Toronto schreibt Geschichten

Ein kanadisches Mentorenprogramm unterstützt junge Autoren mit Migrationshintergrund

Toronto ist eine der Städte der Welt mit der größten kulturellen Vielfalt. Ungefähr die Hälfte der 2,8 Millionen Einwohner wurde nicht in Kanada geboren. Mehr als 140 Sprachen werden hier gesprochen, ein Drittel der Menschen kommuniziert in den eigenen vier Wänden außer in Englisch und Französisch, den kanadischen Amtssprachen, in anderen Sprachen miteinander. Eines der vielen kanadischen Programme, die zwischen Kulturen, Bevölkerungsgruppen und kulturellen Ausdrucksformen Brücken schlagen, ist das in Toronto ansässige Diaspora Dialogues. Hier verbessern junge Autoren ihre schriftstellerischen Fähigkeiten. Oft reflektieren sie in ihren Erzählungen das kulturelle Leben Torontos und Kanadas.

Die gemeinnützige Organisation unterstützt neue und etabliertere Schriftsteller, Dichter und Dramatiker mithilfe von Mentoren und Lesungen. Diaspora Dialogues wurde 2005 gegründet, um besonders „den Bedürfnissen von Neuankömmlingen zu dienen, die aus sprachlichen, finanziellen oder anderen Gründen keinen Zugang zur Verlagsbranche bekommen. Mit unseren Trainings helfen wir, den nächsten Schritt zu machen“, sagt Rebecca Fisseha, die das kostenfreie Mentorenprogramm koordiniert.

Autoren bewerben sich mit einer unveröffentlichten Arbeit in Buchlänge. Werden sie angenommen, bekommen sie einen erfahrenen Autor als Mentor zur Seite gestellt. In den nächsten sechs bis acht Monaten entwickeln die Autoren ihr Material unter der Betreuung ihres Mentors.

Alvis Choi kam vor drei Jahren aus Hongkong nach Toronto. Er fand Arbeit bei der Whippersnapper Gallery in Chinatown. Die Galerie unterstützt aufstrebende Künstler und ermöglicht den Austausch zwischen ihnen und ihrem lokalen Umfeld. „Also fing ich an genauer zu beobachten, wie Kunstzentren in diesen lokalen Austausch eintreten“, sagt Choi.

In einer Mischung aus geführtem Spaziergang und Performance präsentiert Choi, der sich als Transgender versteht, Orte in Chinatown, die eine persönliche Bedeutung für ihn haben. Die Performance namens ‚‚Love Behind the Bargain“ „zeigt alltägliche, intime Geschichten, die das Leben in Chinatown reflektieren und Themen wie Rassismus, Sexualität, Ausbeutung und kulturelle Stereotypen aufgreift“, so Choi. Aus diesem Projekt wollte Choi ein Buch machen. Ohne Schreiberfahrung bewarb er sich für das Mentorenprogramm bei Diaspora Dialogues und wurde ausgewählt. Sein Mentor Ian Williams unterrichtet kreatives Schreiben an einem College in Toronto und arbeitet nun seit einem halben Jahr mit Choi an seinem Manuskript.

Die Mentoren treffen sich meist ein- oder zweimal persönlich mit ihren Schützlingen. Hauptsächlich kommunizieren sie jedoch per E-Mail. Die Autoren schicken den Mentoren ihre Texte, die dann wiederum Vorschläge für Änderungen machen. So verläuft die Arbeit in einem ständigen Prozess des Feedbacks, in dem die Mentoren wie Lektoren agieren. Gemeinsam wird das Manuskript kontinuierlich weiterentwickelt.

Auch Jane Bao lernt so, wie man Texte in eine bessere Form bringt. Sie wuchs in China auf und kam mit 15 Jahren über die USA nach Toronto. Sie studierte Ingenieurswesen, brach jedoch nach einem Jahr ab. Bao bewarb sich im Frühjahr 2014 mit Kurzgeschichten für das Mentorenprogramm: „Es geht mir hauptsächlich um das Lektorat durch erfahrene Autoren“, sagt die 28-Jährige. Momentan überarbeitet sie eine Sammlung von Erzählungen, die sie an Verlage schicken möchte.

Für Teilnehmer wie Jane Bao und Alvis Choi wäre ohne Diaspora Dialogues eine solche Ausbildung undenkbar. Schreibkurse auf Universitätsniveau und Abschlüsse sind sehr teuer in Kanada. Aber auch Programme wie Diaspora Dialogues benötigen finanzielle Unterstützung, die hauptsächlich von den kanadischen Art Councils kommt. Diese werden von den Provinzregierungen und der Bundesregierung finanziert. Die Arts Councils unterstützen viele Programme und Fonds für Neuankömmlinge und Minderheiten, die die kulturelle Vielfalt und Integration in Kanada voranbringen sollen. Die Kanadier fördern solche Kunst- und Kulturprogramme schon lange öffentlich, wobei die Mittel dafür in den vergangenen Jahren leider zurückgegangen sind.

Aus dem Englischen von Annalena Heber