Nur für Japaner

Der Mythos von der einzigartigen ethnischen Reinheit der eigenen Bevölkerung verstellt den Blick auf den Rassismus im Land 

Die Toleranzschwelle der Japaner für Lärm ist niedrig – so niedrig, dass es in der Tokioter U-Bahn selbst im berüchtigten Rushhour- Gedränge still ist. Sogar Sprechen wird mit Missbilligung quittiert. Die scheppernden Ausnahmen sind die rassistischen Hassreden, die regelmäßig an Wochenenden bei Aufmärschen ultrarechter Organisationen durch Lautsprecher gebrüllt werden.

2016 legte das japanische Justizministerium offen, dass es im Land zwischen April 2012 und September 2015 1.150 Kundgebungen gegeben habe, auf denen in Hassreden unter anderem gebürtige Koreaner aufgefordert wurden, »Japan verdammt nochmal zu verlassen«. Oder man drohte ihnen, sie wie »Kakerlaken« zu zertreten.

Rassismus in Japan ist ein Phänomen, das tief verwurzelt und vielschichtig ist, doch weite Teile der Gesellschaft nehmen ihn nicht einmal zur Kenntnis. Die Vorstellung, dass Rassismus lediglich die Diskriminierung von Menschen mit dunkler Hautfarbe durch solche mit heller Hautfarbe sei, ist weit verbreitet. Darum gebe es in einem nicht weißen Land wie Japan überhaupt nichts zu bekämpfen. Seit Generationen hält sich bei vielen die Überzeugung, dass Japan eine einzigartig homogene, ethnisch reine Gesellschaft mit nur wenigen »Außenstehenden « ist.

In einer Studie des japanischen Justizministeriums von 2017 gab allerdings fast ein Drittel der japanischen Bürger mit Migrationsgeschichte an, schon einmal abfällige Bemerkungen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit gehört zu haben. Vierzig Prozent beklagten, bei der Wohnungssuche diskriminiert worden zu sein. Von den mehr als 4.000 befragten Ausländern waren die Mehrheit Chinesen und Koreaner. Über vierzig Prozent der Befragten lebten seit über zehn Jahren in Japan.

Ein Viertel der Arbeitsuchenden gab an, dass ihnen schon einmal wegen ihrer Herkunft eine Anstellung verweigert wurde, und ein Fünftel war überzeugt, für vergleichbare Arbeit weniger Gehalt als ihre japanischen Kollegen zu erhalten. Eine solche Diskriminierung kann auch nicht mit fehlenden Sprachkenntnissen gerechtfertigt werden, denn 95 Prozent der Ausländer, die eine Absage erhielten, beherrschten das Japanische »konversationssicher, verhandlungssicher oder fließend«.

Debito Arudou ist Autor von »Embedded Racism: Japan’s Visible Minorities and Racial Discrimination«. Der aus den USA stammende Arudou lebt seit 1991 in Japan und wurde im Jahr 2000 japanischer Staatsangehöriger. Er argumentiert, dass Angehörige von Minderheiten, denen man wie ihm ihre ausländische Herkunft ansieht, ein noch leichteres Ziel für Rassismus darstellen als solche aus Nordostasien. So beschreibt er, wie er über die Jahre wiederholt von der Polizei angehalten und aufgefordert wurde, seinen Ausweis vorzuzeigen – und führt dies auf Racial Profiling der japanischen Polizei zurück. Auch sein Hinweis darauf, dass er japanischer Staatsangehöriger sei, habe nichts am Vorgehen der Polizisten geändert. Arudou wurde Anti-Rassismus- Aktivist, nachdem er Ende der 1990er-Jahre vor einem Thermalbad auf ein Schild mit der Aufschrift »Nur für Japaner« stieß. Er erinnert sich, wie ihm und seiner Familie in der nordjapanischen Stadt Otaru 1999 der Zutritt zu einem öffentlichen Badehaus mit der Begründung verweigert wurde, er sei Ausländer. Als seine japanische Frau fragte, ob diese Ausgrenzung auch ihre Töchter betreffe, die in Japan geboren und aufgewachsen seien, entgegnete der Geschäftsführer, dass die »japanisch aussehende« Tochter eingelassen würde, die andere aber nicht.

Wird Ausländern der Zutritt verwehrt, lautet die Rechtfertigung oft, dass man mit ihnen ja nicht kommunizieren könne oder dass Ausländer nicht wüssten, wie man sich in einem japanischen Umfeld verhalte – etwa, dass man sich die Schuhe auszieht und leise spricht. Manchmal heißt es, solche Beschränkungen sollten verhindern, dass großspurige chinesische Touristen die Atmosphäre »verderben«. Alle anderen Ausländer seien lediglich Kollateralschäden.

Auf Arudous Blog veröffentlichen Besucher und in Japan lebende Ausländer mit beunruhigender Regelmäßigkeit Beispiele für Ausgrenzung, etwa, dass einem Nicht-Japaner der Zutritt zu einem Golfplatz verwehrt wurde, zu Tauchtouren in Okinawa oder einer Bar im beliebten Tokioter Bezirk Asakusa. Und es gibt von Japanern geführte Einrichtungen im Ausland, die ein »Nur für Japaner«-Schild angebracht haben.

Es erfordert schon eine große Portion Heuchelei, wenn man behauptet, man wolle bestimmte Einrichtungen nur deshalb rein japanisch halten, um die gesellschaftliche Harmonie nicht zu stören, statt dies als unverhohlen rassistisch und diskriminierend zu bezeichnen. Der unkritische Umgang mit dem Mythos der Einzigartigkeit und der rassischen Reinheit Japans in den Medien und im Bildungssystem führt dazu, dass solche Erklärungsversuche immer weiter propagiert werden. Die Meji-Verfassung von 1889 schuf einen Staat, der auf der Überzeugung beruht, dass der Kaiser ein direkter Nachfahre des »ursprünglichen« Yamato-Clans sei und alle Japaner mit dem Kaiser verwandt seien, woraus sich die Vorstellung einer homogenen ethnischen Identität ergibt.

Heute ist es wissenschaftlicher Konsens, dass die Japaner von den Yayoi und einer indigenen Bevölkerung abstammen. Die Yayoi sind ein den Koreanern ähnliches Volk, das etwa 400 v. Chr. auf die Inselgruppe kam. Die indigene Bevölkerung hingegen wanderte vor rund 12.000 Jahren auf Landwegen ein, die während der Eiszeit die japanischen Inseln mit dem Festland verbanden. Viele Japaner kennen diese Details nicht. Sogar die Ainu – ein Volk in Nord-Hokkaido, das sich sichtlich von der Mehrheit der Japaner unterscheidet – wurden erst 2008 als Minderheit mit einer »eigenen Sprache, Religion und Kultur« anerkannt. Eine differenzierte, öffentliche Diskussion über Rassismus fehlt, und die Rhetorik ultrarechter Politiker verschlimmert die Lage. Der außerordentlich beliebte Gouverneur von Tokio, Shintaro Ishihara, der zweimal wiedergewählt wurde, riet dem japanischen Militär, sich auf Aufruhr und Unruhen vorzubereiten, die Ausländer bei einer Naturkatastrophe wahrscheinlich anzetteln würden. Außerdem machte er sie wiederholt für die Kriminalitätsrate in Japan verantwortlich. Die Vorstellung von einem ruchlosen Verhalten der Ausländer nach Naturkatastrophen gibt es schon viel länger. Beispielsweise nach dem großen Erdbeben von Kanto 1923 machten Gerüchte die Runde, dass »Koreaner die Brunnen vergiften «, was dazu führte, dass japanische Bürgerwehren Tausende Koreaner und Hunderte Chinesen ermordeten.

Heute noch sind diese ethnischen Gruppen Gegenstand ähnlicher »Panik-Gerüchte«, die über die sozialen Medien zusätzliche Wucht entfalten. Nach dem Erdbeben in Osaka am 18. Juni bildete sich im Netz eine ausländerfeindliche Stimmung. Die JAPAN TIMES berichtete von Tweets, die den Eindruck erweckten, Chinesen und Koreaner würden demnächst Supermärkte und Bankautomaten ausrauben.

Gegen Haltungen wie diese regt sich jedoch immer häufiger Widerstand, denn Japan verzeichnet Touristenzahlen in Rekordhöhe. 2017 besuchten 28,7 Millionen Touristen das Land, gegenüber 10,4 Millionen im Jahr 2013. Die Regierung hat sich die enorme Zahl von vierzig Millionen Touristen jährlich bis zu den Olympischen Spielen in Tokio 2020 zum Ziel gesetzt.

Darüber hinaus nimmt angesichts einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung auch die Einwanderung zu. Im Juni dieses Jahres schuf die Regierung den Aufenthaltsstatus »ausgewiesene Kompetenzen«, über den bis zu 500.000 Gastarbeiter ins Land kommen können. Beide Entwicklungen wecken ein Bewusstsein dafür, dass die demografische Zusammensetzung in Japan komplexer ist als es die traditionellen Plattitüden von einem harmonischen und homogenen Japan vermuten lassen.

2016 erließ die Regierung auch endlich ein Gesetz gegen Hassparolen. Damit geht sie gegen die Art von Hetze vor, die auf Demonstrationen und Kundgebungen der extremen Rechten üblich ist. Das Gesetz verlangt »Anstrengungen «, um diskriminierende Sprache und unfaires Verhalten gegenüber Personen, deren Herkunftsland nicht Japan ist und gegenüber ihrer Nachkommen zu unterbinden. Es hat das öffentliche Bewusstsein dafür geschärft, dass Hassparolen für Japan ein Problem darstellen.

Erste positive Effekte sind spürbar. Dieses Jahr hat beispielsweise die Stadt Kawasaki, südlich von Tokio, Richtlinien aufgestellt, anhand derer Verantwortliche die Nutzung öffentlicher Einrichtungen für Veranstaltungen verbieten können, auf denen voraussichtlich Hassreden gehalten werden. Japan hat sich, wenn auch nur zögerlich, auf den Weg gemacht, dem tief verwurzelten Rassismus im Land etwas entgegenzusetzen.

Aus dem Englischen von Christiane Özmen-Flor