Das ärmste Land, das reichste Land

Das Bürgerradio

Wer in der Zentralafrikanischen Republik kritisch berichtet, riskiert viel. Die Chefredakteurin von Radio Ndeke Luka erzählt

»Warum bringt Ihre Station keine religiösen Nachrichten?«, fragt mich der Mann, der per Telefon zugeschaltet ist, vorwurfsvoll. »Weil wir laut unserer Satzung kein konfessionelles Radio sind«, antworte ich ruhig. Als Chefredakteurin von RADIO NDEKE LUKA, einem der wenigen auf Nachrichten fokussierten Radiosender in der Zentralafrikanischen Republik, bin ich kritische Nachfragen wie diese gewohnt.

Um hierzulande Radio zu machen, muss man eine dicke Haut haben und den Menschen zuhören. In unserer Sendung »Für Jugendliche von Jugendlichen« schicken wir regelmäßig einen jungen Redakteur in die Vororte, um über die Sorgen seiner Altersgenossen zu berichten. Er befragt Schülerinnen und Schüler, junge Straßenverkäufer und andere Altersgenossen zu den Problemen in ihrer Nachbarschaft. Wenn irgendwo die Mülltonnen überquellen, sich in einem Viertel der Dreck häuft oder die Straßen kaputt sind, wissen wir so immer schnell Bescheid.

Sobald wir dann ein paar Tage später eine entsprechende Reportage senden, tauchen in den betroffenen Vierteln kurz darauf die Mitarbeiter der zuständigen Behörden auf und kümmern sich um die Probleme. Sie würden natürlich niemals zugeben, dass sie nur wegen unserer Berichterstattung gekommen sind. Aber wir wissen es besser. Ohne mediale Aufmerksamkeit würde gar nichts passieren.

Viele Beamte und Politiker beäugen uns kritisch. Sie wissen, dass wir von der Schweizer Stiftung Hirondelle mitfinanziert werden, die sich für glaubwürdigen Journalismus starkmacht. Ihnen ist also klar, dass man unsere Berichterstat tung deshalb nicht kaufen kann. Das ist Leuten, die die Medien kontrollieren wollen, natürlich ein Dorn im Auge.

Weil wir nah an den Menschen sind und uns für sie einsetzen, sind die Menschen auch nah an uns dran. Nachbarn, Waisenkinder und selbst Soldaten schauen in unserer Redaktion vorbei, um uns mit Neuigkeiten aus der Stadt auf dem Laufenden zu halten. Sie erzählen uns, wo es Unfälle gegeben hat, wo Gewalttaten verübt wurden oder welche Neuigkeiten es in den jeweiligen Bezirken gibt. Es kommen auch Schüler, die davon berichten, wie sie im Unterricht von Lehrern geschlagen wurden, und junge Frauen, die über Missbrauch sprechen. In diesen Fällen versuchen wir, unser Publikum aufzuklären. Am nächsten Tag verweisen wir dann etwa auf die Arbeit von Frauenrechtsorganisationen oder erklären, warum es nicht rechtens ist, Kinder zu schlagen, und wie Erziehung besser funktionieren kann. In einem Land, in dem rund zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung nicht des Lesens mächtig sind, kommt Radiosendern besonders viel Verantwortung zu.

2013 haben wir das als Redaktion am eigenen Leib erfahren. Damals wurde unser Büro von den Séléka-Rebellen gestürmt, die sich kurz zuvor an die Macht geputscht hatten. Sie legten ihre Waffen vor uns auf die Tische, während draußen noch Schüsse fielen, und schleppten die leblosen Körper ihrer gefallenen Kameraden durch die Tür, so als wollten sie uns etwas beweisen. Dann mussten wir ihre Anführer interviewen. Wir sollten ihre Botschaften verbreiten. Das war bisher die gefährlichste Situation, die wir als Redaktion erlebt haben.

Auch heutzutage ist es nicht ungefährlich, in der Zentralafrikanischen Republik glaubwürdige Nachrichten zu produzieren. Aus bestimmten Regionen des Landes können wir nur unregelmäßig berichten, weil wir das Leben unserer Mitarbeiter riskieren würden, wenn wir sie dorthin schickten. Stattdessen haben wir verlässliche Informanten in den jeweiligen Provinzen. Sie erzählen uns, was dort vor sich geht und wo gerade gekämpft wird. Informationssicherheit können wir nur insofern garantieren, als wir versuchen, mehrere Quellen zu befragen und ihre Zeugenberichte abzugleichen. Das ist besonders wichtig, weil Falschnachrichten in der Zentralafrikanischen Republik schlimme Folgen haben können. Wenn sich eine fehlerhafte Meldung per Mundpropaganda erst mal verbreitet hat, dann ist sie nicht mehr aufzuhalten. Das hat in der Vergangenheit auch schon zu handfesten Auseinandersetzungen geführt.

Obwohl Krieg herrscht, wollen die Menschen aber nicht nur ernsthafte Programme hören. Im Gegenteil: Sie sehnen sich nach leichterer Materie. Zurzeit hat unsere Sendung »Jetzt sind Sie dran!« die besten Einschaltquoten. Jeden Tag zwischen 11 und 13 Uhr rufen dabei Zuhörerinnen und Zuhörer direkt in der Redaktion an. Manche wollen Verwandte mit einer Nachricht überraschen, andere singen Geburtstagslieder für Freunde – und hin und wieder veranstalten wir auch eine Quizshow, bei der es Preise zu gewinnen gibt. 

Protokolliert von Stephanie von Hayek