Verhandlungskünstler
Mit seinem Handbuch der Diplomatie will Paul Widmer das erste deutschsprachige Standardwerk zum Thema vorlegen
Der mythologische Ahnherr der Diplomatie ist Hermes. Der Götterbote hatte einst für das Wohl der Diplomaten zu sorgen, aber auch für das der Alchemisten und Diebe. So kamen Diplomaten bisweilen in den Ruf, einen eher fragwürdigen Charakter zu haben. Vielleicht erklärt dies den Mangel an seriöser Literatur zu ihrem Handwerk. Ein praktisches Handbuch zu den Arbeitsfeldern und -methoden der Diplomaten im 21. Jahrhundert gibt es im deutschsprachigen Raum bis heute nicht. Paul Widmer, gelernter Historiker und ehemaliger Schweizer Botschafter, tritt nun an, diese Lücke zu füllen.
In „Diplomatie. Ein Handbuch“ zeichnet er die Geschichte des Berufsstands von der Pharaonenzeit bis heute kenntnisreich nach, ohne sich in Details zu verlieren. Anhand praktischer Beispiele stellt er die Arbeitsweisen und Instrumente der bilateralen und multilateralen Diplomatie dar und hebt dabei besonders das Arbeitsmittel der Sprache hervor. In Bezug auf die charakterlichen Anforderungen an Diplomaten bemüht er sich, gegen Vorurteile anzugehen: Geschickte Argumentation und geschliffene Rhetorik sind zwar wichtig für Diplomaten, jedoch darf ein Ziel nie durch Verschleiern oder gar Lügen erreicht werden. Das höchste Gut des Diplomaten ist das Vertrauen des Gastlandes – und das kann dauerhaft nur durch Glaubwürdigkeit erlangt werden.
In einer vollständig globalisierten Welt stellt sich zudem unvermeidlich die Frage nach der Daseinsberechtigung der Diplomatie. Können politische Verhandlungen mittlerweile nicht per Videokonferenz direkt aus den Hauptstädten geführt werden? Wer braucht im Zeitalter des Internets noch Botschaftsdepeschen? Die Diplomatie wird sich wandeln müssen, mehr noch als in der Vergangenheit. Aber wahr ist auch: Totgesagt wurde die Diplomatie schon oft – bei der Erfindung des Telegrafen, des Telefons, des Fernsehers. Dennoch gibt es heute mehr Auslandsvertreter und Auslandsvertreterinnen als je zuvor. Die Untergangsprediger übersehen, dass sich die Berufsanforderungen ausgeweitet haben: Reisende gelangen in jeden Winkel des Planeten, Missionen werden zu Serviceeinheiten für Wirtschaftsunternehmen und mit der Demokratisierung der Öffentlichkeiten hat auch die PR-Arbeit in den Botschaften zugenommen.
Seine Anziehungskraft hat der Beruf des Diplomaten ohnehin nicht verloren. Paul Widmers Buch vermag es, seinen Leserinnen und Lesern – Laien, Studenten und diplomatischen Aspiranten – viel von dieser Faszination zu vermitteln. Auch für Praktiker ist das Handbuch ein nützliches Nachschlagewerk, selbst wenn die eidgenössische Herkunft des Autors sich in einer Schwerpunktsetzung niedergeschlagen hat, die für deutsche Nutzer überraschend ist: Die Supranationalität der EU mit ihren tiefgreifenden Folgen für die Außenpolitik der Mitgliedsstaaten wird auf drei Seiten abgehandelt, während Themen mit Schweiz-Bezug, wie multilaterale Überprüfungsverfahren, deutlich mehr Raum einnehmen. Als gute Diplomaten nehmen wir dies jedoch als Ausdruck unterschiedlicher nationaler Traditionen in der Diplomatie langmütig zur Kenntnis – bereichert es doch nur unsere Perspektive und tut dem Gewinn bei der Lektüre keinen Abbruch.