Das ärmste Land, das reichste Land

In Gottes Namen

Warum es nicht der Glaube ist, der Christen und Muslime in der Zentralafrikanischen Republik trennt

Christen, Muslime, Animisten, Zeugen Jehovas und Baháí: In der Zentralafrikanischen Republik lebten Menschen vieler Glaubensgemeinschaften in friedlicher Eintracht nebeneinander. Bis sich im Dezember 2012 mit dem Ausbruch der Krise alles änderte. Internationale Medien deuteten die Situation als interkonfessionellem Konflikt zwischen Muslimen und Christen. Aber das ist ein fehlgeleiteter Blick auf eine äußerst komplexe Situation. Um die Hintergründe zu verstehen, muss man genauerer hinschauen.

Es heißt, dass der Islam im 17. Jahrhundert im Gebiet der heutigen Zentralafrikanischen Republik in Erscheinung getreten ist. Ein mächtiger Kriegsherr namens Rabbah, der aus dem Gebiet des heutigen Sudan stammte, eroberte zahlreiche Dörfer mit Waffengewalt. Die Menschen hingen damals animistischen Religionen an und wurden zu einem Großteil zum Islam bekehrt. Die Ankunft des Christentums geht erst auf das Jahr 1894 zurück. Zu jener Zeit breiteten sich fremde Religionen schnell aus, besonders der Katholizismus und der Protestantismus wurde den Völkern des ubangischen Sprachraums als einzig legitime Art, Gott zu verehren, aufgezwungen. Dieser religiöse Zweig der Kolonialisierung bildete eine Art Vorhut der Kolonialherren und bereitete die Bevölkerung darauf vor, die spätere französische Herrschaft zu akzeptieren. Wenn sie dies täten, so wurde ihnen eingebläut, würde ihnen im Himmel reicher Lohn zuteilwerden.

Aktuellen Statistiken zufolge sind 51 Prozent der Bevölkerung der ZAR heute Protestanten, 29 Prozent Katholiken und zehn Prozent Muslime, die übrigen zehn Prozent folgen anderen Religionen. Man kann Christen und Muslime meist an der Kleidung oder an bestimmten Berufen unterscheiden: Viele Muslime sind zum Beispiel Händler oder Rinderzüchter. Doch bis 2002 gab es keinerlei Unfrieden zwischen den Religionen in Zentralafrika. Die gesetzlich festgeschriebene Religionsfreiheit ermöglichte es, dass die verschiedenen Gemeinschaften in Harmonie miteinander lebten. Abgesehen von den Zeugen Jehovas, gegenüber denen ein Großteil der Bevölkerung Vorurteile hegte, stand die Gesellschaft sonst im Zeichen einer Laizismus, die zur Selbstverständlichkeit geworden war.

Doch mit der Machtübernahme von Michel Djotodia am 15. März 2003 entstand eine fundamentale Spaltung der Bevölkerung in zwei gegensätzliche religiöse Gruppen, Christen und Muslime. Diese Unterscheidung basierte auf der politischen und sozialen Zugehörigkeit und entwickelte plötzlich enorme Sprengkraft. Ein Name, der in diesem Kontext traurige Berühmtheit erlangte und für willkürliche Gewalt steht, ist Séléka. So bezeichnet sich ein Bündnis aus überwiegend muslimischen Kämpfern, die die Gräueltaten für das Regime von Michel Djotodia verübt haben. Djotodia hatte zahlreiche Söldner rekrutiert, um an die Macht zu gelangen. Viele von ihnen verhielten sich wie Berufsverbrecher, was zum schlechten Ruf der Séléka beitrug. Unter Djotodia wurden Mord, Folter und Vergewaltigungen banalisierte, alltägliche Ereignisse.

Als sich eine Selbstverteidigungsbewegung namens »Anti-Balaka« bildete, wurde ihnen automatisch das Etikett »christlich« verpasst, als Gegensatz zu den muslimischen Séléka. Dabei finden sich in beiden Gruppen Angehörige beider Religionen. Welch offensichtliche Manipulation! Auf diese Weise wurden Zusammenstöße innerhalb der Gemeinschaft als Teil einer Krise bewertet, die eigentlich keinerlei religiösen Gehalt erkennen ließ. Verstärkt durch die westliche Presse hat sich die politische Krise Zentralafrikas seit dem Dezember 2005 zu einem pseudoreligiösen Konflikt entwickelt.

Viele Zentralafrikaner haben sich in diesem System der sozialen Brüche eingerichtet. Manche nutzten die unsichere Situation aus, um die Reichtümer des eigenen Landes zu plündern. Während der neun Monate, in denen die Séléka an der Macht waren, wurden wöchentlich Lastwagenladungen voller Baumstämme und Elefantenstoßzähne nach Südwesten transportiert, in Richtung Tschad. Kurzum: Einige wenige durchtriebene Leute nutzten den Kriegszustand, um ihre Geldgier zu befriedigen.

Im Dezember 2012 machten sich die Séléka-Rebellen auf den Marsch nach Bangui. Entlang ihrer gesamten Marschroute plünderten sie systematisch Kirchen, Moscheen hingegen blieben verschont. Der Verzehr von Schweinefleisch wurde verboten. So wurde die Absicht deutlich, die Zentralafrikanische Republik unter dem Deckmantel eines Staatsstreichs zu islamisieren. Allerdings war es keineswegs so, dass die muslimische Bevölkerung von den Séléka profitierte. Auch die muslimischen Kaufleute mussten ihnen Schutzgeld bezahlen oder Rinder an sie abtreten. Als die Séléka im Januar 2013 schließlich entmachtet wurden, sollte das Land zwischen Christen im Süden und Muslimen im Norden aufgeteilt werden. Heute noch ist es so, dass wir in segregierten Nachbarschaften wohnen und viele Muslime in Flüchtlingscamps leben, die sie nicht verlassen. Seit dieser Zeit herrscht Misstrauen zwischen Nicht-Muslimen und Muslimen, man verdächtigt und fürchtet einander. Der soziale Zusammenhalt, der zuvor zwischen den beiden Gemeinschaften geherrscht hatte, besteht nicht mehr; an seine Stelle getreten ist eine Spirale aus Provokationen, Vergewaltigungen, gebrandschatzten Dörfern, Entführungen und Hinrichtungen in Selbstjustiz.

In dieser Situation haben die drei Anführer der größten Konfessionen beschlossen, sich zusammenzutun, um der Nation eine starke Botschaft zu senden, eine Botschaft der Einigkeit und der Versöhnung. Der katholische Kardinal Dieudonné Nzapalainga, Pastor Nicolas Guerekoyamè Gbangou von der Evangelischen Allianz Zentralafrikas und Oumar Kobine Layame als Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft haben die interreligiöse Plattform Zentralafrikas (Plateforme des Confessions Religieuses de Centrafrique, PCRC) gegründet. Gemeinsam zeigen sie, dass es kein religiöser Konflikt ist, unter dessen Auswirkungen wir heute noch leiden, sondern die Politik extremistischer Gruppen. Sie gehen mit dem Beispiel voran, das auch mit unterschiedlichem Glauben zusammengearbeitet werden kann. Interreligiöser Dialog beruht auf dem Recht zur Verschiedenheit und dem Respekt voreinander.

Extremisten schlagen immer wieder überraschend zu und versuchen, den Konflikt erneut anzufachen, indem sie Unschuldige entführen und ermorden. Wir bezeichnen sie als Feinde des Friedens in der Zentralafrikanischen Republik. Darum ist der interreligiöse Dialog so wichtig: Er ist das beste Mittel gegen die Manipulation durch die politischmilitärischen Gruppierungen, wenn sie die Religionskarte ausspielen wollen, um die Macht im Staat an sich zu reißen. Man muss den religiösen Pluralismus anerkennen, denn nur dann können alle Menschen gleichberechtigt sein.

In Zentralafrika scheint das Recht des Stärkeren häufig über die Vernunft zu triumphieren. Darum ist es nicht verwunderlich, dass jeder Diskurs über Gewaltfreiheit, Frieden und Gerechtigkeit den Anschein erweckt, eine Waffe der Schwachen zu sein. Dieses Gefühl wird dadurch verstärkt, dass manche Landsleute, die an Ausschreitungen im Rahmen des Konflikts beteiligt waren und Familien ihrer Angehörigen beraubt haben, dafür sogar mit wichtigen politischen Positionen in den Ministerien belohnt wurden. Lösungsansätze werden oft von außen auferlegt und von Interessen diktiert. Die zentralafrikanischen Vermittler scheinen von politischem Kalkül und ihrem Überlebensinstinkt angetrieben zu werden und haben es deshalb nicht eilig, Frieden zu schaffen. Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern auch, ist die Politik die mit Abstand beste Einnahmequelle. Sehr wenige Vereinbarungen haben zu guten Ergebnissen geführt. Manche Verhandlungen, wie jene von Libreville im Januar 2013, hatten einen Staatsstreich zur Folge. Dies alles führt dazu, dass sich die Kluft zwischen dem echten Wunsch der Bevölkerung nach Frieden und der skandalösen Gleichgültigkeit der politischen Entscheidungsträger gegenüber den wahren Problemen dieser Zeit vergrößert.

Dennoch kann es ohne die Hilfe der Politik keinen Frieden geben. Deshalb müssen wir als Bewohner Zentralafrikas unsere Auffassung von Macht ändern. Es reicht nicht mehr, dass wir die Männer an der Spitze unseres Landes austauschen. Wir müssen für ein Verständnis von Macht als einem Dienst an der Allgemeinheit werben. Dieser Dienst muss natürlich angemessen bezahlt werden, dafür müssen aber die Interessen des Volkes und der Respekt vor dem Gemeinwohl an erster Stelle stehen. Wir brauchen eine Politik, die für die Werte von Demokratie und Menschenrechten eintritt und gegen jede Form von Straffreiheit und Willkür ankämpft. Der Friedensprozess in Zentralafrika ist komplex und kann nicht allein Aufgabe der Politiker sein. Jeder einzelne Zentralafrikaner muss mithelfen. Nur dann kann Frieden mehr sein als ein leeres Wort. 

Mitarbeit von Albert Mbaya
Aus dem Französischen von Caroline Härdter