Durchs Netz geschlüpft
Die chinesischen Behörden überwachen das Internet sytematisch. Wie man es trotzdem schafft, sie auszutricksen
Vieles, was im Internet veröffentlich wird, kann in China nicht einfach abgerufen werden. Denn das Netz wird von den Behörden massiv kontrolliert. Dabei stützt sich die chinesische Internetzensur zum einen auf die staatliche Firewall (Great Firewall), die das Aufrufen bestimmter ausländischer Websites verhindert, und zum anderen auf direkte und indirekte Zensurmaßnahmen, die die Inhalte im chinesischen Internet beschneiden. Um den Besuch ausländischer Websites einzuschränken, greifen die Behörden zu Mitteln wie dem sogenannten Cache Poisoning. Der Cache ist ein Puffer-Speicher, in dem bereits geladene Daten zwischengespeichert werden. Beim Cache Poisoning wird der Cache so manipuliert, dass man beim Aufrufen einer Website automatisch auf eine andere umgelenkt wird. Auch sperren die Behörden Domains wie www.facebook.com oder www.twitter.com sowie einzelne IP-Adressen (also die Adressen bestimmter mit dem Internet verbundener Server). Außerdem filtern die Behörden Internetseiten mithilfe von Schlüsselwörtern heraus. Viele chinesische Internetnutzer wissen jedoch, wie sie „die Mauer überwinden“ können. Mit Programmen wie Freegate und Shadowsocks sowie mit einem VPN-Tunnel können die Sperrungen aufgehoben werden. Bei einem VPN-Tunnel (VPN steht für „virtual private network“) entsteht eine direkte verschlüsselte Verbindung zwischen dem User und einem Server im Ausland. Über diesen Server wiederum kann man auf die in China gesperrten Websites zugreifen. Die Behörden können dabei aufgrund der Verschlüsselung nicht mitlesen. Darüber hinaus gibt es spezielle technische Mittel, um die Firewall zu überwinden. Zum Beispiel werden im Fall von Cache Poisoning Rechner benutzt, deren temporärer Speicher noch nicht von den Behörden infiziert wurde. Wenn der Zugriff auf Domains ganz gesperrt ist, können auf den Rechnern die Internetadressen der gesperrten Seiten lokal hinterlegt werden und so ist es dennoch möglich, diese aufzurufen.
Die chinesischen Behörden unternehmen alles in ihrer Macht stehende, um diese Tricks auszuhebeln. Mithilfe von sogenannten Sniffern sperren sie Verbindungen zu ausländischen IP-Adressen entweder sofort oder unterbrechen sie, wenn sie im Verdacht stehen, den „Sprung über die Mauer“ zu ermöglichen. Ein Sniffer ist eine Software, die den Datenverkehr eines Netzwerks überprüfen kann. So erreichen die Behörden, dass viele Verbindung, die in China über virtuelle private Netzwerke (VPN-Netze) laufen, ins Leere gehen.
Die zweite Methode, die die Behörden verfolgen, ist, chinesische Softwareentwickler einzuschüchtern. So haben etwa die Entwickler von Fqrouter, Qujing und Shadowsocks auf Druck der Behörden auf eine Aktualisierung ihrer Software, mit der die staatliche Firewall umgangen werden konnte, aufgegeben.
Wie funktioniert die strenge Kontrolle chinesischer Websites, die im Netz veröffentlichen dürfen? Die Behörden haben ein aufwändiges Verfahren eingerichtet, das die Betreiber von Webangeboten dazu zwingt, bevor sie ein Nachrichtenportal, einen Blog oder ein Forum online stellen, eine Genehmigung einzuholen. Anderenfalls werden diese als rechtswidrig eingestuft und gesperrt. Außerdem legen strenge Auflagen fest, welche Inhalte die Betreiber von Webangeboten veröffentlichen und verbreiten dürfen und welche nicht. Nicht genehmigte Inhalte gelten als rechtswidrig. Das kommt de facto einer Zensur gleich. Die Mitarbeiter im Propaganda- beziehungsweise Sicherheitsapparat der Regierung löschen die „unliebsamen Informationen“ entweder direkt oder fordern die Webseitenbetreiber dazu auf, dies zu tun. Außerdem wurden von der Regierung viele Gesetze, Verordnungen und interne Anordnungen erlassen, die die Webseitenbetreiber dazu nötigen, große Trupps von eigenen Zensoren zu beschäftigen. Freiwillige Selbstzensur und die Anforderungen der Propagandaabteilung sind ausschlaggebend dafür, welche Inhalte gelöscht werden. Halten sich die Webseitenbetreiber nicht an die Vorgaben, droht ihnen im günstigsten Fall ein Bußgeld und im ungünstigsten Fall die Deaktivierung ihrer kompletten Website.
So kommt es vor, dass bei Sina.com in Hochzeiten mehr als tausend Zensoren beschäftigt sind. Bei beliebten chinesischen Netzwerk-Plattformen, wie dem Mikroblogging-Dienst Sina Weibo und der kostenlosen Instant-Messaging-App Wechat der Firma Tencent, wurden strenge technische Kontrollmechanismen eingerichtet. Zum Beispiel kann dort ein Account für einen gewissen Zeitraum oder sogar für immer gesperrt werden. Internetnutzern, die „unliebsame Informationen“ senden, kann es passieren, dass sie eine Vorladung von den Behörden bekommen oder sogar verhaftet und bestraft werden. Der immense Druck, der von der Regierung ausgeübt wird, zwingt alle zur Selbstzensur. Die Buntheit, die früher Sina Weibo prägte, ist längst verflogen. Und das ist weitestgehend auf den im August 2013 von der Regierung angestoßenen Disziplinierungskurs zurückzuführen.
Um der Zensur ein Schnippchen zu schlagen, bleibt den Internetnutzern nur, möglichst schnell zu sein. Sind sie beim Senden ihrer Informationen schneller als die Zensoren beim Löschen, können sich die Nachrichten verbreiten. Und genau das ist der Grund, warum sich Nachrichten von wichtigen Ereignissen in China heutzutage häufig über soziale Netzwerke verbreiten und dort große Beachtung finden, noch bevor den Behörden die Wichtigkeit des Ereignisses überhaupt bewusst wird. Um ihre Nachrichten an den Behörden vorbei zu veröffentlichen, vermeiden die Internetnutzer spezielle Schlüsselwörter und benutzen bildhafte Umschreibungen. So bezeichnen sie den ehemals hochrangigen Politkader Zhou Yongkang als „fangbianmian“ (deutsch: Instantnudeln), weil der Name der beliebten Instantnudel-Marke Kang Shifu ebenfalls die Silbe Kang enthält.
Allerdings mussten die User inzwischen feststellen, dass die chinesischen sozialen Netzwerke inzwischen auch manche Umschreibungen identifizieren können und diese nicht mehr nützen, um der Zensur zu entgehen. Wird daraufhin allerdings ein Account abgeschaltet, meldet sich der Betreffende einfach mit einem neuen Account wieder zu Wort. In der Internetgemeinde wird dies als ID-Wechsel bezeichnet. Der bekannte Schriftsteller und Blogger Murong Xuecun zum Beispiel hat bei Sina Weibo schon zigmal seinen Account gewechselt. Angesichts der strengen Zensur bei der öffentlichen Plattform Sina Weibo wechseln die Netzbürger mittlerweile verstärkt zu Instant-Messaging-Plattformen wie Wechat, um ihre Nachrichten zu verbreiten. Diese Plattformen sind einfach die schnellsten Kommunikationskanäle.
Aus dem Chinesischen von Andrea Schwedler