Viele Stimmen stärken

Braucht Europa einen gemeinsamen Fernsehsender? Die europäischen Länder betreiben Auslandssender mit internationaler Reichweite. Reicht das, um eine gemeinsame Identität in Europa zu stiften und ein Gegengewicht zu Nachrichtenmonopolen, wie etwa in Russland, zu bieten?

Erst in jüngster Zeit haben die Gefahren, die von einem Monopol russischer Medien, die mit der politischen Linie des Kreml abgestimmt sind, ausgehen, die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit erlangt. Sie haben viele europäische Führungskräfte dazu inspiriert, über einen gemeinsamen Fernsehsender in russischer Sprache nachzudenken. Angesichts des mächtigen staatlich geförderten Fernsehimperiums in Russland erscheint ein paneuropäischer Sender als logische Antwort. Aber ein gemeinsamer Fernsehsender benötigt ein gemeinsames Publikum. Gibt es ein solches europäisches Publikum, das durch Sprache und Kultur verbunden ist? Ich glaube nicht.

In Europa gibt es ein buntes Gemisch von Zuschauern, ob im deutsch-, spanisch- oder finnischsprachigen Raum. Das ist unsere Stärke! In der Weise, wie den verschiedenen europäischen Zuschauern eine große Auswahl an Medien zur Verfügung steht, sollte auch das russische Publikum das Recht haben, eine Wahl zu treffen. Auch angesichts der russischsprachigen Bevölkerung in der Europäischen Union betrifft das Medienmonopol in Russland Europa.

Wie kann man also die Vielfalt in der russischen Medienlandschaft stärken? Eine Studie des Europäischen Demokratiefonds, die von der niederländischen Regierung gefördert wurde, benennt unterschiedliche Möglichkeiten. Auf Grundlage breiter Erfahrungen und Beratungen mit Medien weltweit rät die Studie nicht dazu, einen europäischen Fernsehsender in russischer Sprache, der unterschiedliche Länder abdeckt, zu schaffen. Die Menschen wollen und brauchen ein lokales Programm, das ihnen diejenigen Informationen und Sendungen bietet, die sie betreffen.

Worauf konzentriert sich das russische Medienmonopol derzeit? Welche Weltsicht vermittelt es seinen Zuschauern? Der russische Journalist Igor Jakowenko schrieb kürzlich, Russland „läuft Amok“. Jakowenko zitiert hierfür zahlreiche Beispiele. Am russischen Marinetag beispielsweise verweigerten zwei Raketen während eines lange geplanten Manövers „die Kooperation“. Um dies zu überspielen, konzentrierten sich die russischen Medien einfach auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die bei den Bayreuther Festspielen vom Stuhl gefallen war. Die Medien, die die Russen und die russischsprachige Bevölkerung in vielen Staaten sehen, lesen und hören, bringen die Geschichten, die ihnen für ihre Zwecke gerade recht kommen, anstatt sich an professionelle Medienstandards zu halten.

Die Debatte über einen europäischen Fernsehkanal in russischer Sprache lenkt vom eigentlichen Problem ab, der russischen (Des-)Informationspolitik, die geschickt von einer Flut von Medienablegern, die unter der Kontrolle des Kreml stehen, umgesetzt wird. Wir müssen ihnen mit ausgewogenen, vielfältigen Medienalternativen begegnen.

Solch unabhängige Medien gibt es in der russischen Infosphäre durchaus. Aber sie sind durch das kreml-dominierte Medienmonopol an den Rand gedrängt worden. Selbst Oligarchen und Werbeeinkünfte sind gegen den Druck des Kreml nicht immun und entziehen ihren Medien daher die Unterstützung.

Ein Beispiel ist grani.ru, ein unabhängiges Nachrichtenportal, das sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Dessen Einkünfte durch private Investoren und Werbung sind plötzlich ausgeblieben – aufgrund von politischem Druck. Andere Medien in Russland ziehen ins Ausland und verbreitern so den Graben in der Medienlandschaft.

In Lettland wurde im Oktober 2014 Meduzia.io gegründet. Es ist ein russischsprachiges Onlineportal, das seinen Nutzern objektive Nachrichten, verlässliche Informationen und professionelle Analysen bietet. Solche Initiativen tragen dazu bei, die Vielfalt und Ausgewogenheit der russischsprachigen Medienlandschaft zu bewahren.

Meduzia und grani zeigen auch, dass das Fernsehen schlicht überholt ist. Was einst ein klassischer „Sender“ war – ein begrenzter, ständiger Vertriebskanal in eine Richtung –, hat sich heute zu einer Multimedia-Vertriebsplattform gewandelt. Wir brauchen genau so einen modernen „Sender“, um auf die kremltreuen Medien zu reagieren und um Nachrichten und andere Inhalte durch eine Kombination von traditionellen und digitalen Medien zu liefern – nicht nur in die Wohnzimmer, sondern auch auf die mobilen Geräte.

Wir Europäer, die im Medienbereich arbeiten, wollen, dass unsere Partner und Nachbarn dieselben Rechte auf Medienvielfalt und -wahlmöglichkeit genießen wie wir in Europa. Indem wir unterschiedliche Mittel zur Entwicklung der Medien fördern, können wir ihnen dabei helfen, die Vorteile der Medienfreiheit auszuschöpfen – sei es durch ein multimediales Vertriebsnetzwerk, eine Nachrichtendrehscheibe, eine „Content-Fabrik“ oder ein Medienkompetenzzentrum.

Das sollte heute Priorität haben. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer gemeinsamen Entschlossenheit und koordinierten Anstrengungen aller Medienakteure. Das meint nicht nur jene in der Europäischen Union, sondern auch solche, die in Russland oder anderen Ländern arbeiten, also alle, die an vielfältige, ausgewogene und moderne Medien glauben.

Aus dem Englischen von Claudia Kotte