Überliste dich selbst!
Auch, wenn wir es nicht wollen: Unsere Wahrnehmungsmuster verleiten uns zu diskriminierenden Entscheidungen. Iris Bohnet hat Rezepte dagegen
Langsam wird es zäh: Seit Jahr zehnten bekunden Verantwortliche in Wirtschaft und Politik, dass Gremien, Podien und Führungszirkel in Deutschland pluralistischer werden sollen, sie sich ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis wünschen – aber es geht nicht voran. Wer wissen will, woran das liegt: Hier sind die Antworten. Die Schweizer Verhaltensökonomin Iris Bohnet, die in Harvard lehrt, hat unzählige empirische Studien ausgewertet. Das Ergebnis ist eine herbe Kränkung unseres Egos: Die meisten unserer Entscheidungen sind nicht Ergebnis einer freien, rationalen Willensentscheidung.
Menschen sind in ihrem Handeln viel mehr von äußeren Umständen und Normen beeinflusst, als ihnen bewusst ist. Zum Beispiel von Geschlechterstereotypen. Auch wenn wir glauben, unvoreingenommen zu handeln – in der Regel tun wir es nicht. Wir sehen größtenteils, was wir glauben, dass Frauen und Männer tun sollten. Weicht eine Person von diesen Erwartungen ab – etwa eine Frau, die fordernd und bestimmend auftritt –, finden wir das unsympathisch.
Möchten wir in puncto Gleichstellung effektiv etwas an den Verhältnissen ändern, genügen deshalb ein bisschen guter Wille und plumpe Mechanismen wie starre Quoten nicht. Sondern es müssen Verfahrensweisen und Gewohnheiten analysiert und je nach Kontext verändert werden. Iris Bohnet nennt das Verhaltensdesign.
1970 dümpelte zum Beispiel der Frauenanteil in den US-amerikanischen Top-Orchestern bei fünf Prozent, obwohl die Jurymitglieder felsenfest davon überzeugt waren, sie wählten Kandidaten und Kandidatinnen nach dem objektiven musikalischen Können aus. Sind Frauen schlechtere Musiker? Die Orchester gingen dazu über, Bewerberinnen und Bewerber beim Vorspielen hinter einen Wandschirm zu setzen. Oh Wunder: Die Chancen der weiblichen Bewerbe rinnen stiegen um fünfzig Prozent. Inzwischen sind über 35 Prozent Frauen in den Ensembles. Bohnet empfiehlt, wie Unternehmen ihr Design neutraler gestalten können. Selten ist das so offensichtlich wie beim Orchestervorhang. Das Design eines Multiple-Choice-Fragebogens etwa beeinflusst das Abschneiden der Geschlechter: Wird bei falschen Antworten ein Punktabzug angedroht, kreuzen Frauen in der Regel nichts an, wenn sie die Antwort nicht wissen. Männer hingegen raten einfach – häufig richtig. Ohne Punktabzug raten Frauen genauso oft. Wie von Zauberhand werden ihre Ergebnisse signifikant besser.
Die statistisch messbare Benachteiligung von Frauen beruht weniger auf böser Absicht als vielmehr auf Psychologie. Was wir glauben, das erkennen wir wieder, und handeln so, dass es Realität wird. Ein Teufelskreis, aber Iris Bohnet schlägt Wege vor, ihm zu entkommen. Traditionelle Gleichstellungsbemühungen sind allerdings vergeblich, sogar kontraproduktiv. Im schlimmsten Fall halsen sie Frauen überflüssige Coachings und Trainings auf für Dinge, die sich individuell überhaupt nicht ändern lassen. Menschen fühlen sich bei kontrastereotypem Verhalten unwohl. Deshalb werden Frauen und Männer bei Gehaltsverhandlungen unterschiedlich behandelt: Männer, die viel Geld fordern, entsprechen dem Bild von Männlichkeit. Frauen, die genauso auftreten, widersprechen aber dem Bild von Weiblichkeit und gelten als unsympathisch. Es hilft nichts, wenn sich Frauen verhalten wie Männer: Sie haben dann vielleicht ein gutes Anfangsgehalt, gelten aber im Unternehmen als herrschsüchtige Zicke.
Frauen können selbst etwas tun: Es gilt als akzeptierte Form von Weiblichkeit, für andere zu kämpfen: Ich lege nicht viel Wert auf Geld, aber ich will nicht dazu beitragen, den Gender Pay Gap größer werden zu lassen – so hat sie gute Chancen, ein gutes Gehalt auszuhandeln und trotzdem als sympathisch wahrgenommen zu werden. Andererseits hat sie auf diese Weise selbst Stereotype bedient. Es ist eine große Stärke des Buches, aufzuzeigen, dass es die eine richtige Lösung nicht gibt. Wir müssen experimentieren und anerkennen, dass die meisten Verfahrensweisen, die wir als »neutral« wahrnehmen, es nicht sind.
Nicht nur Männer, auch Frauen beurteilen andere Frauen kritisch. Das erklärt, warum Frauen in Führungspositionen nicht automatisch andere Frauen mit sich ziehen. Allerdings beurteilen Chefinnen tendenziell auch ihre männlichen Untergebenen kritisch – was wiederum ein Grund dafür sein könnte, warum besonders Männer schlecht auf weibliche Vorgesetze zu sprechen sind: Sie haben es mit ihnen statistisch gesehen schwerer als mit männlichen Vorgesetzten.
Genaues Hinschauen ist auch dort interessant, wo Mechanismen der Gleichstellung sich als kontraproduktiv erwiesen haben. Halbherzig durchgeführte »Diversity Trainings« in Unternehmen zum Beispiel. Es gibt einen verbreiteten Mechanismus, wonach Menschen, die glauben, Gutes getan zu haben, sich berechtigt fühlen, Schlechtes zu tun: Manager, die gezwungenermaßen einen Tag im Diversity-Workshop verbracht haben, neigen hinterher dazu, männliche Bewerber zu bevorzugen. Gut gemeint bedeutet nicht gut gemacht. Die gute Nachricht: Es gibt mehr Möglichkeiten, etwas für mehr Diversität und Chancengerechtigkeit in der eigenen Organisation zu tun, als die meisten sich träumen lassen. Man muss es nur wollen.
What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann. Von Iris Bohnet. Aus dem Englischen von Ursula Schäfer. c.h. BecK, München, 2017.