Die Menschenfänger
Populisten verkaufen uns simple Realitäten und klare Zugehörigkeiten. Über die Folgen einer neuen Identitätspolitik
Unter all den skandalträchtigen Aussagen, die Donald Trump während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes getroffen hat, gibt es eine, die bisher nur wenig Beachtung gefunden hat: „The only thing that matters is the unification of the people“, das Einzige, was zähle, sei die Einheit des Volks, verkündete Trump bei einer Veranstaltung im Mai dieses Jahres. Das klingt erst einmal harmlos, aber es ist der zweite Teil des Satzes, der entscheidend ist: „... and all the other people don’t matter“, „... und all die anderen Menschen zählen gar nicht“. Trump teilte die Amerikaner also ein, in ein vermeintlich „wahres“ Volk und den Rest. Die Zugehörigkeiten sind dabei ganz einfach verteilt: Wer sich gegen Trump ausspricht, der zählt automatisch nicht mehr zu diesem harten Kern, weder moralisch noch politisch, wer ihm wiederum folgt, ist herzlich willkommen.
Es ist genau diese von Trump vorgenommene Trennung, mehr noch als seine hetzerische Rhetorik gegenüber Minderheiten und das Beleidigen seiner Widersacher, die ihn als Populisten identifiziert. Denn während sich Populisten selbst gerne als die Verfechter grundlegender demokratischer Ideale wie Volkssouveränität oder als engagierte Anwälte direkt-demokratischer Verfahren wie Referenden gerieren, tun sie vor allem eines: Sie teilen die politische Welt stets in ein moralisch unbeflecktes, homogenes Volk auf der einen, und eine korrupte, unmoralische Elite auf der anderen Seite ein. Mehr als das selbst erklärte Gegengewicht zu einer liberalen Demokratie, in der sich Eliten zu weit von den Bürgern – oder, wie es häufig so schön von oben herab heißt – den „kleinen Leuten“ entfernt haben, sind die Populisten diejenigen, die ebenjene Trennungen vornehmen. Dazu kommt immer noch ein Alleinvertretungsanspruch: Sie und nur sie, behaupten die Populisten, repräsentierten dieses „wahre Volk“. Daraus folgt zweierlei: Erstens sind politische Mitbewerber aus Sicht der Populisten eigentlich durch die Bank illegitim und zweitens fallen all diejenigen Bürgerinnen und Bürger komplett durch das Raster, die ihnen ihre Unterstützung verweigern.
So forderte etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Kritiker im Jahr 2014 mit folgenden Worten heraus: „Wir sind das Volk, wer seid ihr?“ In diesem Sinne geht es Populisten gar nicht darum, den vermeintlich wahren Volkswillen zur Geltung zu bringen. Sie möchten keinen ergebnisoffenen und im Zweifelsfalle auch immer komplizierten demokratischen Willensbildungsprozess in Gang bringen. Vielmehr leiten sie den Willen des vermeintlich wahren Volkes aus der einen – aus ihrer Sicht einzig korrekten – symbolischen Repräsentation des Volkes ab. Deswegen ist beispielsweise bei amerikanischen Populisten immer von „real Americans“ die Rede. Was das Volk will, ergibt sich ohne Weiteres aus dem kulturell und moralisch von den Populisten vorgegebenen Bild der „American People“. Umgekehrt gilt: Wer sich den Populisten entgegenstellt, gilt sofort als Volksverräter oder zumindest Bürger zweiter Klasse. Man denke an den polnischen Populisten Jaroslaw Kaczynski, der Kritiker als „Polen der schlimmsten Sorte“ bezeichnete, die den Verrat „genetisch“ in sich trügen.
Populismus ist also immer eine Form von Identitätspolitik – es geht darum, wer „wir“ wirklich sind. Doch nicht jede Form von Identitätspolitik ist populistisch. Was die Populisten auszeichnet, ist, dass sie grundsätzlich und wie bereits angedeutet antipluralistisch sind: Das Volk wird als völlig vereinheitlicht gedacht; andere Parteien werden grundsätzlich unter Verdacht gestellt, das wahre Volk nicht zu repräsentieren. So warf etwa der populistische österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer seinem Konkurrenten Alexander Van der Bellen vor: „Sie haben die Hautevolee – und ich hab’ die Menschen.“
Die Grundannahme der Populisten ist, dass sich demokratische Gleichheit nur als Homogenität verwirklichen lässt. Doch wäre es ein Kurzschluss zu meinen, Populismus sei deswegen letztlich immer eine Form von Nationalismus. Populisten brauchen in der Tat notwendigerweise Kriterien, um ihr wahres Volk von denen, die nicht wirklich dazugehören, zu unterscheiden. Diese Kriterien mögen oft als vornehmlich kulturell oder ethnisch erscheinen: Beispielsweise ist der „echte Amerikaner“ weiß, männlich, protestantisch und Besitzer einer Waffe, was selbstverständlich ein Klischee ist – aber genau darum geht es ja bei der populistischen „Volksrepräsentation“. Letztlich muss die Unterscheidung im Kern aber eine moralische sein; die kulturellen Attribute funktionieren als Kürzel für bestimmte moralische Differenzen: Der echte Amerikaner arbeitet hart und tut seine Pflicht für Familie und Vaterland. „Die anderen“ tun dies nicht.
Diese Art der populistischen Kategorisierung ist kein Alleinstellungsmerkmal der politischen Rechten. Auch am linken Rand des politischen Spektrums gibt es Beispiele dafür, wie Politiker die Bürgerinnen und Bürger in moralisch abgesteckte Gruppen einteilen, etwa in das „gute Volk“ und korrupte Oligarchien. Letztlich bleibt dem Volk bei rechten wie linken Populisten also nicht viel zu tun. Es muss einfach nur existieren und seine symbolische Repräsentation seitens der Populisten akzeptieren.
Der Staatsrechtler Carl Schmitt brachte diese vermeintlich authentisch demokratische Logik auf den Punkt, als er schrieb: „Die einstimmige Meinung von 100 Millionen Privatmenschen ist weder Wille des Volkes, noch öffentliche Meinung. Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamatio, durch selbstverständliches unwidersprochenes Dasein ebenso gut und noch besser demokratisch geäußert werden als durch den statistischen Apparat, den man seit einem halben Jahrhundert mit einer so minutiösen Sorgfalt ausgebildet hat. Je stärker die Kraft des demokratischen Gefühls, umso sicherer die Erkenntnis, daß Demokratie etwas anderes ist als ein Registriersystem geheimer Abstimmungen.“
Den vermeintlich wahren Volkswillen gegen das auszuspielen, was Schmitt abschätzig „den statistischen Apparat“ nannte, dies tun Populisten immer wieder. Wenn sie eine Wahl nicht gewinnen, liegt es nicht an ihnen, sondern daran, dass die „schweigende Mehrheit“ nicht zum Zuge kam. Hier besteht ein entscheidender Unterschied zu demokratischen Politikern: Auch Letztere machen Repräsentationsangebote an die Bürger; auch Letztere streiten darüber, was ein Land ist und sein will – man denke nur an die Rolle des deutschen Bundespräsidenten, der ja vom Amtsverständnis her schon zu identitätspolitischen Grundsatzäusserungen aufgefordert ist. Doch suchen demokratische Politiker die Auseinandersetzung mit den Bürgern und schließen nicht alle aus, die mit ihren Vorstellungen nicht übereinstimmen. Und wenn sie eine Wahl verlieren, sind sie bereit zuzugeben dass es an ihnen lag, und nicht an Verschwörungen wie der Lügenpresse, welche es dem Volke verwehrt hätten, seinen wahren, eindeutig bestimmbaren Willen kundzutun. Demokratische Politiker akzeptieren, dass das Volk nur im Plural auftritt, wie es Jürgen Habermas einmal formuliert hat.
Nun wäre es ein Kurzschluss zu meinen, alle Wähler populistischer Parteien seien ebenfalls eingefleischte Antipluralisten, bei denen man sicher sein könne, dass es auf die eine oder andere Weise mit ihrem Demokratieverständnis hapere. Populisten machen auch Politik mit Interessen und nicht nur mit Identitäten; und mancher mag seine Interessen plausibel von ihnen vertreten sehen, auch wenn er dem moralischen Alleinvertretungsanspruch der Populisten nicht unbedingt etwas abgewinnen kann. Gleichzeitig wäre es aber naiv zu meinen, beispielsweise alle Trump-Anhänger seien eigentlich nur „Verlierer der Globalisierung“, die mit einer anderen Wirtschaftspolitik ohne Weiteres auf die Seite der pluralistischen, toleranten Demokratie gezogen werden könnten.
Was können etablierte Parteien also tun? Was kann man populistischen Bewegungen entgegensetzen? Ihre Anhänger auszuschließen wäre ein Fehler, denn damit würde man nur die These bestätigen, dass die herrschenden „Eliten“ sich vom Volk entfernen und sich nicht für die Ängste der Bürger interessieren. Trump und Co. können sich dann weiterhin als Tabubrecher und demokratische Märtyrer inszenieren. Man sollte also die Auseinandersetzung suchen. Nur: Sich mit Populisten auseinanderzusetzen, heißt nicht, wie Populisten zu reden. Man sollte die von ihnen angesprochenen Probleme aufgreifen, ihnen aber nicht die Einordnung dieser Probleme überlassen. Bisweilen muss man sich dafür auch auf das heikle Terrain der Identitätspolitik begeben. Es gilt dann, Angebote zu machen, die den identitären Reinheitsversprechen der Populisten attraktive Visionen von Toleranz und Pluralismus entgegensetzen.