Kauf ich. Ein Heft über Konsum

Dir kauf’ ich alles

Pudel brauchen keine Gummistiefel, Babys keine Einstein-CDs. Warum wir sie ihnen trotzdem kaufen

Babys und Welpen: Jeder scheint sie zu lieben. Vielleicht ist es Instinkt, vielleicht Sozialisierung. Wahrscheinlich Letzteres. Denn in Washington, D.C., wo ich lebe, bleiben weit mehr Leute vor Welpen als vor Babys stehen, um Duzi-duzi-Laute von sich zu geben. Dabei sind in einigen Kulturen Hunde Fleischlieferanten, keine Liebesobjekte.

Das Interessante an Welpen wie Babys ist, dass Konsumenten auf der ganzen Welt Milliarden von US-Dollar in ziemlich zwecklose Produkte für sie investieren. Klar, diese Einkäufe sind Symbole ihrer Zuneigung oder Sorge. Aber machen sie die Tiere oder Kinder gesünder, glücklicher, schlauer oder sicherer? Ein Pudel braucht nicht wirklich Gummistiefel und ein Baby keine Einstein-CD für Babys,um seine kognitiven Fähigkeiten zu verbessern. Tiere benötigen sicherlich auch keine Halloween-Kostüme. Gleichwohl wurden 2013 in den USA 330 Millionen US-Dollar allein für Tierkostüme ausgegeben (zusammen mit weiteren 1,2 Milliarden US-Dollar für Kinderkostüme)!

Da 7,2 Milliarden Menschen die Erde bevölkern– und weitere zwei Milliarden bis 2050 noch hinzukommen werden –, ist der Luxus, Kinder und Chihuahuas zu verwöhnen, nicht einfach nur ein Beispiel dafür, wie Konsumenten dahingehend manipuliert werden, ihr Geld zu verschwenden, sondern eine ernste ethische Grenzüberschreitung.

Ist es fair, die globalen Fischbestände in Millionen Tonnen Katzenfutter zu verwandeln, wenn dies die Ressourcen in einem Ausmaß dezimiert, dass die Küstenbewohner nicht mehr genug zu essen haben? Ist es ethisch vertretbar, krebskranke Hunde mit Chemotherapien zu behandeln, wenn ein Großteil der Erdbevölkerung keinen Zugang zu diesen Heilmethoden hat?

Wenige Eltern oder Tierhalter denken darüber nach, welch größere Auswirkungen ihre Entscheidungen haben. Wenn Fido krank wird, geht man zum Tierarzt und tut, was dessen Meinung nach die Überlebenschancen des geliebten Hündchens maximal erhöht. Immerhin gehört er zur Familie. 83 Prozent der Amerikaner halten ihre Tiere heute für Familienmitglieder – ein Ergebnis der Humanisierung der Tiere, einer Marketingstrategie, die bewusst von der Heimtierbranche gefördert wird und sehr erfolgreich ist. Jedes Jahr geben die Amerikaner rund 55,7 Milliarden US-Dollar für ihre Tiere aus.

Und fangen wir lieber gar nicht an, von den Kindern zu reden: Vernünftige Eltern würden so ziemlich alles in ihrer Macht Stehende tun, um das eigene Kind vor Krankheiten zu schützen. Viele weitere würden große finanzielle Opfer bringen, um ihren Kindern die allerbesten Möglichkeiten zu verschaffen:sei es Lernspielzeug, seien es Eliteschulen oder medizinische Eingriffe – aber nur, solange es um Dinge geht, die man kaufen kann. Die meisten Eltern sind bereit, Geld in Fülle auszugeben, aber viel weniger willig, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.Viele zögern nicht, ihre Kinder in den ersten Lebensjahren „outzusourcen“ – an ein Kindermädchen oder die Kita –, oder die Brust gegen die Flasche mit Muttermilchersatz auszutauschen. Letzteres ist ja viel praktischer – oder einfach besser vermarktet. Es ist schon seltsam, wie komplett wir zu Konsumenten geworden sind. 500 Milliarden US-Dollarwerden jedes Jahr dafür ausgegeben, Konsumenten weltweit davon zu überzeugen, dass es ihnen bessergeht, wenn sie Coca-Cola trinken, Big Macs essen,Autos fahren, Tiere halten, Wegwerfwindeln nutzen oder zu weit entfernten Luxuszielen fliegen.

All diese Produkte zu kaufen, heißt natürlich, länger zu arbeiten – auch wenn das bedeutet, sein Kind in die Kita geben zu müssen und nicht genug Zeit zuhaben, sich um sich selbst zu kümmern, gesunde Gerichte zu kochen oder Sport zu treiben. Aber es gibt eine gute Nachricht: Während man dick und krank wird, weil man Junkfood isst, sein Leben sitzend und unter Stress verbringt, gibt es Arzneimittel zu kaufen,die den Blutzuckerspiegel, die Cholesterin- und sogar die Serotoninwerte unter Kontrolle halten, falls man depressiv wird und der eigene Hund nicht mehr dafür sorgen kann, dass es einem besser geht.

Kinder werden heute, noch bevor sie auf die Weltkommen, zu Konsumenten gemacht. Neue Untersuchungen zeigen, dass sich der Geschmack der Kinder schon im Mutterleib ausbildet. Wenn Mama Junkfood isst, wird ihr Baby empfänglich für diese Art von Ernährung. Wenn man den Kleinen Muttermilchersatz und Babynahrung aus dem Laden verabreicht, werden sie süße und salzige Produkte bevorzugen – statt hausgemachter und nährstoffreicher Nahrung. Bedenkt man dazu noch die Zeit vor Bildschirmen, denen die Jüngsten heute ausgesetzt sind, werden Kinder praktisch geboren als Gefangene in Platos Höhle der Schatten – nur stammen diese Schatten nicht von einem Feuer, sondern vom Flimmern eines iPads, Fernsehers oder Smartphones.

Geht es den Tieren besser? In den USA sind 53 Prozent der Hunde heute übergewichtig oder fettleibig.Ihre „Eltern“, die höchstwahrscheinlich selbst zu viel wiegen, geben ihnen viel zu viel Futter und viel zu wenig Bewegung.

Rein theoretisch betrachtet, würden die Menschen vielleicht aufhören, so viel Zeug für ihre Kinder und Tiere zu kaufen, wenn man die Werbung reduziert.Vielleicht aber auch nicht. Heute ist in Konsumkulturen das Kaufen von Dingen zum wichtigsten Mittel geworden, seine Liebe gegenüber einem anderen Wesen (ob menschlich oder nicht) auszudrücken. 65Prozent der Tierhalter besorgen sogar Weihnachtsgeschenke für ihre Tiere (obwohl ich vermute, dass ihre Hunde keine Christen sind).

In hundert Jahren, wenn sich die Erde um weitere vier bis fünf Grad erwärmt hat, wird man den Konsumenten die Schuld dafür geben, dass sie ihre dekadente Liebe zum Luxus nicht aufgeben wollten.Und am Ende ist es schwer zu sagen, ob die meisten von ihnen glücklicher sind aufgrund ihrer die Erde ausbeutenden Gewohnheiten. Sie sind einfach wie Rinder in der Massentierhaltung, die man zwangsernährt,damit man sie für den Profit schlachten kann.Währenddessen ist der Planet immer weniger dafür geeignet, die menschliche Zivilisation fortzuführen.

Irgendwie müssen wir die Konsumenten aus der Höhle, in der sie gefangen sind, befreien – zum Wohle ihrer Kinder, Tiere und insbesondere zum Wohle der vier Milliarden Nichtkonsumenten, die auf sie und die Gnade der sich verändernden Erde angewiesen sind. Und wie soll das gehen?

Plato dachte, dass der Gefangene, der einmal aus der Höhle geflüchtet ist, zurückgehen und die anderen herausziehen muss – selbst wenn die Gefangenen sich dagegen wehren. Obwohl ich der gleichen Meinung bin, denke ich, der Geflüchtete muss auch anfangen, eine neue Generation von Post-Höhlenbewohnern aufzuziehen, die dabei helfen können,einen besser koordinierten Gefängnisausbruch zu organisieren.

Was wird übrig bleiben, wenn die globale Konsumkulturangesichts steigender Meeresspiegel, Dürren und all der anderen apokalyptischen Albträume,die der Klimawandel mit sich bringt, zusammenbricht?Horden von wilden Tieren, die die menschliche Bevölkerung bedrohen? Kinder und Erwachsene,die nicht wissen, woher sie ihre Nahrung nehmen sollen, wenn es sie nicht mehr in den Geschäften zukaufen gibt? Man wird viele Lotsen brauchen, um diesen Exkonsumenten zu zeigen, wie man in der neuen Wirklichkeit überlebt.

Ich habe einen zweijährigen Sohn. Bisher hat er nur echte Lebensmittel gegessen und ist fast ausschließlich von seiner Mutter und mir aufgezogen worden. Wir haben uns bewusst dafür entschieden,nur ein Kind zu haben, sodass seine ökonomischen Kosten zu stemmen sind und – was noch wichtiger ist – seine Umweltkosten.

Aus dem Englischen von Carmen Eller