Die Twitter-Könige
Mit 140 Zeichen kann man viel sagen. Das haben viele hochrangige Politiker erkannt. Eine Studie hat das Onlinegezwitscher untersucht
Twitter hat sich zum führenden Kommunikationskanal in der internationalen Politik und der digitalen Diplomatie entwickelt. Das fand die Kommunikationsagentur Burson-Marsteller im April 2015 in ihrer Studie zur aktuellen Twitter-Nutzung unter Politikern heraus. Staats- und Regierungschefs, die Vereinten Nationen, Außenministerien und Diplomaten nutzten den 140-Zeichen-Mikroblogging-Dienst, so die Studie, nicht allein als modernes Faxgerät, um ihre News und Botschaften in der Welt zu verbreiten, sondern zunehmend auch, um miteinander zu kommunizieren. Die Studie identifizierte die 669 Twitter-Accounts der wichtigsten Regierungseinrichtungen und Politiker aus 166 Ländern und wertete diese aus. Analysiert wurden Twitter-Profile, Tweet History und die Beziehungen der Twitter-Accounts untereinander – insgesamt mehr als 60 Variablen: von der Anzahl der Follower und den Tweets pro Tag bis hin zur Anzahl der Retweets, also der Meldungen, die von anderen weiterverbreitet wurden, und Hashtags, unter denen Meldungen zu einem bestimmten Thema zu finden sind, wie #IranDeal.
Die meisten Follower mit knapp 57 Millionen hat Barack Obama (Nutzername @BarackObama), gefolgt von Papst Franziskus (@Pontifex), der seine Botschaften in neun Sprachen verbreitet und von knapp 20 Millionen Followern abonniert ist. An dritter Stelle steht Indiens Premierminister Narendra Modi (@NarendraModi) mit mehr als 10 Millionen Followern. Sowohl Obama als auch Modi erkannten die Schlagkraft von Twitter als Wahlkampfinstrument und setzten sie erfolgreich ein, Obama bereits 2007.
Ein persönlicher Austausch zwischen Tweep, also jener Person, die tweetet, und Follower ist bei solchen Zahlen kaum mehr möglich, viele der analysierten Twitter-Accounts werden von einem ganzen Mitarbeiterstab betreut. Gleichwohl scheint sich der Stellenwert von Twitter als Plattform des politischen Informationsaustausches zu festigen: Die Mehrheit (85 Prozent) der 193 UN-Mitgliedsstaaten und 172 Staatsoberhäupter und Regierungschefs ist dort vertreten; die Studie zählte mehr als 4.100 twitternde Botschaften und Diplomaten weltweit.
Sich gegenseitig via Twitter zu folgen, interpretieren die Herausgeber der Studie als höfliche politische Geste. Sie nehmen an, dass der Dienst so beliebt ist, weil er zur direkten Konversation diene, die so „schneller und effektiver abliefe als mittels traditioneller diplomatischer Demarches“, der Wortmeldungen eines Staates gegenüber einem anderen. Die Relevanz des persönlichen Messagings via Twitter ist schwer nachzuprüfen und gegenseitiges Abonnieren stößt in der internationalen Politik an seine Grenzen und spiegelt die derzeitigen Machtverhältnisse wider: @BarackObama und der Twitter-Account des Weißen Hauses (@WhiteHouse) sind von 239 beziehungsweise 196 der analysierten politischen Twitter-Accounts abonniert und gehören zu den beliebtesten. @WhiteHouse hingegen folgt nur zwei führenden politischen Tweeps: dem russischen Premierminister Dmitri Medwedew (@MedvedevRussiae) und dem britischen Premierminister David Cameron (@Number10gov). Großbritannien, digitaler Vorreiter mit einer landesweiten Digitalisierungsstrategie, unterhält mit (@Number10gov) einen der wichtigsten politischen Twitter-Accounts, dem 195 führende Politiker und Institutionen folgen, und das weltweit größte diplomatische Twitter-Netzwerk mit über 230 twitternden Botschaftern und diplomatischen Einrichtungen.
Zahlen allein sind jedoch schwer zu interpretieren. So verzeichnete der ukrainische Präsident Poroschenko in weniger als einem Jahr einen 35-fachen Anstieg seiner Followerzahl: von 15.569 im Juni 2014 auf 570.457 im März 2015. Unklar ist, ob Poroschenkos Regierung selbst diesen Anstieg künstlich herbeirief oder ob „Pseudo-Follower“ nun seine Nachrichten negativ kommentieren, um ihm zu schaden.
Eine klare Deutung der Glaubwürdigkeit und zukünftigen Rolle Twitters fällt schwer. Allerdings erlauben sich nur noch wenige politische Persönlichkeiten, auf Twitter zu verzichten. Alle Regierungen der G-20-Staaten und die G-7-Regierungschefs haben einen Account – mit einer Ausnahme: Angela Merkel.
Selfies und Bilder sich umarmender Staatschefs und sechssekündige Impressionen via Vine-Videos, ein populäres Kurzvideoformat, machen einen wichtigen Teil der „Twiplomacy“ aus und verdeutlichen das Nebeneinander von Trivialem und Bedeutsamen, von Privatem und Öffentlichen, das die sozialen Medien so attraktiv macht. Im permanenten Gezwitscher scheinen punktuell wichtige politische Entwicklungen auf, die uns auf Twitter schneller und direkter erreichen, wie während der jüngsten Iran-Verhandlungen (#IranTalk und #IranDeal).