Medizin in Cola-Kisten
In Sambias abgelegenen Dörfern gibt es Coca-Cola - aber keine Medikamente. Der Engländer Simon Berry will das Liefersystem des Konzerns nutzen, um Leben zu retten
Wie kamen Sie auf die Idee, Medikamente in Cola-Kisten zu transportieren?
In den 1980er-Jahren habe ich als Entwicklungshelfer in Chinsali gearbeitet, einer abgelegenen Region im Nordosten von Sambia. Damals habe ich zwei Dinge festgestellt. Erstens: Zwanzig Prozent der Kinder starben dort vor ihrem fünften Geburtstag, meistens an Durchfallerkrankungen, die einfach zu verhindern oder zu behandeln wären. Und zweitens: Ich konnte in den abgelegensten Dörfern Coca-Cola kaufen, aber keines der einfachen Medikamente, die zur Behandlung der gängigen Erkrankungen notwendig gewesen wären. Daraus entstand die Idee, Medikamente einfach in Kisten von Coca-Cola zu transportieren, die es in fast jedem Dorf auf der Welt gibt.
Welche Medikamente verteilen Sie?
Wir stellen zum Beispiel eine Trinklösung der Weltgesundheitsorganisation gegen Durchfall und Cholera zur Verfügung. Das ist ein Gemisch aus Traubenzucker, Kochsalz und Elektrolyten, das für Mütter einfach zu verabreichen ist und Leben retten kann. Die Mittel werden in speziell entworfenen Boxen transportiert, die genau zwischen die Flaschenhälse passen.
Sie haben vor Kurzem mit einem Pilotprojekt in Sambia begonnen. Funktioniert Ihre Idee?
Ja, es gibt bereits Erfolge: Wir haben in den ersten sechs Monaten über 20.000 Tabletten verteilt. Die Zeit, bis ein Kind behandelt wird, ist von zwei auf einen Tag gesunken. Auch der Weg, den Mütter durchschnittlich für die Medikamente zurücklegen müssen, hat sich halbiert.
Warum hat es bis zur Umsetzung des Projekts so lange gedauert - mehr als zwanzig Jahre?
In den späten 1980er-Jahren gab es im Nordosten Sambias keine Post, kein Telefon und kein Internet. Außerdem war ich ja ganz allein mit meiner Idee.
Was waren bisher die größten Hürden?
Die größte Herausforderung ist, die verschiedenen Partner zusammenzubringen. Leute von unserer Organisation ColaLife und von Coca-Cola, die bisher nie zusammengearbeitet haben und völlig unterschiedliche Ziele verfolgen, arbeiten Hand in Hand. Gleichzeitig dürfen die Coca-Cola-Arbeiter durch das Hinzupacken der Medikamente nicht gestört und die Lieferungen nicht verzögert werden.
Das weltweite Distributionsnetz von Coca-Cola ist es, was den Konzern so wertvoll und erfolgreich macht. ColaLife ist die erste Initiative, für die das Unternehmen sein Distributionsnetz öffnet. Wie haben Sie es überzeugt?
Facebook war der Schlüssel. Coca-Cola hätte auf mich als Einzelkämpfer nicht gehört, aber als unser Projekt auf Facebook mehr als tausend Unterstützer hatte, wurde die BBC aufmerksam und berichtete über die Idee. Die BBC hat dann auch Coca-Cola an Bord geholt. Wir arbeiten allerdings nicht mit der Konzernzentrale in den USA zusammen, sondern mit den lizenzierten Subunternehmern in Sambia.
Kritiker sagen, das Projekt löse die tiefer liegenden Probleme nicht - nämlich fehlende Infrastruktur und schlechte Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern. Außerdem könne es nicht Aufgaben und Pflichten des Staates ersetzen.
Auch in Industrienationen arbeitet der Gesundheitssektor mit privaten Firmen zusammen, so wie wir das mit Coca-Cola machen. Sonst würden die Systeme selbst in Europa zusammenbrechen. Wir haben zum Beispiel eine große Anzahl an Apotheken und können einfache Krankheiten selbst diagnostizieren und behandeln, weil wir die Infrastruktur haben. In Sambia leben mehr als zwölf Millionen Menschen - und es gibt weniger als hundert Apotheken!
Könnte das Konzept auf andere Länder ausgedehnt werden?
Klar, das hoffen wir. Wir wollen aber nicht möglichst schnell möglichst groß werden, sondern bei unserem Pilotprojekt in Sambia die nötigen Erfahrungen sammeln. Davon könnten dann auch größere Organisationen oder sogar das Gesundheitsministerium lernen, zum Beispiel, wie man eine Lieferkette organisieren muss oder mit anderen Partnern zusammenarbeiten kann.
Das Interview führte Benjamin Dürr