Cracker und White Hat Hacker
Im Cyberspace wird um Macht und Einfluss gekämpft. Die Aufmerksamkeit gilt vor allem den russischen Hackern. Doch das Bild, das wir von ihnen haben, setzt sich zusammen aus Stereotypen und viel Fantasie
Die Vorstellung, die wir uns von etwas machen, verrät mehr über uns als über das, wovon wir uns eine Vorstellung machen. Ein Paradebeispiel dafür ist der russische Hacker. Seit Beginn der Untersuchungen zur Rolle Russlands bei der US-Präsidentschaftswahl von 2016 gilt ihm besondere Aufmerksamkeit. Hacker gelten generell als zwielichtige Gestalten, und russische besonders. Das mag faszinierend sein, aber das Bild, das die Politik von ihnen zeichnet, zumindest in den USA, ist bestenfalls naiv und schlimmstenfalls gefährlich. Es wimmelt nur so von peinlichen Stereotypen und Fehldarstellungen.
Der Begriff »Hacker« ist nicht einmal die richtige Bezeichnung für Computerexperten, die sich in böser Absicht in andere Computer hacken. Ursprünglich wurde er in den 1950er-Jahren von einer kleinen Gruppe Computerenthusiasten aus dem Umfeld des MIT eingeführt. Sie wollten sich mit ihren kreativen und verspielten Lösungen für Computerprobleme abheben von jenen Fachleuten, die sich selbst zu ernst nahmen.
Kriminelle Hacker werden Cracker oder Black Hat Hacker genannt. Allerdings stehen die Medien vor dem Problem, dass sie über jemanden berichten sollen, der möglichst im Verborgenen bleibt. In der englischsprachigen Presse tauchen Hacker oft maskiert auf: Mal sind sie eine strategische Kampftruppe aus einer Elite von Computergenies, mal gelangweilte männliche Teenager, die in ganzen »Fabriken« mit »Fake News« schnelles Geld machen wollen. Da es an Beweisen mangelt – Beweise dafür, dass von Russland lancierte Posts auf Facebook die Wahl beeinflusst haben, sind verschwindend gering –, verortet unser ängstlicher Geist den Hacker am dunklen Ende der Graustufen: als zwielichtige Figur, die sich auf isolierte Inseln im Darknet davonstiehlt. Der sprichwörtliche Hacker schlägt auf Geheiß seines bösen Strippenziehers zu und unterwandert dabei mit jedem seiner Schachzüge Wahrheit, Freiheit und Demokratie. Erst wenn der Cyberangriff in der Öffentlichkeit ausgeleuchtet wird, finden sich Hinweise dafür, dass doch ein guter Hacker am Werk gewesen sein muss.
Die Karikatur des russischen Hackers ist eine Mischung aus stereotypen, finsteren Figuren, die seit Langem mit Russland in Verbindung gebracht werden: einem Kopfgeldjäger aus einem Western, einem russischen Spion aus dem Kalten Krieg und einem antidemokratischen Partisanen. Als intelligenter Techie, jung, weiß, männlich – wahrscheinlich libertär und entweder mit autistischen Zügen oder wütend – gilt der Hacker als Kopfgeldjäger des 21. Jahrhunderts, der bereitwillig und zu jedem beliebigen Zweck misshandelt, einschüchtert, erpresst und mit Druck und Gewalt vorgeht. Die Vorurteile gegen russische Hacker verschmelzen fast mit denen, die die Alt-Right-Bewegung pflegt. Aus dem amerikanischen Western ist auch der Black Hat entlehnt – die Bezeichnung für gar nicht wohlmeinende Hacker –, wenn auch im Fall Russlands der Western in den Fernen Osten verfrachtet wird und der Feind in den sibirischen Weiten sitzt.
Natürlich gibt es »Brutstätten« von Cybersicherheits-Supermächten und Hackern auf der ganzen Welt (aus den Vereinigten Staaten, China, Israel und Großbritannien kommen regelmäßig Sicherheitsbedenken bezüglich Nordkorea und Iran). Aber dass die russischen Hacker im Zentrum der aktuellen politischen Diskussion stehen, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Den Sowjets war es nicht gelungen, auf dem Höhepunkt des technischen Wettlaufs im Kalten Krieg erste digitale Computernetzwerke aufzubauen. Es scheint, die russischen Hacker seien heute umso mehr beteiligt am Rennen um die Kolonialisierung und die finanzielle Nutzung der zwei vielleicht wichtigsten Grenzen, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetstaates und der Verbreitung des Internets in den 1990er-Jahren entstanden sind: dem Cyberspace und den postsowjetischen Wirtschaftsräumen.
Jetzt, da es keine Gebiete mehr gibt, die Cyber-Supermächte unter sich aufteilen können, durchkämmen die Pioniere des 21. Jahrhunderts die zaunlosen Weiten von Cybersicherheit und Kapital der Hochfinanz: Wie Michael Lewis in seinem Buch »Flash Boys« schreibt, konnten sich in der Sowjetunion ausgebildete Programmierer an die Spitze des Finanzsektors vorarbeiten, weil sie das Programmieren auf Papier lernen mussten und nicht den Luxus hatten, mit üppigen Rechnerressourcen experimentieren zu können. Das zwang sie zu Eleganz beim Coding. Der Mangel an leistungsfähigen Computerprozessoren (und nicht deren Überfluss) bewirkte, dass ihre Fähigkeiten den Kalten Krieg überdauern konnten.
Vielleicht unterscheidet sich das Bild vom russischen Spitzenhacker nur durch den Mangel an Sexappeal vom Image eines James Bond, obwohl es eigentlich nicht schwerfällt, sich einen gutaussehenden Bonvivant-Nerd vorzustellen, der Fallen aus Charisma und Code aufstellt. Solche Bilder säen neue Angst vor alten Feinden aus dem Kalten Krieg, in einer für das digitale Zeitalter aktualisierten Version.
Natürlich gibt es politisch motiviertes Hacking, und das sollte uns Sorgen machen. Gerade deswegen sollten Geschichten jedoch präziser erzählt werden: Trump ist, allem Anschein nach, ein Symptom erheblicher politischer Rückschritte. Und die meisten seiner zufälligen Verbündeten stehen für ebendas – Rückschritte. Das sollte seinen Kritikern ein Warnzeichen sein. Denn es ist brandgefährlich, jemanden derart zum Feind zu stilisieren, dass unsere eigentlichen Probleme im Vergleich dazu aus dem Blick geraten. Ein aktuelles Beispiel: Legitime Sicherheitsbedenken wegen gekaperter Router wurden sofort beiseitegeschoben, als vor Kurzem das Gerücht aufkam, amerikanische Zuschauer würden infolge manipulierter Online-Bewertungen bestimmte Hollywood-Filme gar nicht erst ansehen. Dieser Mechanismus charakterisiert das aktuelle Medienumfeld gut. Die Bedenken der amerikanischen Linken können durch die Verbreitung falscher Beschuldigungen ebenso geschwächt werden wie durch das falsche Eingeständnis, die Russen hätten sich eingemischt.
Wir brauchen ein neues Bild vom russischen Hacker. Die folgenden zehn Vorschläge helfen möglicherweise, das bisherige Bild geradezurücken:
1. Nicht alle »russischen Hacker« sind Russen – nur einige leben in Russland, und die Diaspora russischsprachiger Experten für Informationstechnologie ist global. Hingegen besteht kein Grund anzunehmen, dass alle böswilligen Attacken von russischen Staatsbürgern ausgehen. »Hacker mit Unterstützung Russlands« wäre der präzisere Vorwurf.
2. Nicht alle »russischen Hacker« sind Black Hat Hacker – oder in anderen Worten: Die große Mehrheit der selbst ernannten Hacker wird nicht böswillig oder gar kriminell. Die Mehrheit der Hacker ist schlicht und einfach davon überzeugt, dass ihre Hacks – etwa das Debuggen von Systemen, ohne sie zu zerstören – die Welt verbessern. Die Mehrheit der Cybersicherheitsexperten stimmen dem zu – sie sind zumeist sogar selbst Hacker dieser Sorte.
3. Schon der Ausdruck »alle russischen Hacker« ist irreführend. Falsche Accounts, gefälschte Profile, Spuren, die ins Nichts führen, Pseudonyme und Anonymität machen alle Versuche, sie zu zählen, sinnlos.
4. Nicht alle »russischen Hacker« stehen hinter einer Partei – es ist viel wahrscheinlicher, dass die meisten angeben würden, von Geld, Spaß und der intellektuellen Herausforderung motiviert zu sein. Diejenigen, die Wahlen stören, sind wahrscheinlich Auftragshacker. Wenn es eine Ideologie unter Hackern gibt, dann wohl die, dass es in der Technologie keine weiteren Ideologien gibt. Das stimmt natürlich nicht. Aber es ist nicht falscher als die Annahme, alle Hacker seien parteiisch.
5. Nicht alle »russischen Hacker« sind gegen Demokratie oder ein politisches System – tatsächlich würden nur wenige solche simplen politischen Positionen vertreten. Wie die technischen Eliten vor ihnen, etwa die sowjetischen Kybernetiker, über die ich in meinem neuesten Buch berichte, ist die weltweite Klasse der IT-Elite in den unterschiedlichsten Komplikationen, Kompromissen und Widersprüchlichkeiten zu Hause, die mit dem Betrieb politischer Systeme einhergehen. Nicht zuletzt sollte der Hacking-Skandal der US-Wahl 2016 uns in Erinnerung rufen, dass Technologie politisch und Politik technologisch ist.
6. Nicht alle »russischen Hacker« sind ein Spiegelbild der Alt-Right-Bewegung. Tatsächlich streiten sich Wissenschaftler und Kommentatoren seit Langem, ob die amerikanischen Rechten mehr von russischen Traditionen, wie Ethnonationalismus, Rassismus und Homophobie, gelernt haben oder ob es andersherum war. Klar ist aber, dass russische Hacker als Gruppe zunächst für nichts davon stehen.
7. Kein »russischer Hacker« ist wie ein Spion aus dem Kalten Krieg, der lediglich mit Technologie aus dem 21. Jahrhundert ausgestattet ist: Nur bestimmte Gruppen und Cybersicherheitsservices sind dem russischen Staat mehr als vertraglich verpflichtet. Selbst dann unterscheiden sich die erklärten Ziele und die Praxis des russischen Ölstaats sowie dessen oligarchische Interessen grundlegend von denen des sowjetischen Sozialismus.
8. Nicht alle »russischen Hacker« sind wütende junge weiße Männer. Eine Minderheit, und zwar eine kleine, identifiziert sich als weiblich; die große Mehrheit ist vermutlich jünger als 45 Jahre; und ethnische Minderheiten sind in der russischsprachigen globalen Hacker-Diaspora eher über- als unterrepräsentiert.
9. Nicht alle »russischen Hacker« können nach Cowboymanier in die Kategorien White Hat Hacker, die »Guten«, und Black Hat Hacker, den »Bösen« eingeteilt werden. Es gibt auch eine große Zahl Grey Hat Hacker, die die Schwächen des Systems feststellen und dann entscheiden, ob sie die Informationen mit den entsprechenden Kanälen teilen oder eine Lösegeldforderung stellen.
10. Nicht alle »russischen Hacker« sind Genies; Fehler gibt es zuhauf. Die Lehren aus den Fehlern könnten ein erster Schritt sein, intelligentere, vernünftigere Geschichten über die Welt des russischen Hackings zu schreiben.
Die russische Technologiekompetenz ist nichts Neues. Sie ist nur fast in Vergessenheit geraten. Das globale Cybernetz ist viel komplizierter zu beschreiben und involviert viel mehr Akteure, als man es sich allgemein vorstellt. In der Theorie geht es sogar um noch viel mehr: Hacking ist der Kulminationspunkt und zugleich der Widerspruch technischer Freiheit. Jeder, der über die entsprechenden Fähigkeiten verfügt, kann fast jedes vernetzte Gebiet auf der Erde beeinflussen. Und die Effekte eines solchen Hackings können sich summieren zur kompletten Kompromittierung jeder Person oder jedes Gegenstands im Internet. Es ist an uns, die Grundlagen dafür zu legen, dass in Bezug auf die internationale aufstrebende technische Klasse, die wir als russische Hacker bezeichnen, die Grenzen zwischen Fantasie und Realität klar nachvollziehbar werden.
In der Natur der Hacker liegt es, dass sie in den Geschichten über sich unsichtbar bleiben. Es ist wichtig, dass wir uns ein Bild von ihnen machen, das über die Faszination an Intrigen und Verschwörungen hinausgeht.
Aus dem Englischen von Christiane Özmen-Flor