Kauf ich. Ein Heft über Konsum

„Wenn wir nichts produzieren, was machen wir dann?“

Ein Gespräch mit dem Filmemacher über Konsumkultur und Leistungsgesellschaft

In Ihrem Dokumentarfilm „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ beobachten Sie, wie Einkaufszentren geplant werden. Was ist daran spannend?

Malls sollen dem reinen Konsum einen Raum geben. Das fand ich interessant. Bereits Ende der 1970er-Jahre hatte ich begonnen, mich für neue Berufe und merkwürdige Kommunikationstätigkeiten zu interessieren: Managerfortbildung, Werbung oder Beratungsinstitutionen. Im „Harvard Book of Shopping“ las ich, dass Menschen erforschten, wie man in Malls die Schritte der Passanten justieren könnte. Die Forschungen ergaben, dass bestimmte Bodenbeläge den Gang beschleunigen und andere ihn abbremsen. Da dachte ich daran, ein Labor zu zeigen, in dem die Menschen beim Gehen erforscht werden. Denn genau das passiert in der Mall- und Verkaufsforschung.

Sehen Planer, Organisatoren, Geschäftsführer und Marketingberater die Menschen nur als Konsumenten?

Planer glauben einfach immer an die gültigen Rationalisierungsmoden. Es gibt in der Mall-Forschung eine Regel, wonach der Mensch einfach stehen bleibt, wenn nicht alle paar Meter ein Fenster kommt. Er braucht also eine ständige Response, ohne sich besonders konzentrieren zu müssen: eine Attraktion hier, eine Attraktion dort. Insbesondere das visuelle Erlebnis wird zu einer Folge von einzelnen Einstellungen anstatt eines vollen Raumerlebnisses. Das hat etwas Normierendes. Wenn man Malls so anbietet, dann konditioniert man die Menschen dementsprechend. Die Treppen und die Fahrstühle am Berliner Hauptbahnhof sind beispielsweise so raffiniert unterbrochen, dass man tausend mal an irgendwelchen Läden und Reklameflächen vorbeikommt.

Manche Szenen in dem Film sind unglaublich grotesk – wie die ewig lange Einstellung vor einem Supermarktregal, in der fünf Leute überlegen, wo das Toastbrot stehen soll. Was denken Sie in solchen Momenten beim Drehen?

Ich war begeistert, dass ich so etwas vor die Flinte kriegte! Vor dem Kauf eines Toastbrots wird so viel Planung und Überlegung betrieben, etwa geschaut, wie sich das Auge vor dem Regal bewegt. In laborähnlichen Situationen wird mit Eyemark-Recorder getestet, wer wohin schaut. In der Industrie und der Distribution gibt es einen wahnsinnigen Rationalisierungsdruck. Ich glaube, auch die klügs­ten Berater der Welt müssen ihre Existenzen retten, nach dem Motto: „Wenn wir nichts produzieren, was machen wir dann?“

Ihr Film „Ein neues Produkt“ von 2012 wirft ähnliche Fragen auf. Hier unterstützen Berater Unternehmen bei der Planung neuer Büroräume. Haben die Planungsprozesse für Malls und Büros etwas gemein?

Bei beiden waltet das gleiche Prinzip: der Versuch der Optimierung. Der Unterschied liegt darin, dass in Büros Raum gespart werden soll, um mehr Menschen unterzubringen. Was im Film „neue Lebensform, Flexibilisierung, Vergnügungsexistenz und Aufhebung von Arbeit“ genannt wird, hat ganz einfache Rationalisierungsgründe.

Einer der Berater schlägt vor, die Angestellten sollten mit ihren Vorgesetzten auch über private Lebensziele sprechen. Wozu soll das gut sein?

Die Identifikation mit der Arbeit schlechthin soll überall immer weiter gesteigert werden. Ich kenne eine Frau, die unterrichtet für beklagenswert geringes Geld Deutsch. Bei der Jahresversammlung wird verkündet, dass ihr Unternehmen nach Abzug der Unkosten einen Reingewinn von 3,5 Millionen Euro haben wird. Dann rufen die Mitarbeiter nicht: „Entschuldigung, warum können wir dann nicht fest angestellt werden oder die AOK bezahlt bekommen?“, sondern die finden das gut, dass der Laden so produktiv ist. Aber das ist er auf ihre Kosten. Ich bin einfach baff darüber.

Denken Sie, dass man sich dieser Leistungslogik noch entziehen kann?

Es ist ja nicht alles so ideal, wie es auf dem Papier aussieht. Man sagt immer, Qualifikation sei so wichtig. Aber wie viele Menschen kenne ich, die höchste Qualifikationen erreichen und überhaupt keine Marktchancen damit haben? Dadurch ergeben sich auch andere Lebensformen. Die Marktgängigkeit ist gar nicht so gegeben, wie sie idealisiert wird, deshalb gibt es auch Gegenmodelle dazu.

Erfordert das nicht trotzdem eine radikale Abkehr vom Marktsystem? Es ist schwer zu sagen: „Ich suche mir meine Nische ganz woanders“.

Das ist schwer, ja. Aber was kann einem Unilever versprechen, wenn man dort um zwei Punkte aufsteigt?

Bei Unilever kann man zumindest ab und zu ins Fitnessstudio gehen oder den Arbeitsplatz wechseln. Mit all dem Kalkül – begrünte Büros, flexible Arbeitsplätze – geht ja auch eine Humanisierung der Arbeitswelt einher. Es ist nicht alles „böse“.

Nein, gerade all diese sinnlosen Verbote, die es früher immer überall gab. Man durfte nicht mit dem Computer auf der Terrasse arbeiten, all dieser Unsinn, das gab es ja einmal. Das geht heute natürlich in solch einem Betrieb nicht mehr.

Ist es das Leistungsdenken, das den Konsumwahn erst ermöglicht? Werden wir erst dann weniger kaufen, wenn wir nicht mehr glauben, permanent Leistung bringen zu müssen?

Alle denken, wenn man 2.000 Euro in einer deutschen Großstadt verdient, wohnt man für beschissenes Geld in einer Wohnung, muss bei der Bäckereikette kaufen, bei H&M und KiK und so geht das weiter. Das befeuert die Leistungsgesellschaft natürlich unheimlich, diese wahnsinnigen Rangordnungen, das ist ja fast wie eine Feudalgesellschaft, wie sich das abstuft: Wer kauft was und wer isst in welchem Lokal? Dann gibt es 22 Methoden, einen Cappuccino zu bestellen und all diese prestigeträchtigen Dinge. Der Konsum differenziert sich unglaublich aus und auch darum gibt es diese völlig wahnsinnige Reichtumsspitze, die immer weiter nach oben geht.

Mochten Sie die Berater und Planer, die Sie begleitet haben, oder war Ihnen deren Welt doch sehr fremd?

Och, sagen wir mal, ein Autor muss die Leute nicht lieben. Ich habe gelernt, dass es genügt, wenn man sich für sie interessiert.

Das Interview führten Jenny Friedrich-Freksa und Fabian Ebeling