„Wandel findet in den Metropolen statt“
Das Globale Bürgermeisterparlament soll die Politik revolutionieren. Die Vorsitzende Patricia de Lille erklärt das Projekt
Frau de Lille, Sie sind nicht nur die regierende Bürgermeisterin von Kapstadt, sondern auch die designierte Vorsitzende des Globalen Bürgermeisterparlaments, das in diesem Jahr gegründet werden soll. Was hat es damit auf sich?
Das Bürgermeisterparlament geht auf einen Vorschlag zurück, den der amerikanische Politologe Benjamin Barber mit seinem Buch »If Mayors Ruled the World« angestoßen hat. Ihm ging es darum, die Expertise der Städte in einem politischen Organ zusammenzuführen. Damit hat er bei mir und vielen meiner Kolleginnen und Kollegen offene Türen eingerannt. Bereits im letzten Jahr gab es ein Vorbereitungstreffen in Den Haag. Seitdem ist die Zahl derer, die bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments im norwegischen Stavanger im September dabei sein wollen, ständig gestiegen.
Bisher stehen sechzig Städte auf der Mitgliedsliste, darunter Amman, Kandahar, Los Angeles und Seoul. Was können diese Metropolen voneinander lernen?
Auch wenn unsere Städte verschieden aussehen, ähneln sich die Probleme, die uns Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern tagtäglich begegnen, enorm. Überall, wo Millionen von Menschen auf engstem Raum zusammenleben, geht es schlussendlich um die gleichen Dinge: um soziale Gerechtigkeit, Infrastruktur, Migration, Integration und urbane Entwicklung. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Klimawandel. Wie integriert man Grünflächen am klügsten in das Stadtbild, welche Straße sollte man am besten in eine Fußgängerzone umwandeln, wie verringert man Emissionen in Metropolregionen? Das sind Fragen, die dem Bürgermeister von Kuala Lumpur genauso auf dem Herzen liegen wie seinem Kollegen aus Buenos Aires – und das Bürgermeisterparlament wird sie zusammen an einen Tisch bringen.
Wie oft wird das Parlament tagen und was sind die Ziele, die Sie sich gesteckt haben?
Wir werden uns voraussichtlich einmal im Jahr treffen, um wichtige Themenfelder und Kooperationsmöglichkeiten abzustecken. Grundsätzlich wird es anfangs darum gehen, so viele Städte wie möglich zu vernetzen und Expertenausschüsse für einzelne Problemfelder zu schaffen. Nehmen wir das Beispiel Infrastruktur: In Kapstadt führen wir gerade als erste afrikanische Stadt elektronische Busse in den Nahverkehr ein. Warum sollten andere Städte auf der Welt nicht von unseren Erfahrungen profitieren? Wenn die Pläne für so ein Projekt von uns schon entworfen wurden, dann sollte man anderswo nicht wieder von null anfangen müssen. Ich schaue mich auch selbst ständig nach neuen Ideen um. Wussten Sie, dass in schwedischen Städten aus Müll und Abwasser massenweise Biogas gewonnen wird? Darüber habe ich erst vor Kurzem mit meiner Kollegin Karin Wanngård aus Stockholm geredet. So ein Austausch muss im Grunde genommen viel öfter stattfinden.
Kann man das Bürgermeisterparlament nicht auch als einen direkten Angriff auf die Souveränität nationaler Regierungen verstehen?
Wir sind unseren Regierungen keine Rechenschaft schuldig, wenn es darum geht, über Grenzen hinweg zu kooperieren. Was stimmt, ist, dass wir mit dem Parlament ein Zeichen setzen möchten. Unseren Bürgern geben wir zu verstehen, dass wir uns um ihre Zukunft sorgen und uns um sie kümmern wollen. Und der nationalen Politik signalisieren wir, dass echter Wandel nicht in den Konferenzräumen der Vereinten Nationen oder der G20 stattfinden kann, sondern nur in den Metropolen.
Im Jahr 2050 werden voraussichtlich siebzig Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Zentren leben. Wer also künftig Maßnahmen beschließt, die in den Städten nicht umgesetzt werden können, der macht leere Politik. Landesregierungen können zwar Entwicklungsziele und Klimakonventionen beschließen, aber im Endeffekt müssen ihre Entscheidungen mit den Gegebenheiten und Möglichkeiten in den Städten kompatibel sein. Als etwa 2015 das Übereinkommen von Paris unterzeichnet wurde, da waren es nicht die anwesenden Staatsoberhäupter, die sich mit den Konsequenzen des Vertrags auseinandersetzen mussten, sondern wir. Selbst die globalsten Fragen können am Ende auf der lokalen Ebene umgesetzt werden.
Das Interview führte Kai Schnier