Russland

„Ich erhalte bis heute Todesdrohungen“

Bill Browder kam als Großinvestor nach Russland, er deckte Korruptionsfälle auf. Heute gilt er als Gefahr für die nationale Sicherheit

Sie fassten 1989, kurz vor dem Ende der Sowjetunion, den Plan, der „größte Kapitalist in Osteuropa“ zu werden. Als Hedgefonds-Manager in Russland schafften Sie das auch. War das Geldverdienen reiner Selbstzweck?

Geld war nie das Ziel. Geld war der Maßstab, um zu sehen, ob ich gut in dem war, was ich tat. Ich komme aus einer Familie unglaublich erfolgreicher Menschen. Mein Vater war einer der Top-Mathematiker in Amerika, mein Bruder ist Teilchenphysiker, mein Onkel war ebenfalls Spitzenmathematiker. Und mein Großvater war Vorsitzender der Kommunistischen Partei der USA. Ich fühlte also den starken Drang, etwas Großartiges zu leisten. Mein Antrieb war nicht Geld, sondern Erfolg. Und Erfolg wurde in Geld gemessen.

Wie haben Sie die Geschäftswelt in Russland erlebt?

Der Beste hat in Russland nie gewonnen. Das System war nicht ineffizient, es war einfach korrupt. Korruptionsfälle in der westlichen Welt sind harmlos verglichen mit Russland. In Russland sind Parlamentsmitglieder an Diebstählen von Hunderten Millionen Dollar aus der Staatskasse beteiligt.

Wie navigiert man als Geschäftsmann in einem solchen System?

Es gibt zwei Möglichkeiten in Russland: Man kann entweder Teil der Korruption sein und damit gegen die Gesetze im Westen verstoßen. Oder man kann sich wie ich gegen die Korruption wehren und versuchen, diese zu stoppen. Damit verstößt man gegen die informellen Gesetze Russlands. Und dann wirft man dich am Ende aus dem Land, bringt dich ins Gefängnis oder tötet dich.

Sie haben sich mit Oligarchen angelegt und wurden vom willkommenen Investor zu einer „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Als Sie anfingen, Korruptionsfälle bekanntzumachen, waren Sie sich des persönlichen Risikos bewusst, das Sie eingingen?

Ich war nicht gut darin, die Situation einzuschätzen. Bis es zu spät war und ich am Moskauer Flughafen festgehalten wurde. In diesem Moment verstand ich, dass ich zu weit gegangen war. (Browder wurde am 13. November 2005 an der Einreise nach Russland gehindert und des Landes verwiesen, Anm. d. Red.) Ich werde oft gefragt: Du bist ein schlauer Typ, warum hast du es nicht früher gemerkt? Die Antwort ist: Um nach Russland zu gehen, musste ich meine Risiko-Antennen abnehmen. Denn würde man über alle Risiken nachdenken, die mit einem Umzug nach Russland verbunden sind, würde man nicht nach Russland ziehen.

Wie haben sich die Bedingungen dort im Laufe der Zeit verändert?

Als ich 1992 zum ersten Mal nach Russland kam, gab es eine eher unorganisierte Korruption. Menschen nutzten Situationen opportunistisch aus. Damit konnte man umgehen. Das Problem, mit dem ich nicht umgehen konnte, war dann die organisierte Korruption auf der höchsten Ebene der russischen Regierung. Organisiert in einer Weise, dass die Polizei, die die Korruption eigentlich stoppen sollte, sich am meisten daran beteiligte.

Sie selbst wurden der Steuerhinterziehung beschuldigt, das Büro ihrer Firma wurde von russischen Behörden durchsucht. Sie schildern in Ihrem Buch, wie Ihr russischer Steueranwalt Sergej Magnitski Steuerbetrug unter Staatsbediensteten aufdeckte. Im November 2008 wurde er verhaftet. Hatten Sie damals Hoffnung, dass er bald freikommen würde?

Ich dachte, sie würden ihn für sechs Jahre im Gefängnis behalten. Und ich zermarterte mir das Hirn, wie ich es wiedergutmachen könnte, dass er – weil er als mein Anwalt Korruption aufgedeckt hatte – sechs Jahre seines Lebens ans Gefängnis verlieren würde. Ich hatte keine Ahnung, dass es mit seinem Tod enden würde.

Magnitski starb 2009. Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie ihm im Gefängnis medizinische Hilfe verweigert, wie er geprügelt und mit Handschellen ans Bettgestell gefesselt wurde. Wie fanden Sie heraus, was im Gefängnis geschehen war?

Sergej schrieb während seiner 358 Tage in Haft 450 Beschwerden. Er beschrieb die Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren waren. Ungefähr einmal im Monat traf er seinen Anwalt und überreichte ihm einen großen Stapel dieser Beschwerden.

Was passierte dann?

Der Anwalt reichte sie in seinem Namen ein, die russische Regierung ignorierte sie oder wies sie zurück. Aber wir erhielten Kopien und damit detaillierte Berichte über das, was mit ihm passierte. Nach Sergejs Tod begannen wir, rechtlich gegen die russische Regierung vorzugehen. In den Gerichten und im Rechtswesen geht es sehr bürokratisch zu. Wir fanden schließlich eine große Zahl von Dokumenten, in denen Mitarbeiter der Behörden sehr kritisch betrachteten, was die russischen Behörden in ihrer eigenen Sammlung von Dokumenten taten. Wir hatten also Sergejs Aussagen und die Beweise von der Regierung selbst, die diese Aussagen bekräftigten.

Am 14. Dezember 2012 unterzeichnete US-Präsident Obama den „Magnitsky Act“, ein Gesetz, das Sanktionen für russische Beamte verhängte, die in den Tod Ihres Anwalts verwickelt sein sollen. Vermögen wurden eingefroren, die Einreise in die USA verboten. Was war entscheidend, um dieses Gesetz durchzusetzen?

Es funktionierte, weil die Geschichte so biblisch böse war und so gut dokumentiert. Die Leute in Washington reagierten sehr emotional. Niemand aber möchte seinen Kopf hinhalten auf Grundlage einer Geschichte. Sie möchten Beweise sehen. Und die boten wir ihnen. Wenn man einen Senator in Washington fragen würde: Warum unterstützten Sie diesen „Magnitsky Act“? Dann wäre die Antwort: Weil der Fall so gut dokumentiert ist.

Sie nennen die Verantwortlichen hinter dem Tod Magnitskis die „russischen Unberührbaren“. Warum?

Sie fühlten sich unberührbar in Russland. Aber weil diese Menschen dort Straftaten verübten und dann ihr Geld in der ganzen Welt ausgaben und investierten, waren sie berührbar. Darum geht es gerade bei den Sanktionen des „Magnitsky Act“. Wir hatten die Idee, sie da zu treffen, wo wir sie treffen konnten: bei ihrem Geld und ihren Reisen.

Ihr Buch „Red Notice. Wie ich Putins Staatsfeind Nr.1 wurde“ liest sich stellenweise wie ein Thriller. Was hat Sie zu diesem Stil bewogen?

Als ich mich für den „Magnitsky Act“ einsetzte, lernte ich, dass eine gut erzählte Geschichte die Welt verändern kann. Als ich Sergejs Geschichte in Washington und Brüssel erzählte, erreichte ich damit, dass ein Gesetz verabschiedet wurde, was sehr ungewöhnlich war. Ich wollte die Geschichte in meinem Buch so erzählen, dass die Menschen von ihr berührt würden. Es war schmerzhaft für mich, dieses Buch zu schreiben, weil ich traumatische Erfahrungen neu durchleben musste.

Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Die Russen wollen auf keinen Fall, dass es uns gelingt, die europäischen Regierungen davon zu überzeugen, den „Magnitsky Act“ auf Europa auszuweiten. Sie reisen viel mehr nach Europa als nach Amerika. Also wollen sie erreichen, dass ich weg vom Fenster bin. Am liebsten würden sie mich ausliefern lassen. Bis heute erhalte ich Todesdrohungen.

Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Nun, ich lebe ein anderes Leben als Sie. Ich muss Sicherheitsvorkehrungen treffen, über die ich nicht sprechen kann.

Bis auf eine – Ihr Buch. Glauben Sie, dass es Sie schützen wird?

Ich nenne darin viele Namen (unter anderem  Mitarbeiter des russischen Innenministeriums, Anm.d.Red.) Wenn mir etwas zustößt, weiß man genau, wo man suchen muss. Und das wissen sie auch. Ich bin sicher, sie würden mich sehr gerne umbringen, wenn sie wüssten, dass sie damit davonkommen könnten.

Das Interview führte Carmen Eller