„Unser Land wird nicht untergehen“
Auf den Malediven sind die Folgen des Klimawandels längst Realität. Umweltminister Hussain Rasheed Hassan über verschwindende Inseln und Pläne für den Katastrophenfall. Ein Gespräch
Herr Hassan, die meisten der rund 1.200 maledivischen Inseln liegen kaum mehr als zwei Meter über dem Meeresspiegel. Sollte das Wasser durch den Klimawandel weiter steigen, könnten große Teile des Landes überflutet werden. Für wie akut halten Sie diese Bedrohung?
Die Erderwärmung ist zweifelsohne die ernsthafteste Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes. Anders, als viele Leute glauben, ist das eigentliche Problem aber nicht der Anstieg des Meeresspiegels, sondern die sogenannte Korallenbleiche. Wenn die globale Durchschnittstemperatur bis 2030 wirklich wie prognostiziert um zwei Grad ansteigen sollte, dann werden sechzig bis neunzig Prozent unserer Korallenriffe zugrunde gehen. Wir haben das massenhafte Absterben von Steinkorallen zwar schon in der Vergangenheit beobachtet, aber in der Regel gab es danach auch immer wieder kühlere Phasen, in denen sich die Riffe erholt haben. Mittlerweile wird das Wasser jedoch so heiß, dass die Korallen für ihre Verhältnisse geradezu gekocht werden und irreversibel absterben. Das ist ein gewaltiges Problem, denn die Korallenriffe bilden nicht nur die Grundlage unserer Inseln, sondern fungieren vor allem auch als natürliche Wellenbrecher. Sie absorbieren die Energie großer Wellen unter Wasser, bevor diese auf das Land treffen. Wenn die Korallen sterben, dann werden viele Inseln schutzlos der Brandung ausgeliefert sein und langsam erodieren.
Haben Sie für so ein Szenario einen Notfallplan?
Es gibt natürlich eine Reihe von theoretischen Notlösungen, zum Beispiel den Bau von Schutzwällen aus Beton rund um Inseln wie Malé. So eine Mauer kostet allerdings 7.000 Euro pro Meter. Das ist für uns also kaum finanzierbar. Schließlich müssten Hunderte von Inseln geschützt werden. Konkrete Pläne für den Katastrophenfall liegen also nicht bereit. Es kommt für uns auch schlicht nicht infrage, große Teile unserer Bevölkerung nach Übersee oder auf andere Inseln innerhalb der Malediven umzusiedeln, so wie es oft in den Medien diskutiert wird. Wir verstehen uns nicht als zukünftige Klimaflüchtlinge. Für uns ist es unvorstellbar, dass die Malediven zum Atlantis der Neuzeit werden und man über unser Land schon bald nur noch in den Geschichtsbüchern liest. Stattdessen fokussieren wir unsere gesamte Energie darauf, dem Rest der Welt unsere Situation vor Augen zu führen und dafür zu sorgen, dass auf globaler Ebene alles getan wird, um den Klimawandel zu bekämpfen. Denn meiner Ansicht nach sind nicht allein wir Malediver für den Fortbestand unserer Nation verantwortlich. Es liegt auch in der Verantwortung der Weltgemeinschaft, sicherzustellen, dass es uns in Zukunft noch gibt.
Die Malediven haben gerade einmal 530.000 Einwohner. Wie wollen Sie da Druck auf die großen Industrienationen ausüben?
Wir machen unseren Größennachteil mit Hartnäckigkeit wett. Meine Kollegen und ich nutzen jede Gelegenheit, unserer Besorgnis über den menschengemachten Klimawandel Ausdruck zu verleihen. 2018 haben wir bei der UN-Klimakonferenz in Kattowitz zum Beispiel unser Veto gegen den ersten Resolutionsentwurf eingelegt und uns bei dem polnischen Vorsitz beschwert. Wir hatten damals den Eindruck, dass das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, von den größeren Nationen nicht ernst genug genommen wurde. Also haben wir klargestellt, dass der Entwurf überarbeitet werden muss. Andernfalls würden wir die Verhandlungen unterbrechen – und notfalls auf die Tische steigen und streiken. Das hat funktioniert. Um mehr Druck ausüben zu können, arbeiten wir auch mit anderen kleinen Insel- und Küstenstaaten zusammen, die ebenfalls besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. In der Allianz der kleinen Inselstaaten
(AOSIS) haben wir uns mit Ländern wie Haiti, Singapur, Fidschi und rund vierzig weiteren Staaten zusammengetan. Das ist ein Weg, um als kleines Land mehr politischen Einfluss zu gewinnen. Letzten Endes brauchen wir aber auch die Unterstützung mächtiger Verbündeter, wie etwa Deutschland, das in jüngster Vergangenheit immer sehr viel Verständnis für unsere Probleme gezeigt hat.
Durch Anteilnahme allein ist allerdings noch nicht viel gewonnen. Nehmen die großen politischen Akteure den Klimawandel und seine möglichen Auswirkungen auf Inselstaaten wie die Malediven ernst genug?
Natürlich stellen wir immer wieder fest, dass die ein oder andere Industrienation ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Oft sehen die Regierungen im Ausland auch schlicht keine Veranlassung, etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen. Und dann gibt es noch Staaten wie die USA, in denen manch ein Skeptiker abstreitet, dass es den menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt. Wir können unsere Zeit allerdings nicht damit vergeuden, über so etwas nachzudenken. Während man sich anderswo noch den Luxus erlauben kann, über den Klimawandel zu philosophieren, bekommen wir seine Auswirkungen bereits zu spüren. Die 44 AOSIS-Mitgliedsstaaten verursachen weniger als ein Prozent des globalen Kohlendioxidausstoßes, leiden aber am meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels. Wir wollen aber nicht jammern – und wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen. Derzeit werden zum Beispiel 96 Prozent der Energie auf den Malediven durch fossile Brennstoffe erzeugt. Da müssen wir besser werden. Eines meiner Ziele ist es deshalb, bis zum Jahr 2030 bis zu siebzig Prozent des Energiebedarfs unseres Landes mit Solarenergie zu decken. Statt mit Fingern auf andere zu zeigen, müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen.
Früheren maledivischen Regierungen ist das nicht immer gelungen. Während man auf der Weltbühne damit beschäftigt war, gegen den Klimawandel zu kämpfen, hat man die eigenen Umweltprobleme stark vernachlässigt; dazu zählt auch die zunehmende Vermüllung des Archipels ...
Das stimmt. Leider haben frühere Regierungen sich überhaupt nicht um die Umweltprobleme im Land gekümmert. Obwohl Einwegplastik schon seit Jahren ein riesiges Problem auf den Malediven ist, wurde nicht viel dagegen unternommen. Mittlerweile treiben vor den Küsten teilweise große Müllinseln im Meer, die hauptsächlich aus Plastik und Altmetallteilen bestehen. Auch dagegen wollen wir etwas unternehmen. Gerade arbeiten wir an einem Programm, das maledivische Haushalte mit großen Wasserbehältern versorgen soll. So wollen wir die Menschen dazu bringen, endlich damit aufzuhören, ständig kleine PET-Flaschen zu benutzen. Zudem beschäftigen wir uns auch mit der Frage, wie wir den Müll von den Küsten und aus dem Meer entfernen können. Da steht uns allerdings auch in gewisser Weise der Platzmangel im Weg. Unsere Inseln sind einfach nicht groß genug für den Bau moderner Mülldeponien. Wir müssen also kreativ werden und zum Beispiel mehr in Recyclingstrategien investieren.
Korallenbleiche, Überflutung, Plastikmüll: Haben Sie Angst, dass diese Probleme den Malediven als Reiseziel schaden könnten? Etwa siebzig Prozent des Nationaleinkommens werden schließlich durch den internationalen Tourismus generiert.
Es mag für den ein oder anderen sehr pragmatisch wirken, die Umweltproblematik unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu analysieren, aber ja, das ist eine sehr reale Gefahr für uns. Die Malediven haben keinerlei Bodenschätze wie Öl oder Gold oder Eisen. Was wir haben, sind wunderschöne Inseln, weiße Sandstrände, kristallklare Lagunen, exotische Fische, Meeresschildkröten, Haie und Rochen. Die Natur ist unser Kapital. Wenn all das nicht mehr da ist, dann wird auch niemand mehr hierherkommen. Der internationale Tourismus wird einbrechen. Wenn wir also von der Umweltzerstörung auf den Malediven sprechen, dann sprechen wir bis zu einem gewissen Grad auch von der Zerstörung der maledivischen Wirtschaft. Ich bin aber sicher, dass unser Land nicht untergehen werden. Wir Malediver werden auch in zwanzig Jahren noch hier sein, komme, was wolle. Immerhin sind wir die Töchter und Söhne von Reisenden und Seefahrern. Wir sind anpassungsfähig und wir werden unsere Heimat nicht verlassen. Wenn es sein muss, bauen wir unsere Häuser eben auf Pfählen.
ein Interview von Kai Schnier
aus dem Englischen von Caroline Härdter