Zehntausend Liebesmacher
Die indische Organisation „Love Commandos“ bietet Paaren Schutz vor Zwangsheirat
Mohammed und Bhagy sind im gleichen Dorf im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh aufgewachsen. Sie verliebten sich und wollten heiraten. Aber Bhagys Verwandte wollten einen muslimischen Schwiegersohn auf keinen Fall akzeptieren. Die Familie gehört zu den Brahmanen und als Tochter der obersten Kaste der hinduistischen Gesellschaft dürfte Bhagy nicht einmal einen Mann aus einer der drei niedrigeren Kasten heiraten – von einem Moslem ganz zu schweigen.
Immer wieder rufen Politiker und Aktivisten die Inder dazu auf, außerhalb ihrer Kaste zu heiraten. In Uttar Pradesh gibt es dafür sogar Geldprämien. Aber das Tausende Jahre alte System, das Hochzeiten außerhalb der Kaste und Religion verbietet, ist in der indischen Gesellschaft tief verankert – und das, obwohl es vor fast siebzig Jahren offiziell abgeschafft wurde. Vor allem im konservativen Norden Indiens kommt es immer wieder zu sogenannten Ehrenmorden. Die Familien veranlassen eher den Tod ihrer Kinder als zu akzeptieren, dass sie jemanden aus einer anderen Kaste heiraten. Laut Amnesty International werden in Indien zwischen sechzig und achtzig Menschen im Monat im Namen einer fragwürdigen Ehre getötet.
Sanjoy Sachdev und Harsh Malhotra wollten das nicht mehr hinnehmen. Der Journalist und der Reiseleiter gründeten 2010 in Neu-Delhi zusammen mit drei Freunden die Organisation „Love Commandos“ mit dem Motto „No more honor killings“. Zunächst versuchten sie, Liebende am Valentinstag vor Angriffen religiöser Fanatiker zu schützen. Doch schnell wurde ihre Initiative zum Vollzeitjob. Mittlerweile besteht „Love Commandos“ aus einem landesweiten Netzwerk von mehreren Zehntausend Freiwilligen und mehr als zweihundert geheimen Notunterkünften.
Die Mitarbeiter beraten Paare, die der Kastentradition trotzen und deren Familien ihnen mit dem Tod drohen. „Love Commandos“ organisiert die Flucht vor den Verwandten und versteckt die Paare. Manchmal sind es nur ein paar Wochen, meistens Monate. Wenn alles gut geht, steht am Ende eine Hochzeit. Die Organisation versucht, eng mit der Polizei zusammenzuarbeiten, und zählt auch Anwälte zu ihren Unterstützern. „Die Polizei in Delhi hat uns bisher immer geholfen. In anderen Bundesstaaten helfen die Sicherheitskräfte hingegen den Familien“, erklärt der Gründer Sachdev.
Nachdem Mohammed und Bhagy sich bei „Love Commandos“ gemeldet hatten, flüchteten sie nach Neu-Delhi. „Bhagys Familie erstattete Anzeige wegen Entführung und ein Mob überfiel das Haus von Mohammeds Eltern, setzte es in Brand und stahl das Vieh. Wir haben das Paar rechtlich unterstützt und es über mehrere Monate in Delhi versteckt.“
Der„Entführungsfall“ konnte mittlerweile geklärt werden, aber gegen die Gruppe, die Mohammeds Familie angriff, wurde nichts unternommen. Mittlerweile sind die beiden verheiratet und umgezogen. Mohammed ist zum Hinduismus konvertiert. Kontakt zu ihren Familien hat das Paar nicht.
Es sind nicht nur die Eltern der Geflüchteten und Teile der Polizei, die sich an der Arbeit der Liebeskommandos stören. Sachdev und seine Mitstreiter tragen mir ihrer Arbeit zur Auflösung des Kastensystems bei. In den Augen ihrer Kritiker bringt das die „kosmische Ordnung“ durcheinander. Es entmachtet die höheren Kasten. Dies wollen Hindu-Nationalisten und religiöse Fundamentalisten um jeden Preis verhindern. In den letzten Jahren wurde die Organisation mehrmals angegriffen. Einzelne Mitarbeiter bekommen Morddrohungen. Im August 2015 wurde eine Ehrenamtliche umgebracht. Fest steht für Sachdev, dass die Liebeskommandos vor allem durch Medienberichte bekannt geworden sind. Geld für Flyer und Werbung gibt es kaum. Alles ist komplett von Spenden abhängig. Mehr als 40.000 Paare hat Love Commandos nach eigenen Angaben innerhalb der letzten sechs Jahre zusammengebracht.