Russland: Wodka mit Milch, Ei oder Roggenbrot

Wäre ich ein Reiseveranstalter, würde ich Führungen in russischen Supermärkten anbieten – das Spirituosenregal entlang. Diese faszinierende Reise begänne bei den billigsten Wodkaflaschen mit ganz schlichtem Design, dann vorbei an den mittleren Preisklassen, wo die Gestalter sich Mühe gegeben haben, und endete bei den ganz teuren, die unbändige Erfindungsgabe und Liebe zum Gegenstand bewundernd: Wodka mit Milch, mit Ei, mit Roggenbrot, mit Honig oder mit Silberstücken versetzt. Lassen Sie sich die Etikettenpoesie übersetzen! Ein solches Regal kann leicht über fünfzig Meter lang sein. Russen lieben Wodka und freuen sich über dessen Vielfalt und gestiegene Qualität, obwohl die Zahl der Spirituosentrinkenden unter zwanzig Prozent liegt. Diese aber trinken viel, kennen kein Maß. Insgesamt werden in Russland mit jedem Jahr weniger Spirituosen konsumiert. Die Mittelschicht steigt auf Wein um, die Unterschicht trinkt immer mehr Bier. Wir Wodkatrinker sterben allmählich aus auf unserem langen Weg von billigen zu überteuerten Wodkas. Und zurück.

Oleg Jurjew, geboren 1969 in Leningrad, ist Schriftsteller.

Frankreich: Du vin!

Schaut man sich die Straßen in Paris an, scheint von den französischen Markenzeichen, Baskenmütze, Baguette und Wein, nur noch die Baguette übrig zu sein. Seit den 1960er-Jahren sind mehr als achtzig Prozent der Bistrots verschwunden, jene Orte der Geselligkeit, an denen man mit dem Unbekannten an der Theke philosophierte – samt einem Glas Wein. Kürzlich zeigte eine Umfrage, dass die Franzosen statt Wein zunehmend Wasser und Cola in Restaurants trinken, obwohl der Wein unter den alkoholischen Getränken immer noch das beliebteste ist. All diesen Hiobsbotschaften zum Trotz will ich meinen Glauben an die französische Weinkultur bekennen, an eine gewisse Selbstverständlichkeit im Umgang mit Wein und Genuss. Sie ist damit verbunden, dass eine gute Flasche immer noch einen größeren Stellenwert hat als eine glänzende Stoßstange. Santé!

Alain Xavier-Wurst, geboren 1969 in Paris, lebt als Journalist in Hamburg.

Ägypten: Flüssiges Brot

Mit Ausnahme der Koranverse, in denen der Wein im Diesseits für verboten erklärt wird, während den Gläubigen im Jenseits ganze Flüsse davon versprochen werden, kannte ich in meiner Kindheit niemanden, der Alkohol erwähnte. Aber eine Frage ließ mich nicht los: Wie konnte der Koran den Wein für unerlaubt erklären und ihn doch als ein Privileg des Paradies betrachten? Etwa neunzig Prozent der Ägypter geben heute an, keinen Alkohol zu trinken. Aber er wird weiterhin im Land verkauft – trotz hoher Steuern und Alkoholverbots bei religiösen Anlässen. Tatsächlich wird Bier an den Kiosken nicht mehr neben Mineralwasser angeboten, wie es bis in die 1970er-Jahre der Fall war. Aber es gibt Hunderte von Kneipen und Restaurants, in denen alle Arten von Alkohol kredenzt werden. Das Bier nimmt in den Herzen der Ägypter einen bevorzugten Platz ein, so als setzten sie eine von ihren pharaonischen Vorvätern ererbte Tradition fort. Denn schon diese hatten das Bier geliebt und ihm den poetischen Namen „Flüssiges Brot“ verliehen.

Mansura Eseddin, geboren 1976 im ägyptischen Nildelta, ist Schriftstellerin und lebt in Kairo.

USA: Bier ist immer zu haben

Die Weltgesundheitsorganisation hat das Trinkverhalten der Amerikaner vermessen: 50 Prozent des konsumierten Alkohols ist Bier, 33 Prozent Spirituosen und 17 Prozent Wein. Wir Amerikaner lieben Bier, weil wir es gern verbraucherfreundlich haben. Was ist Amerika schließlich anderes als ein Netz aus Kiosken und Tankstellen-Shops? So ist unser geliebtes Budweiser nie weiter als drei Minuten entfernt. Ein amerikanischer Mann braucht außerdem etwas, das ihm gut in der Hand liegt, wenn ein Gewehr gerade nicht passt. Einen besonderen Platz in der amerikanischen Leber haben Wodka, Rum und Whiskey. Gemäß unserer superstrengen Fahren-unter-dem-Einfluss-von-Gesetze stellen diese Alkoholika aufgrund ihrer Stärke eine besondere Gefahr dar. Allerdings richtet die Polizei ihr Augenmerk weniger auf die Straßen als auf die Bürgersteige – auf der Lauer nach schwarzen Teenagern. Das Schlimme am amerikanischen Trinken ist, dass unser heiliges Volk es dämonisiert. So wird es interessanter für Jugendliche, die im heimlichen Komasaufen eine Zuflucht suchen. Klingt das melodramatisch? Was ist dann davon zu halten, dass zwölf Bundesstaaten den Verkauf von Alkohol an Sonntagen verbieten? Wo bleibt denn da die Verbraucherfreundlichkeit?

Joey Goebel, geboren 1980, ist Schriftsteller und lebt in Kentucky.

Spanien: Bloß keine Sangria!

Fast niemand trinkt in Spanien Sangria! Die meisten bevorzugen Bier. Der Bericht der Weltgesundheitsorganisation zeigt das deutlich: Fünfzig Prozent des spanischen Alkoholkonsums entfällt auf Bier. Den Rest bilden mit 28 Prozent Spirituosen, 20 Prozent Wein und 2 Prozent andere Alkoholika. Ob Jugendliche bei Botellón-Treffen, wie das billige Trinken auf öffentlichen Plätzen genannt wird, oder Familien beim Abendessen, Trinken ist in Spanien vor allem eins: entspannt.

Irene Pujadas ist Journalistin und lebt in Barcelona.

Costa Rica: Bier mit einem Schuss Gurao

Laut Weltgesundheitsorganisation verteilt sich der Konsum alkoholischer Getränke in Costa Rica wie folgt: 59 Prozent Bier, 36 Prozent Spirituosen und 5 Prozent Wein. Nackte, nüchterne Zahlen, die rein gar nichts über die Gründe aussagen, die ein ganzes Land dazu bringen, sich die Kante zu geben, und nichts über seine Trinkrituale. Es ist ein gemeinsames Merkmal erfahrener Trinker, ein ­Pale Lager – das Nationalbier Costa Ricas schlechthin – mit einem Shot Guaro (Zuckerrohrschnaps) zu sich zu nehmen. Man nennt das „ein gepresstes Bier”. Oder „U-Boot”, wenn der Shot direkt im Bierglas daherkommt. Fußball ist für die Einnahme von Alkohol nicht unerlässlich. Es genügt auch eine Taufe oder eine Beerdigung, eine neue Arbeit oder eine Kündigung, ein Willkommen oder ein Abschied, Erfolg oder Scheitern, Veränderung oder der Umstand, dass alles gleich bleibt. Anders gesagt, in Costa Rica trinkt man nur zu freudigen oder schmerzvollen Anlässen, aber auch, wenn es sich irgendwie dazwischen anfühlt. Bei uns herrscht ein metaphysischer Durst.

Luis Chaves, geboren 1969 in San José, ist Journalist und Dichter.

Malawi: Alkoholischer Haferbrei

In Malawi beginnt man den Abend mit Kachasu, einer örtlich gebrau­ten Spirituose unspezifischen Inhalts. Wenn sie stark genug ist, kann man damit auch sein Auto zum Laufen bringen. Oder es kann einen umbringen. Deswegen nennt man das Gebräu auch gern „Kill mich schnell“ oder „Metall“. Wenn man es richtig anstellt, ist Kachasu eine gute Basis für die Nacht. Aber noch besser eignet sich dafür Masese, ein dickflüssiges Bier aus Getreide. Es sieht aus wie Haferbrei und macht genauso satt. So überlebt man auch ein paar Schlucke Kachasu. Dann macht man sich auf den Weg zum nächsten Spirituosengeschäft, bestellt ein Carlsberg oder Tuborg und genießt das gekühlte Bier ganz zivilisiert. Von dieser teuren Importware braucht man nicht mehr viele, um durch die Nacht zu kommen, denn die Basis ist gelegt.

Samson Kambalu, geboren 1975 im Chiradzulu District in Malawi, ist Schriftsteller und lebt in London.

England vs. Italien: Fünf Bier gegen einen Prosecco

In Italien braucht man keine Runden zu spendieren. Manchmal denke ich, das hat mir das Leben gerettet. Mit vier Freunden auszugehen, heißt in England, fünf Bier zu trinken. Am Samstagabend benehmen sich die Engländer, als hätte man ihnen befohlen, sich zu betrinken. Nicht so die Italiener. Das soziale Trinken dreht sich hier meistens um den aperitivo, der selten mehr ist als ein einziger teurer Drink, ein Prosecco oder ein Cocktail. Und man beeilt sich nicht. Sich betrinken bedeutet in England, dazuzugehören. In Italien ist es oft ein Zeichen, dass man gerade nicht dazugehört. Man ist der einsame Rentner, der mit seiner Flasche zu Hause sitzt. Oder die arme Pennerin, die mit einer Flasche Bier in der Hand auf der Hauptstraße in der Nähe meiner Wohnung hin und her läuft. In Italien ist der Betrunkene ein Außenseiter.

Tim Parks, geboren 1954 in Manchester, ist Autor und lebt seit dreißig Jahren in Italien.

Brasilien: Bier statt Cachaca

Der Zuckerrohrschnaps, genannt Cachaça, hat die Brasilianer lange zu den größten Säufern der Welt gemacht. Aber in den letzten zwanzig Jahren ist das Land abgestürzt. Die Gesundheitsbewegung im Aufmarsch, die Evangelikalen – zu denen in Brasilien inzwischen ein Drittel der Bevölkerung zählt – auch. Beide unterstützen alle Gesetze, die Tabak, Alkohol und Sünden allgemein verbieten. Groß im Geschäft ist auch Bier. Sechzig Prozent des brasilianischen Alkoholkonsums geht auf das Bierkonto. In vielen Bars stand früher „Es ist verboten, dieses Lokal besoffen zu betreten. Es besoffen zu verlassen, ist kein Problem.“ Aber ich glaube, dort, wo diese Bars waren, stehen heute Bioläden, die vegane Sandwiches ohne Gluten verkaufen. Schöne neue Welt!

Zé do Rock, geboren in Porto Alegre, ist Schriftsteller.