In eigenen Händen
Die NGO Ketaaketi geht neue Wege in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie setzt auf Autonomie und Eigeninitiative der Menschen in den Partnerländern

Projektleiter Yembeh Mansaray zeigt Anneli-Sofia Räcker von der NGO Ketaaketi die Ergebnisse der Mikrofinanzierung: Frauen in Sierra Leone haben Waren für ihren Dorfladen gekauft
Foto: Albert Rohloff
Nepal, 2006. Die Bremer Psychotherapeutin Anneli-Sofia Räcker macht eine Reise. In der Hauptstadt Kathmandu trifft sie auf der Straße ein bettelndes Mädchen. Räcker fragt, was sie von dem Geld kaufen würde. »Ein Englisch-Wörterbuch«, antwortet die Kleine. Räcker kauft es ihr. Kurz darauf lernt sie Rajesh Regmi kennen, der in einer Garage eine Slum-Schule aufbaut. Die Motivation der beiden Menschen wirkte wie ein Startschuss, sagt Räcker heute.
Seit 14 Jahren leitet Räcker die Organisation Ketaaketi (zu Deutsch: »Kinder«), für die in Deutschland 25 ehrenamtliche Mitarbeitende und 220 Mitglieder aktiv sind. Ketaaketi setzt sich für Entwicklungs- und Bildungschancen für Kinder ein, bislang in Nepal, Sierra Leone und Burundi. Ein konsequent partnerschaftliches Modell der Entwicklungszusammenarbeit, sagt Räcker. 2019 erhielt sie für ihre Arbeit das Bundesverdienstkreuz.
Die NGO kämpft gegen das Bild des großzügigen Gebers auf der einen und des Bittstellers auf der anderen Seite
Denn das Prinzip ist einzigartig: Ketaaketi initiiert die Gründung von landeseigenen, autonomen NGOs. Diese wählen Frauengruppen in einzelnen Dörfern aus, die eine zinsfreie Mikrofinanzierung von hundert Euro pro Person erhalten, die als Existenzanschub wirken soll. Die Frauen kaufen Ziegen, Saatgut oder andere Waren, je nach lokalem Kontext und Bedarf. In Workshops lernen sie, damit zu wirtschaften. Ist der Kredit später zurückgezahlt, fließt die Summe ins nächste Dorf. Mit wenig Geld erreicht Ketaaketi so immer mehr Menschen, ohne sich in kulturspezifische Arbeitsweisen einzumischen. Die einzige Bedingung: Wer teilnimmt, muss seine Kinder zur Schule schicken. Mehr als 2.000 Familien profitierten bislang von diesem System. In Sierra Leone, wo Ketaaketi seit rund zwei Jahren aktiv ist, stehen bereits 25 Dörfer auf einer Warteliste für die Mikrofinanzierung. Auch Solidarität werde gestärkt, sagt Räcker: unter den Teilnehmerinnen, die das Geld weitergeben, und unter den Projektleitern, die sich länderübergreifend unterstützen.
Durch die Corona-Pandemie gebe es aber nun Probleme, erzählt der Projektleiter Rajesh Regmi aus Nepal. Seit Wochen könne man kaum das Haus verlassen, die Slum-Schule sei geschlossen. Mit der Mikrofinanzierung kauft man nun Nähmaschinen, um Gesichtsmasken und Schuluniformen zu nähen. Wie alle Projektleiter arbeitet Regmi unentgeltlich, neben seinem eigentlichen Job bei einem Reiseunternehmen. Für Anneli-Sofia Räcker hat das Prinzip. Sie wählt bewusst Projektleiter aus, die sich bereits jahrelang in ihrer Heimat sozial engagiert haben. »Wir setzen selbstbestimmtes und ressourcenorientiertes Handeln voraus«, sagt sie. Nur so könne der Respekt vor der Expertise und der Kreativität der Menschen vor Ort gewahrt werden.
Ketaaketi kämpft gegen das Bild des großzügigen Gebers auf der einen und des Bittstellers auf der anderen Seite. »Wir hören von diesen Menschen nur, wenn es Katastrophen gibt, wenn man helfen kann«, bemängelt Räcker. »Das Potenzial dieser Länder wird nirgendwo erwähnt.« Anstatt Abhängigkeiten zu schaffen, müsse man eine Lobby für die ärmsten Länder aufbauen, sagt sie, sonst sei Entwicklungszusammenarbeit eben keine »Zusammenarbeit«.