Das ärmste Land, das reichste Land

„Diamanten finanzieren Kalaschnikows“

Für den Ökonomen James Shikwati spiegeln sich in der Zentralafrikanischen Republik die Probleme eines ganzen Kontinents. Im Interview erklärt er, warum es für das Land trotzdem Hoffnung gibt 

Herr Shikwati, in der Zentralafrikanischen Republik kämpfen seit Jahren mehr als ein Dutzend bewaffnete Gruppierungen gegeneinander. Viele von ihnen finanzieren sich über Geschäfte mit sogenannten Blutdiamanten. Sind die Edelsteine der Kern allen Übels?

Der Diamantenhandel ist sicher nicht das einzige Problem, aber daran lässt sich sehr gut verdeutlichen, was in der Zentralafrikanischen Republik im Argen liegt. Gäbe es einen legalen Weg, auf dem die Edelsteine abgebaut und in die Nachbarstaaten oder ins Ausland verkauft werden könnten, dann wären sie ein Segen für die Menschen. Doch in einem instabilen Staat sind sie ein Fluch. Wo Händler und Konzerne dem Land zu Reichtum verhelfen könnten, da kämpfen stattdessen bewaffnete Gruppen um Abbaugebiete und finanzieren mit Rohdiamanten neue Kalaschnikows. Daran hat auch der im Jahr 2000 eingeführte Kimberly-Prozess nicht viel geändert, der den Handel mit sogenannten Blutdiamanten auf Bestreben der internationalen Gemeinschaft hin eigentlich erschweren sollte. Im Grunde genommen ist es so, dass sich in der Zentralafrikanischen Republik das Schicksal des gesamten afrikanischen Kontinents widerspiegelt.

Inwiefern?

Wo rein theoretisch Reichtum herrschen müsste, findet sich in Wahrheit oft Armut. In der Zentralafrikanischen Republik gibt es, genauso wie in weiten Teilen Afrikas, unvorstellbare Bodenschätze. Aber wie so oft sickert der Profit aus den mit ihnen verbundenen Geschäften nicht bis zu den Ärmsten durch. Ein paar wenige Leute profitieren, der Rest hungert. Und nicht nur Rebellengruppen, sondern auch Staatsbeamte bereichern sich. Vielleicht nicht mehr so offensichtlich wie in den 1970er-Jahren, als Diktator Jean- Bédel Bokassa in der Öffentlichkeit noch mit einer diamantenbesetzen Krone auftrat, aber hinter den Kulissen.

 Kurz gesagt, die Eliten sind schuld?

Nicht unbedingt. Es geht es nicht nur darum, dass sich korrupte Minister und brandschatzende Rebellenführer den Reichtum des Landes unter den Nagel reißen, sondern auch um strukturelle Gegebenheiten. Rein handelspolitisch gesehen befindet sich die Zentralafrikanische Republik nämlich trotz aller Ressourcen in einer unvorteilhaften Situation. Erstens hat das Land keinen Zugang zum Meer. Und zweitens ist es Teil des afrikanischen Kontinents. Das ist ein doppeltes wirtschaftliches Handicap: Jeder Export – egal ob Diamant oder Baumwolle – muss erst kostspielig über die Nachbarstaaten ausgeführt werden und wird dann nochmals mit internationalen, zum Beispiel europäischen oder amerikanischen Zöllen belegt. Stärker abgeschottet vom Welthandel kann ein Staat kaum sein.

Dazu kommt die Gewalt, die auch nach dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2014 in weiten Teilen des Landes noch weiter schwelt. Gibt es angesichts dieser Lage überhaupt Hoffnung auf positive Veränderungen?

Einen Funken Hoffnung gibt es immer. Im Fall der Zentralafrikanischen Republik liegt er darin, dass die Misere des Landes kein natürliches Phänomen ist. Das Land ist nicht arm, weil es keine Ressourcen hat, sondern es ist arm, obwohl es Ressourcen hat. Alles deutet also darauf hin, dass die momentane Situation menschengemacht ist. Und wo Menschen am Werk sind, da kann man auch Veränderungen bewirken.

Wie könnten diese aussehen?

Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern wird es in Zukunft vor allem darum gehen, Stabilität zu schaffen, um Märkte zu kreieren. Nur wo Steuern gezahlt werden und legaler Handel stattfindet, können Menschen aus der Armut geholt werden. Die Lösungen dafür müssen vom afrikanischen Kontinent selbst kommen, und im besten Fall von den angrenzenden Staaten wie Kamerun und dem Tschad. Sie sollten ein Interesse daran haben, dass ihr Nachbar stabil ist und wirtschaftlich gedeiht. Dass so eine Art der Nachbarschaftshilfe keine Utopie ist, sondern durchaus funktionieren kann, hat sich bereits in Westafrika gezeigt. Als Burkina Faso 2015 im Vorlauf der Präsidentschaftswahlen durch einen Putsch ins Chaos zu stürzen drohte, schalteten sich die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und die Afrikanische Union ein, um Schlimmeres zu verhindern. Mit Erfolg. Eine ähnliche Initiative sollte man auch in Hinblick auf die Situation in der Zentralafrikanischen Republik ergreifen.

Trauen Sie der Afrikanischen Union zu, die politische und wirtschaftliche Lage im Land nachhaltig zum Positiven zu verändern?

Das wäre vielleicht zu viel gesagt. Aber seit einigen Jahren darf man wieder optimistischer sein, was die politische Zusammenarbeit in Afrika angeht. Der Entschluss, mittelfristig eine afrikanische Freihandelszone anzustreben, wurde kürzlich von rund fünfzig Staaten unterzeichnet. Schritte wie dieser würden auch der Zentralafrikanischen Republik helfen, endlich auf dem kontinentalen Binnenmarkt Fuß zu fassen. Es ist durchaus möglich, dass die Staatengemeinschaft das Land langfristig stabilisieren kann.

Käme »dem Westen« dabei auch eine Rolle zu oder sollten sich nichtafrikanische Regierungen Ihrer Meinung nach gänzlich heraushalten?

Aufgrund der kolonialen Vergangenheit des Landes sollte sich »der Westen« tatsächlich zurückhalten. Die Zentralafrikanische Republik wird sich nie als eigenständiger, funktionierender Staat etablieren, solange der Schatten der ehemaligen Kolonialherren noch über dem Land schwebt. Ohnehin gibt es ja schon insofern eine europäische und amerikanische Einmischung, als über Entwicklungsgelder und Hilfsorganisationen humanitäre Hilfe geleistet wird.

Sie haben sich zu dieser Art der Einmischung in der Vergangenheit kritisch geäußert ...

Das stimmt. Das Problem ist, dass Hilfsorganisationen – ganz egal aus welchem Land sie kommen – meist nur Feuerwehrarbeit leisten können. Soll heißen: Sie löschen und löschen, aber sie haben kein Mandat, um die Probleme in den Griff zu bekommen, die den Brand in erster Linie befeuern. So ist es auch hier. In der Not helfen zu wollen, ist aller Ehren wert, aber in vielerlei Hinsicht verstetigt die Arbeit der westlichen Hilfsorganisationen den Konflikt eher. Solange sich niemand darum kümmert, die grundsätzlichen Themen anzugehen – den Diamantenhandel, die Entwaffnung verschiedener Rebellengruppen und den Aufbau der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Architektur des Landes –, so lange wird es auch keine nachhaltigen Lösungen geben. 

Das Interview führten Dilay Avci und Kai Schnier