Kauf ich. Ein Heft über Konsum

„Die Menschen fangen an, zu teilen“

Der Portugiesin Adriana Freire ging das Geld aus. Deshalb gründete sie eine Nachbarschaftsküche

Mitten in der Finanzkrise in Portugal 2011 haben Sie eine Nachbarschaftsküche in der Mouraria von Lissabon, dem ehemaligen Maurenviertel der Stadt, gegründet. War das eine Antwort auf die schwierige finanzielle Situation?

Als Fotografin und Journalistin habe ich die Veränderungen am eigenen Leib gespürt. Ich bekam immer weniger Aufträge. Es war die Krise, die mich dazu brachte, mein Leben zu ändern. Ich wollte, dass sich Menschen beim Essen begegnen und kennenlernen und dass ein Austausch beginnt, der für alle von Vorteil ist.

Wer kommt zum Essen zu Ihnen?

Die einfachen Menschen im Viertel haben normalerweise keinen Kontakt zu den Arabern oder Indern hier. Jetzt kommen aber die Immigranten oft zu uns, um in der „Cozinha Popular“zu kochen – und die Einheimischen probieren alles. Essen ist eine universelle Sprache, die Barrieren abbaut. Die Leute tauschen jetzt auch Kleidungsstücke oder Informationen über Jobs aus.

Die Menschen werden also solidarischer.

Ja. Besonders weil wir kein Geld mehr zum Ausgeben haben! Viele meiner Freunde in Portugal leben von ihrem Ersparten.Wir müssen schauen, welche unnötigen Ausgaben wir vermeiden können. Anstatt gleich alles einzukaufen, könnten wir auch erst unsere Nachbarn fragen, ob sie haben, was wir brauchen. Leute, die ohne Geld zum Essen zu uns kommen, bekommen für etwas Hilfe in der Küche eine Mahlzeit. In diesem Sommer kam ein Mann und brachte uns ein Wildschwein und wir kochten ein riesiges Mittagessen. Die Menschen fangen jetzt an, zu teilen.Auch die Einstellung zum Konsum hat sich verändert. Wenn jemand ein Sofa braucht, kann er eins von den vielen nehmen,die bei uns herumstehen.

Denken Sie, dass die „Cozinha“ weiter bestehen wird, wenn sich die finanzielle Lage in Portugal wieder verbessert?

Ich glaube, dass die „Cozinha“ vor allem deshalb weiter bestehen wird, weil die Krise für immer bleiben wird. Selbst wenn wir höhere Löhne bekommen oder es wieder mehr Jobs geben sollte – woran ich nicht glaube –, müssen sich unsere Einstellungen grundlegend wandeln. Während in Deutschland seit längerer Zeit Recycling oder Urban Gardening praktiziert werden, müssen wir in Portugal unsere Gewohnheiten erst noch ändern.

Das Interview führten Annett Hellwig und Fabian Ebeling