Offener Brief an Europa

Die schwedische Autorin möchte der Welt die Sprache der Kunst zurückbringen

Europa

Europa, ich habe dir alles gegeben und jetzt habe ich nichts.
Europa, zweihundertsechzig Euro und sechsundsiebzig Cent, Januar 2018.
Ich hadere mit mir.
Europa, wann wirst du den Krieg gegen die Menschlichkeit beenden?
Fahr’ zur Hölle mit deinem Jesuskomplex.
Es geht mir nicht gut, stör mich nicht.
Ich werde kein Gedicht schreiben, bevor ich nicht in der Stimmung bin.

Europa, wann wirst du in Rente gehen?
Wann wirst du deine Kleider ausziehen?
Wann wirst dir aus deinem eigenen Grab entgegenblicken?
Wann wirst du den Millionen von Gastarbeitern Würde erweisen?
Europa, warum sind deine Bibliotheken voller Tränen?
Der Sommer war lang und die Hitze breitet sich aus.
Die Ventilatoren sind überall ausverkauft.
Bald hast du weder ein lebenswertes Klima, noch eine Wohlfahrt.
Ich stelle mir die Mauern vor, auf die du triffst, wenn die Katastrophe kommt.

Europa, sprich mir nach:
Fußballspieler können Franzosen sein, die Afrikaner sind, die Franzosen sind.
Das ist nicht kompliziert.
Alle scheinen die Konsequenzen des Kolonialismus zu verstehen, außer dir, und du bist die Ursache.
Du bist ein Luftschutzkeller, in dem es nur Platz für die Vermieter gibt.
Du hast ein Selbstbild in Teflon, nichts bleibt haften.
Du bist ein überdimensionierter Schandfleck auf der Karte.

Europa, dreiundsechzig Jahre vor Lampedusa schrieb Césaire, dass man dich unmöglich verteidigen könne.
Wieviele Tote auf dem Mittelmeer in dieser Woche?
Jeder Flüchtling, der deine Grenzen durch Zwang erreicht, ist eine Kriegserklärung.
Die Verdammten dieser Erde bestehen auf den Wohlstand, den sie erarbeitet haben.
Europa, wann beantragst du den Brexit von dir selbst?
Du bist das Schleierverbot in Frankreich, das Minarettverbot in der Schweiz und das Schmuckgesetz in Dänemark.
Du bist Italiens Innenminister, der Mussolini zitiert.
Du bist der Asylsuchende an der Leine in Ungarn.
Am schlimmsten von allen ist Dänemark.

Dänemark ist eine offene Tür, die kaum jemand einrennt.
Eines Tages werde ich Dänemark mit allen ausgehungerten Eisbären Grönlands einsperren.
Eines Tages werde ich Dänemark alle Autos aus den Garagen stehlen.
Eines Tages werde ich einen Getto-Plan für Lars Løkke Rasmussen aufstellen.
Eines Tages werde ich Rache fordern für alle niedergebrannten Flüchtlingsunterkünfte.
Eines Tages wirst du alle Roma um Vergebung bitten.
Eines Tages werden die Wächter der Synagogen überzählig sein.
Eines Tages wird Dublin der Name einer deiner Hauptstädte sein.

Europa, eines Tages werde ich Kuchen essen gehen, mit Shora, Miriam und Hanna.
Niemand wird die Augenbrauen nach oben ziehen, wir werden die feinste Konditorei betreten.
Niemand wird uns auf Englisch ansprechen
Wir werden in unseren Tassen rühren, mit ausgesuchten kleinen Löffeln.
Wir werden unsere Töchter alles bestellen lassen, was sie sehen.
Niemand wird den Blick abwenden, wenn wir nach Kinderstühlen fragen.
Niemand wird seufzen wenn die Kinder spielen.
Europa, jeden Tag spucken uns weiße Menschen in der U-Bahn hinterher.
Sie glauben wirklich, sie hätten ein angeborenes Recht auf die Sitzplätze.

Europa, du scheinst dich noch nicht vom Schwarzen Tod erholt zu haben.
Europa, das sind die Muslime.
Das sind die Muslime, und Juden, und Roma, und Afrikaner.
Und die, die so aussehen, als wären sie Muslime und Afrikaner, aber keine sind.
Und die, die Juden waren, aber alles getan haben, um das nicht zu zeigen.

Europa, wann werde ich meine Gedichte mit dem Selbstbewusstsein eines durchschnittlichen weißen Mannes schreiben?
Wieviele hast du in Guantanamo Bay geopfert?
Wann wird Palästina beim Eurovision Song Contest antreten?
Wann werden deine Grenzen aufhören, das Uralgebirge zu drangsalieren?
Wann werde ich in den Supermarkt gehen und für das, was ich brauche, mit meinem hübschen Gesicht bezahlen?
Europa, wie kann es sein, dass so viele deiner Nationen Monarchien sind?
Glaubst du, das hier ist ein Kindermärchen?
Wie lange wirst du so tun, als hätte es Robespierre nie gegeben?

Erasmus ist das Schlimmste, was meinem Studium passieren konnte.
Ich habe die Université Denis Diderot besetzt und mit allen nördlich des Flusses geschlafen.
Die linguistische Fakultät hat nie wieder von mir gehört.
Mina und Bahar sind weggegangen, ich glaube nicht, dass sie zurückkommen.
Europa, ich habe mir in die Hosen gemacht, als der griechische LKW-Fahrer vom Weg abgefahren ist.
Aber er wollte mir nur einen antiken Tempel zeigen.
Du liebst Aristoteles, aber du hasst Griechen.
Du liebst es, zu rechnen, aber du hasst Araber.
Du liebst Sigbjørns Gedichte, aber du hasst Samen.
Du liebst es, den Balkon zu dekorieren, aber du hasst deine Großeltern.
Du liebst Handschellen, aber du hasst Sex.
Europa, was wird nach dir kommen?
Wundere dich nicht darüber, dass Ötzis Bauch verwundet war.

Europa, es ist lange her, dass ich mich nach Gertrude in der Rue des Fleurus gesehnt habe.
Die Avantgarde ist nur ein PR-Trick des Imperiums.
Picasso malte Guernica und sagte: Ein Stier ist ein Stier und ein Pferd ist ein Pferd.
Deine Maschinerie ist zu gewaltig.
Du hast mich dazu gebracht, auf einem Charter fahren zu wollen.
Es muss einen anderen Weg geben, sich zu einigen.
Europa, vor zwanzig Jahren haben wir das Wort Multikultur gehasst, denn es machte uns zu einem Unterschied.
Jetzt bitten wir dich darum, das Fremde willkommen zu heißen.

Europa, sprich mir nach:
Willkommen, bienvenue, welcome.
Fremde, étranger, stranger.
Glücklich zu sehen, je suis enchanté.
Happy to see you, bleibe, reste, stay.
Mir wird klar, dass ich niemals Europa werde.
Ich rede wieder mit mir selbst.

Europa, als Kind war ich Kommunistin, ich bereue nichts.
Ich verkaufte Zeitungen im Schulflur.
Mein Biologielehrer kaufte sie immer, obwohl er ein Rechter war.
Er sagt, der Ostblock sei wichtig für die Balance.
Europa, ein eiserner Vorhang geht in meinem Kopf herunter, während ich das hier schreibe.
Ich sehne mich nach der fünften Internationalen.
Auf welches Jahr soll ich den Verrat der Sozialdemokratie datieren?
Wenn ich am Landwehrkanal entlanggehe, flüstert Rosa Luxemburg, dass ihr kalt ist.

Europa, trotz allem waren Rilke und Shelley wirklich große Poeten.
Sacre Coeur hat eine blendende Aussicht und das Grün in Transsylvanien ist eine Nuance unwirklich.
Trotz allem überkommt mich beim Glitzern der Donau eine Wehmut.
Trotz allem beunruhigt mich die Vorstellung, die Nordsee könnte Rotterdam bezwingen.
Trotz allem habe ich Fun Facts über Albanien gegoogelt.
Trotz allem fühle ich mich den Schüssen in Sarajevo näher als meiner eigenen Geschichte.
Trotz allem gibt es einen Ort in Slowenien mit dem Namen Jerusalem.
Dort ließen sich die Kreuzfahrer nieder, die nicht den ganzen Weg schafften.

Europa, die mission civilisatrice lässt sich nicht vom Christentum trennen, genauso wenig wie
das Christentum vom Feudalismus, der Feudalismus von der Industrialisierung, die
Industrialisierung vom Kapitalismus, der Kapitalismus von der Barbarei.
Ich verstehe, warum die Romantik auf die Aufklärung folgte.
Ich verstehe, warum Marie Antoinette genug hatte vom Brot.
Ich verstehe, warum Michelangelo den Job in der Sixtinischen annahm.
Ich verwechsle immer Versailles und Vichy, Weimar und Waterloo.
Ich verstehe, warum es in Verlaines Herz regnete.

Europa, eines Tages wird die Lagoskonferenz stattfinden und Afrika wird deine Grenzen bestimmen.
Nigeria für das Baltikum, außer Litauen, das geht an Angola.
Algerien will Polen, ohne Warschau.
Kamerun nimmt alles zwischen Normandie und Gibraltar.
Die Demokratische Republik Kongo und die Republik Kongo teilen den Rest unter sich auf.
Die offiziellen Sprachen in Europa werden lingala, kikongo und swahili.
Die nordischen Länder will niemand, alle Wälder sind abgebrannt.
Die Einwohner wurden als Sklaven gefangen genommen und im Hafen von Göteborg verkauft.
Obwohl die Reise kurz ist, sterben viele auf See.
Die Überlebenden breiten sich auf dem Kontinent aus, hauptsächlich im Südsudan und in Eritrea.
Nach kurzer Zeit unterliegt die Hälfte den dortigen Krankheiten.
Aber die Kinder können arbeiten und fünfundzwanzig nordische Generationen wachsen als Sklaven auf.
Niemand will England, aber Botswana erbarmt sich.
Nach einer Abstimmung fallen Schottland und Wales an Somalia.
Die einzige noch freie europäische Nation ist das vereinte Irland.

Ich hatte keine Ahnung, dass das Lied der Cranberries von der IRA handelte.
Europa, das bin nicht ich, das ist nicht meine Familie.
Es wäre besser gewesen, wenn Spinning Jenny nie erfunden worden wäre.
Es hätte uns einiges erspart, wenn Marx und Engels ihr Coming-out gehabt hätten.
Europa, einige von denen, die die Grenzen schließen wollen, weil sie sich um die Löhne der
Arbeiter sorgen, sind die Kinder der Mai-Revolution und sie haben vergessen, dass die
Arbeiterklasse kein Heimatland hat.

Bist du einfach böse oder ist das ein schlechter Scherz?
Ich hoffe, die Verurteilten der Hexenprozesse hatten einen Pakt mit dem Teufel.
Ich hoffe, Galileo Galilei lacht höhnisch im Himmel.
Ich hoffe, Robbenspeck hilft wirklich gegen Keuchhusten.
Ich hoffe, Jessie kann so viel wie nötig importieren.
Ich hoffe, Jelinek kauft eine Insel für das Geld.
Ich hoffe, Tschechien leert die Staatskasse nicht für die Beleuchtung des Monuments in Prag.
Ich hoffe, sämtliche christlich-demokratische Parteien werden verboten.
Ich hoffe, es wohnen weiterhin Partisanen im Gebirge.
Ich hoffe, sie schielen nach Faschisten, so wie du nach Kaninchen schielst.
Ich hoffe, Amy Winehouse wird wiederauferstehen und auf meiner Beerdigung singen.
Ich hoffe, Freud wird deinen Zustand nach Marine und ihrem Vater benennen:
Der Le Pen-Komplex.

Europa, die meisten der schwedischen Parteivorsitzenden identifizieren sich mit Pippi Langstrumpf.
Aber sie haben mehr Ähnlichkeit mit den Mördern von Bambis Mama.
Jeden Tag fragen wir uns, ob wir die doppelte Staatsbürgerschaft einführen sollen, um einen Fluchtweg zu haben.
Oder wird es dazu führen, dass wir deportiert werden.
Ich höre alle von Portugal reden.
Ich erkenne den Betrug wenn ich ihn sehe.
Ich war acht als der Krieg in Jugoslawien ausbrach.
Ich war neun als ich bosnische Klassenkameraden bekam.
Ich konnte nicht verstehen, dass sie Flüchtlinge waren wie wir, obwohl sie Europäer waren.
In Belgrad liegt Titos Mausoleum rechts von der Iranischen Botschaft.
Enna sagt immer noch, dass sie serbokroatisch spricht.
Unser kleinster gemeinsamer Nenner ist Baklava.
Europa, der Preis für die armseligste Esskultur geht dieses Jahr erneut an dich.

Europa, ich habe in Barcelona für das Recht auf Abtreibung demonstriert.
Ich habe davon geträumt, dass Panzer meinen Körper überfahren.
Ich habe die leeren Stühle auf dem Platz in Krakau gesehen.
Aber lieber als die Vernichtungslager besuchen, möchte ich Victor Klemperer lesen.
Europa, Worte können sein wie kleine Dosen Arsen.
Europa, wenn die Faschisten Kinder umbringen, hisst du die Nationalflaggen.
Europa, ich kann bis in alle Ewigkeit historische Parallelen ziehen.
Aber den großen Unterschied zwischen jetzt und damals machen Viermillionen sowjetische Soldaten.
Der Unterschied zwischen dem Finnischen Winterkrieg und jetzt beträgt achtzig Grad.

Europa, das ist wirklich die Epoche des Vergessens.
Ich werde entweder wie Ulrike Meinhof enden oder wie Italien in der Fußball-WM.
Mein Psychoanalytiker gibt zu allem seine Zustimmung.
Ich bin wütend auf den Kommunismus weil der den Traum vom Kommunismus abgefuckt hat.
Ich bin wütend auf die Schwedische Akademie weil sie dem Feudalismus einen schlechten Ruf verschafft.
Ich bin wütend auf Island, weil Sprache keine Schmutzwäsche ist.
Ich bin wütend auf Orpheus, weil er sich nicht gedulden konnte.
Ich bin wütend auf Luther, weil er sich nie frei genommen hat.
Ich bin wütend auf Gabriel, weil er nicht nach Bagarmossen zieht.
Ich bin wütend auf Putin, wegen der Sache mit dem Judo.
Ich bin wütend auf Merkel, weil sie kein Engel ist.

Europa, alle, die niemals auf die Labour Party gehört hätten, machen jetzt Wahlkampf für Corbyn.
Ich hatte meine Hoffnungen wirklich auf Syriza gesetzt, und ich setze sie weiterhin auf Podemos.
Trotz deren Schlagwortwechsel mit Obama.
Europa, ich war mit meiner Tochter im Zoologischen Garten.
Sie bekam Angst vor der Giraffe, aber den Löwen wollte sie umarmen.
Danach waren wir im Pergamonmuseum.
Ich wollte ihr den Altar zeigen, nachdem sie benannt ist.
Sie schlief im Wagen ein und alles, woran ich denken konnte, war die Plünderung Babyloniens.

Europa, ich weigere mich, an einem Gespräch über den Terrorismus teilzunehmen, das nicht mit dem Ölkrieg beginnt.
Ich werde eine Massenvernichtungswaffe an der 10 Downing Street deponieren.
Europa, wieviele waren wir auf den Straßen im Jahr 2003?
Wieviele hast du umgebracht?

Europa, wieviele Male wir London noch als den mittleren Westen und die USA als den fernen
Westen bezeichnen, du führst dich auf wie zu König Leopolds Glanzzeiten.
Europa, wann hat der weiße Mann seine Bürde abgeleistet?
Ich habe immer noch nicht davon erzählt, was du in den Neunzigern mit meinen Eltern gemacht hast.
Ich habe nicht erklärt, warum ich Laser-Pointer in der Handtasche habe.
Erinnerst du dich an die weißen Hände am Knoten der Krawatte?
Erinnerst du dich an diejenigen, die nach Pinochets Herzattacke in den Kneipen von Madrid anstießen?
Erinnerst du dich an diejenigen, die sich die Haare rauften als Miloševic in einer Gefängniszelle starb?
Erinnerst du dich an diejenigen, die nach Thatchers Schlaganfall auf den Straßen von London tanzten?
Erinnerst du dich an Großmutters benzinblauen Schleier?
Erinnerst du dich an mich mit geflochtenen Zöpfen?

Wer hätte denn wissen sollen, dass eine Kohl- und Stahlunion nicht für das Proletariat da war.
Wer hätte denn wissen sollen, dass die Arbeiter nichts als ihre Fesseln zu verlieren haben?
Wer hätte die Bewohnerinnen von Lesbos darüber aufklären können, dass die Lesben schon gewonnen haben?
Europa, ich glaube, ich würde Königin Kristina mögen.
Aber ich weiß nicht, ob Königin Kristina mich mögen würde.
Von allen, die hier gelebt haben, ist Spartacus mein Favorit.
Nichts von dem, was wir in der Schule gelernt haben, stimmt mit der Wirklichkeit überein.
Ich will, dass Öcalan Wortführer der EU-Kommission wird.
Ich will, dass die Geschichte über dich in Schmutz und Lehm endet.
Ich will, dass die Geschichte über uns so aufhört wie Pride, der Film.
Ich will, dass die Bewegung der Fachvereinigung Hand in Hand geht mit den queeren Aktivisten
und die queeren Aktivisten Hand in Hand gehen mit den Papierlosen, und die Papierlosen Hand
in Hand gehen mit ihren Kindern, und die Kinder Hand in Hand gehen mit ihren Kaninchen, und
die Kaninchen die Wasserflaschen der Kinder in ihren Rucksäcken haben.
Ich will, dass die Bauern von Kambodscha unser Papiergeld verbrennen.
Ich will vergessen, dass die geteilte Welt meiner Wahlfreiheit geschuldet ist.
Ich will, dass die transnationale Adoption verboten wird.
Ich will, dass meine Kinder jemand anderem gehören.

Europa, es brennt in Clichy, es brennt in Brixton, es brennt in Husby.
Es brennt in meinen Augen wenn ich die Zeitung lese.
Wirst du dein Gefühlsleben von der Medienzentrale der Rechten steuern lassen?
Die Pressefreiheit wurde in der Wikingerzeit besser geschützt als in deinen Demokratien.
Europa, du wirst vollkommen hirngewaschen von der liberalen Führungsseite.
Du würdest deinen Untergang nicht mal erkennen, wenn er dir ins Gesicht springen würde.
Europa, als Kind habe ich Allen Ginsberg gelesen, ich erkenne alles.
Europa, du bist erfolgreich auf Grund gelaufen wie niemand sonst.
Du hast meine Brüder getötet.

Europa, wo hast du die Liebe verlegt?
Was hast du mit deinem kleinen Gespenst gemacht?
Wo hast du deine Pelagonier versteckt?
Wann wirst du in der Sicherheitskontrolle stecken bleiben?
Wann wirst du vor dem Tribunal in Den Haag stehen?
Wann wirst du die Flüchtlinge anhören anstatt die Journalisten die als verdeckte Flüchtlinge arbeiten?
Europa, stimmt das hier?
Meine Tochter ist die Urenkelin ukrainischer Juden, die vor den Pogromen geflohen sind, die
Enkelin iranischer und argentinischer Kommunisten, die vor den Diktaturen geflohen sind, und
das Kind müder Schweden, die hoffen, bleiben zu können.
Europa, das sind die verdammten Dänen.
Dänemark ist besessen von Macht, und möchte uns am liebsten lebendig verspeisen.
Eines Tages werde ich eine BDS-Bewegung gegen Dänemark starten.
Eines Tages werde ich einen Pfahl in Dänemarks Herz rammen.
Eines Tages werden die färöischen Drachen Dänemark verschlingen.
Eines Tages werden nur noch Halal-Würstchen in Dänemark zugelassen sein.
Eines Tages werde ich Dänemark zerlegen wie Legoland.

Europa, ich weigere mich, meine Besessenheit aufzugeben.
Ich weigere mich, zum Punkt zu kommen.
Ich weigere mich, die Mauer in Berlin zu kaufen.
Ich habe nichts über die Millionen von Armen gesagt, die in deinen Blumentöpfen leben.
Ich habe nichts über deine Gefängnisse gesagt.
Ich habe nichts darüber gesagt, wie Ylva mich in den Schlaf gesungen hat.
Ich habe nichts darüber gesagt, wie Familienbande sich auflösen werden.
Ich hebe Tschernobyl und Tschetschenien für eine andere Gelegenheit auf.
Ich hoffe, meine Meinung zu Dänemark scheint durch.
Europa, lass mich in Frieden, denn ich weiß, was ich tue.
Ich bin müde von deinen kranken Forderungen. Lass eine Frau am Leben.
Wie soll ich ein Klagelied schreiben in deinem hoffnungslosen Atem?
Die Pflaumenblüten fallen auch hier.
Du solltest mich kommen sehen, bei Pasolini.
Du solltest mich gewinnen sehen, gegen die Windmuühlen.
Europa, meine queere Schulter ist ausgekugelt.
Der letzte Count-down läuft.

Athena Farrokhzad
Stockholm, August 2018

Aus dem Schwedischen von Clara Sondermann

Der »Offene Brief an Europa« ist ein Projekt des Festivals »Days of Poetry and Wine« in Ptuj, Slowenien, und der Allianz Kulturstiftung in Berlin.