“ nennen: Orte, an denen Einwanderer der ersten Generation leben und arbeiten. Orte, die nicht statisch sind, sondern immer in Bewegung. Genau dort entwickeln sich oft die spannenden Nischen des kulturellen Lebens.
Was im urbanen „Hinterland“ geschieht, das prägt wenige Jahre später auch die Zentren
Wenn es nach mir geht, dann liegt die Zukunft in der Peripherie. Denn was im urbanen „Hinterland“ geschieht, das prägt in der Regel wenige Jahre später auch die Zentren. Lassen wir diese Gegenden verkommen und verdrängen ihre Einwohner, dann schaden wir uns selbst. Natürlich ist das ein Balanceakt: Zum einen braucht die urbane Peripherie Geld und Hilfe von außen. Zum anderen muss man aber zugleich ihre Eigenheit respektieren – insbesondere, wenn man sie als Ort der Kreativität und Kultur erhalten will.
Vielleicht bahnt sich der Untergang der modernen Metropole aber auch schon an. Während viele Londonerinnen und Londoner ihre Stadt ob ihrer Exklusivität feiern, werden bei mir längst Erinnerungen an die japanische Immobilienblase der späten 1980er-Jahre wach: Damals stiegen die Immobilienpreise in Tokio ins Unermessliche – und dann platzte die Spekulationsblase mit einem großen Knall.
Aus dem Englischen von Caroline Härdter