„Machtausbau der Großen“
Die EU und die USA haben mit Gesprächen für ein Freihandelsabkommen begonnen. Bedroht die Angleichung wirtschaftlicher Normen und Standards die kulturelle Vielfalt Europas?
Der Startschuss für ein neues Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU machte es deutlich: Um den speziellen Umgang mit Kultur und Medien tobt ein erbitterter Kampf. Der UNESCO-Konvention für kulturelle Vielfalt von 2007 ist es zu verdanken, dass der Waren- und Dienstleistungsbegriff der Weltgemeinschaft heute neben dem kommerziellen Wert einen kulturellen Mehrwert einschließt. Jetzt setzt sich die EU mit den USA, die die Konvention nie unterschrieben haben, an einen Tisch. Diese wollen auch im Kultursegment die Normen und Handelsstandards angleichen, die EU-Staaten dagegen sind sich nicht so recht einig. Länder mit einer starken, selbstbewussten Kulturwirtschaft, allen voran Frankreich, setzen sich für die kulturelle Ausnahme ein. Sie fürchten, dass ansonsten gegen direkte wie indirekte Subventionen geklagt werden könnte.
Quotenregelungen wären damit genauso Geschichte wie die Buchpreisbindung oder ermäßigte Mehrwertsteuersätze für kulturelle Güter. Das europäische Fördermodell für Kunst und Kultur wäre nur noch tolerabel, wenn es auch der US-amerikanischen Kreativwirtschaft offenstünde. Auf diese Weise könnten Hollywood-Blockbuster einen Großteil der Filmförderung, die auch nach Zuschauerzahlen vergeben wird, abschöpfen und so europäische Produktionen verdrängen. Bei Online-Diensten besteht die Gefahr, die EU-Kommission könnte sich der US-Position anschließen, dass es sich dabei bloß um Information beziehungsweise Kommunikation handle, sodass im Rahmen des bestehenden Mandats durchaus darüber verhandelt werden könne. Google oder Amazon haben selbstverständlich kein Interesse, Kulturauflagen zu erfüllen und die Urheber entsprechend zu bezahlen. Dass die komplette Aufhebung von Handelsbeschränkungen noch nie zu mehr Vielfalt und besserer Zugänglichkeit geführt hat, sondern zur Produktionskonzentration und dem Machtausbau der Großen, zeigt schon ein Blick in die uniformen Fußgängerzonen unserer Städte.
Etliche EU-Mitgliedsstaaten lavieren in der Frage, ob kulturelle Wertschöpfung von einem Freihandelsabkommen ausgenommen sein sollte, herum. Manche liebäugeln gar mit der Preisgabe des staatlichen Kulturauftrags, der eine freie Entfaltung von Kunst und Kultur jenseits ökonomischer Zwänge zum Ziel hat, und ignorieren dabei die Umwegrentabilität solcher Investitionen: Vom intellektuellen Klima bis zur Tourismuswirtschaft reicht ihr Nutzen.
Konzerne wie Wirtschaftspolititiker verschleiern ihre wahren Interessen gerne hinter Floskeln wie der Forderung eines freien Ideenaustauschs über Grenzen hinweg. Wenn man bedenkt, dass Künstlern aller Sparten trotz völkerrechtlicher Garantieen durch die UNESCO-Konvention der Zugang zur Festung Europa oft verwehrt bleibt, nimmt sich dieses Geschwafel nur noch zynisch aus. Erst unlängst musste in Wien ein Konzert mit den bei Peter Gabriels Label Real World unter Vertrag stehenden ägyptischen Musicians of the Nile abgesagt werden, weil die Musiker keine Visa erhielten.
Dies ist nur eines von unzähligen beschämenden Beispielen, wie Künstlern aus dem Süden die Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht wird und einem europäischen Publikum die Begegnung mit ihrer Kunst. Die Ausrede, jemand könnte trotz eines Kontrakts mit etablierten Veranstaltern und der nachgewiesenen Übernahme sämtlicher Reisekosten auf den Gedanken kommen, auf Dauer hier zu bleiben, ist unwürdig und geht an der Realität vorbei. Andere oft vorgebrachte Liberalisierungsargumente sind das vom bösen staatlichen Dirigismus (statt der gigantischen Marketingmaschinerie für Kommerzkultur) oder gar das vom Rückfall in einen gefährlichen Nationalismus (statt des völkerverbindenden Einheitsbreis vom Zuschnitt des Hollywood-Mainstreams).
Vorläufig haben der Widerstand der Betroffenen und vor allem ein Machtwort des französischen Präsidenten Hollande dazu geführt, dass der Kultursektor von den Verhandlungen um eine Freihandelszone ausgenommen bleibt. Aber der Kompromiss, diese Kapitel zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht doch noch einzubeziehen, ist nicht wirklich beruhigend. EU-Kommissionspräsident Barroso hat die Haltung Frankreichs, auf der kulturellen Ausnahme zu bestehen, als reaktionär bezeichnet. Ein mit weitgehenden Konzessionen der europäischen Seite erkauftes Freihandelsabkommen mit den USA würde den Sieg jener fortschrittlichen Kräften bedeuten, die für glänzende Profitaussichten den Abbau europäischer Sozial- und Umweltstandards ebenso wie das Ende der Kulturstaatstradition und einer diversifizierten künstlerisch-kulturellen Produktion in Kauf zu nehmen bereit sind.