Für Mutige. 18 Dinge, die die Welt verändern

Verlust der Privatsphäre

Wir können kaum noch kontrollieren, was andere von uns wissen. Das macht uns unfrei

Wer sich heute anschaut, wie junge Menschen mit ihren persönlichen Daten umgehen, könnte meinen, die Privatsphäre sei am Ende. Um kostenlose E-Mail-Konten oder soziale Netzwerke nutzen zu können, geben junge Leute bedenkenlos ihre Informationen an alle möglichen Unternehmen weiter. Sie twittern und bloggen ihre intimsten Gedanken. Mark Zuckerberg, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Facebook, empfiehlt, Online- und Offline-Identität nicht zu trennen, um möglichst integer zu erscheinen. Die Folge von Zuckerbergs Unternehmenspolitik: Junge Menschen verwenden online ihre wahren Namen und bringen so ihre teilweise fragwürdigen Äußerungen im Internet mit ihren realen Identitäten in Zusammenhang.

Aber ein genauerer Blick zeigt etwas anderes: Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center macht deutlich, dass US-amerikanische Teenager sehr bewusst mit ihrer Privatsphäre umgehen. Sie achten darauf, welche Daten sie teilen und wie. Sechzig Prozent schränken die Sichtbarkeit ihrer Facebook-Profile stark ein. 51 Prozent benutzen bestimmte Handy-Apps nicht, weil sie den Anbietern Zugang zu persönlichen Daten verschaffen. Diese Zahlen unterscheiden sich kaum von denen erwachsener Nutzer.

In den vergangenen zehn Jahren ist das Bewusstsein für die Privatsphäre insgesamt gestiegen. Vor allem seit dem 11. September 2001 und den darauf folgenden Überwachungsmaßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit, gehen viele Bürger vorsichtiger mit ihren Daten um. Nichtregierungsorganisationen schlagen wegen der zahlreichen Eingriffe in die Privatsphäre Alarm. Wiederholt wurde gewarnt, dass der Preis für die Nutzung von Google, Facebook und Co. die Freigabe persönlicher Informationen sei. Das hat die Menschen vorsichtiger gemacht.

Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Danah Boyd glaubt dennoch, dass junge Menschen ein anderes Verständnis von Privatsphäre haben als Erwachsene. Die Onlinewelt fühle sich für Teenager privater an als das eigene, reale Zuhause. Denn im Internet hätten sie das Gefühl, die Kontrolle darüber, was sie preisgeben wollen, liege bei ihnen selbst und nicht bei ihren Eltern. Das könnte erklären, weshalb die Öffentlichkeit glaubt, dass die Privatsphäre bald der Vergangenheit angehört. Dabei haben junge Menschen durchaus noch ein Bedürfnis danach, sie teilen sich nur anders mit. Auch deshalb ist es Zeit für eine neue Debatte über den Umgang mit unseren persönlichen Daten.

Versuchen Sie einmal, einen Anbieter für ein kostenloses E-Mail-Konto zu finden, bei dem Sicherheit und nicht Bequemlichkeit im Vordergrund steht. Wir müssen die Unternehmen dazu drängen, Datenschutz zu ihrer Priorität zu machen. Nach den Enthüllungen über die umfassenden Überwachungsmethoden des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA behaupteten viele Leute, dass sie "nichts zu verbergen" hätten. Angesichts zahlloser Gesetze ist es jedoch unwahrscheinlich, dass jemand genau weiß, ob es nicht doch etwas gibt, das er lieber verheimlichen würde. Und trotz der Beteuerungen, man habe nichts zu verstecken, wirken Verletzungen der Privatsphäre von Internetnutzern durch die NSA sich darauf aus, wie wir uns öffentlich äußern.

Ob junge Leute, die online mit ihrer Identität experimentieren, oder politische Aktivisten, die soziale Medien nutzen, um ihre Botschaft zu verbreiten - angesichts der permanenten Massenüberwachung werden wir alle in Zukunft zweimal darüber nachdenken, was wir von uns geben. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Form der Selbstzensur auf unsere Gesellschaft unterscheiden sich kaum von denen einer staatlichen Zensur. Ohne die Freiheit, neue Ideen zu diskutieren, Machtverhältnisse in Frage zu stellen und mit Identitäten zu experimentieren, wird unsere Gesellschaft, werden wir alle, geschwächt.

Aus dem Englischen von Rosa Gosch