Von Dhaka nach Transsilvanien

Zwei Wochen lang reiste unsere Autorin aus Bangladesch quer durch Europa: ein Blick in ihr Reisetagebuch

Berlin

Die erste Station auf meinem Europatrip ist Berlin. Ein gefährliches Pflaster, wenn man noch nie etwas von Radwegen gehört hat. Bei meinem Spaziergang zum Brandenburger Tor werde ich beinahe überfahren. Auch weil ich abgelenkt bin: Ich beobachte erstaunt einen Mann, der Flaschen einsammelt. Später erklärt mir ein Freund, dass man Leergut in Deutschland gegen Geld tauschen kann. Das ist keine schlechte Idee – genauso wie die bunten Tonnen für die Mülltrennung. Das Recycling scheint es den Deutschen angetan zu haben. Ich fahre vom Checkpoint Charlie Richtung Kreuzberg und dann nach Neukölln. Wie riesig Berlin ist! Kaum zu glauben, dass es in Deutschland noch so viele andere Großstädte gibt. In Bangladesch kommt nach der Hauptstadt Dhaka lange nichts. 

Auschwitz

Der Zweite Weltkrieg ist in bengalischen Schulen nicht wirklich Thema. Was ich weiß, stammt aus Filmen wie „Schindlers Liste“ und „Das Tagebuch der Anne Frank“. Ein Grund mehr, Auschwitz zu besuchen, auch wenn ich viel Respekt davor habe. In den Räumen, in denen das Hab und Gut der Holocaust-Opfer ausgestellt ist – Brillen, Schuhe, Uhren – dreht sich mir der Magen um. Gleichzeitig imponiert mir die Erinnerungskultur, die hier in Europa praktiziert wird. Schon in Berlin sind mir die vielen kleinen Gedenktafeln im Boden, die Stolpersteine, aufgefallen. Auch in Bangladesch gibt es Mahnmale zum Völkermord an den Bengalen von 1971, bei dem Millionen von Menschen von den pakistanischen Streitkräften umgebracht wurden. Viele wurden damals in Gefängnisse gesteckt und gefoltert, aber richtig aufgearbeitet wurden die Ereignisse bis heute nicht. 

Granada

Es ist Mitternacht, als ich in Granada ankomme. Sei spontan, Samia, hatte ich mir vorher gesagt und kein Hotel gebucht. Das rächt sich jetzt. Mein Handy ist leer, der Busbahnhof ist verlassen. Ich schlafe ein paar Stunden auf einer Parkbank. Doch am nächsten Tag ist das alles schon wieder vergessen. In einem kleinen, gemütlichen Hostel treffe ich ein paar Backpacker. Wir spielen Karten, erkunden zusammen die Straßen und Gassen. Später besuche ich die Stadtburg Alhambra. Schon auf dem Weg dorthin sehe ich die alten maurischen Mauern und Türme. Was für ein Ort! Unglaublich, dass ich hier, auf der anderen Seite der Welt, einen Teil muslimischer Geschichte bewundern kann.

Wien

Weinberge, Weihnachtsmärkte und Museen – das verbinde ich mit der österreichischen Hauptstadt. Nicht, dass ich schon einmal hier gewesen wäre, aber so kenne ich Wien aus John Irvings Romanen. Jetzt ist es echt und tatsächlich fast wie im Buch, nur viel teurer als erwartet. Die Verwirklichung meiner Fantasie, einmal ganz aristokratisch Kaffee und Kuchen in einem Wiener Kaffeehaus zu bestellen, strapaziert meine Reisekasse. Draußen auf der Straße bin ich immer wieder davon überrascht, dass mir niemand nachruft. In Dhaka muss man als Frau in der Öffentlichkeit viele übergriffige Sprüche über sich ergehen lassen. In Europa passiert mir das seltener.

Bukarest

Die letzte Station: Rumänien. Bukarest schont den Geldbeutel, weil ich hier bei Andrei übernachten kann. Ich habe ihn vor Jahren in einem Online-Chat kennengelernt. Das Treffen am Bahnhof ist unsere erste echte Begegnung, seine Stimme zu hören ist schon ein bisschen komisch. Am nächtsten Tag führt mich Andrei mit seiner Freundin durch die Stadt. Bukarest überrascht mich positiv: Ich hatte graue Sowjet-Architektur erwartet, dabei gibt es an jeder Ecke eine Bar, überall wird Musik gespielt. Am Wochenende mache ich noch einen Ausflug nach Transsilvanien. Durch historische Städtchen wie Sighișoara zu spazieren, inspiriert mich beinahe dazu, einen Stift zur Hand zu nehmen und ein Gedicht zu schreiben. Wie europäisch von mir!

Aus dem Englischen von Kai Schnier