Weißwurst in Tel Aviv
Der Erfolg eines bayrischen Lokals zeigt, wie sich das Deutschlandbild in Israel gewandelt hat
Eine ruhige Straßenecke im Viertel Tel Nordau, das keiner, den ich kenne, so nennt, sondern da bei Frischmann, Gordon rum, na, diese Straßen halt, zwischen Ben Jehuda und ... na, da eben. Im nächsten Umkreis: Falafel-Frischmann, Theater, Dizengoff-Platz, Meer, Café Mersand, mehr oder weniger dort, wo die Ben-Jehuda-Straße langsam siffig wird. An der Ecke zwei Holzbänke mit sanft geschwungenem Lattendach. Von einer beobachte ich die Passanten: geschafft auf dem Heimweg von der Arbeit, adrett auf dem Weg ins Theater, lässig unterwegs zum Strand.
Am hohen Himmel steht ein runder Mond, segeln graue Wolken. An der Ecke gegenüber das Restaurant Bayern: neu, leuchtend blau, hübsch, liebevoll hergerichtet, einladend. Auf dem Schild am Eingang steht "Bayern". Und darunter: "Bavarian Brasserie". Noch vor gut zehn Jahren wäre das in einer israelischen Stadt undenkbar gewesen - ein Restaurant, das es nicht nur wagt, stolz als deutsch zu firmieren, sondern auch noch begeisterte Aufnahme findet, als eines der trendigsten Speiselokale der Stadt. Seit seiner Eröffnung vor gut zwei Monaten ist es fast immer voll. Eine direkte Fortsetzung des Phänomens, dass Tausende junger Israelis Berlin zu ihrem Zuhause gemacht haben.
Es ist nicht das erste Restaurant mit einer solchen Küche in Tel Aviv oder auch in anderen Teilen Israels. Aber die "alten" Restaurants mitteleuropäischen Stils - deutsch, österreichisch, ungarisch, polnisch und so weiter - bedienten Immigranten aus diesen Ländern: die Jeckes, die Flüchtlinge, die dem Holocaust entkommen waren, die Überlebenden. Es war jüdisches Essen für jüdische Menschen aus diesen Gegenden Europas, und einige von ihnen, wie das Café Vienna in der Ben-Jehuda- oder das Keton in der Dizengoff-Straße, bestehen bis heute. Aber das "Bayern" ist das erste derartige Restaurant, das sich ausdrücklich deutsch oder bayerisch nennt und auf junge, trendige Tel Aviver Nachtschwärmer abzielt. Das mag anfangs nach einem mutigen Unterfangen ausgesehen haben, aber die Reaktion der Tel Aviver Zielgruppe auf diese Geschäftsidee zeigt, dass letzten Endes nicht viel dabei war.
Für diese Gruppe, für diese Generation hat Deutschland nicht mehr nur die eine Bedeutung, die der Schoah. Jene Bedeutung kann immer noch irgendwo nachklingen, in der Familiengeschichte, in der Erinnerung der Nation. Die junge Generation verbindet "deutsch" jedoch auch mit coolen Dingen, mit erstklassigen Autos und elektronischen Geräten, führenden Modemarken, großartigem Fußball. Und natürlich mit Berlin, der Großstadt, die es wegen ihrer lebendigen Kulturszene kombiniert mit relativ günstigen Lebenshaltungskosten zum Lieblingsziel für junge Leute und Künstlertypen aus Israel gebracht hat. Das Restaurant Bayern kommt also gut an bei dieser In-Gruppe, wie die gut besetzten Tische und die Kritiken in mehreren einheimischen Zeitungen und Magazinen zeigen. Die hier gepflegte "bayerische Gemütlichkeit", einschließlich Kuckucksuhr und der Art von Musik, die man frühmorgens in deutschen Fernsehkanälen hört, wenn Wetterberichte mit Alpenpanorama laufen, mag für Deutsche zwar Welten entfernt sein vom kühlen Berlin, aber für andere hat es etwas von demselben Charme.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama