„Klänge bewahren, bevor sie verschwinden“

Sein Leben lang nahm der Musikforscher Alan Lomax überall auf der Welt Musik auf. Ein Gespräch mit Don Fleming, der heute das Lomax-Tonarchiv verwaltet

Mit der Association for Cultural Equity haben Sie das riesige Ton- und Videoarchiv des Gründers Alan Lomax digitalisiert. Was ist auf den Tonaufnahmen zu hören?

Die Aufnahmen reichen bis in die 1940er Jahre zurück. Alan nahm auf seinen Forschungsreisen in den USA und auf der ganzen Welt lokale, traditionelle Musik auf. Er sprach mit den Musikern über die Herkunft der Musik und über ihr eigenes Leben. Oft machte er Aufnahmen auf Veranden und man kann schreiende Hühner, bellende Hunde und knallende Türen hören. Die Tondokumente sind wie Fenster zum Klang der Zeit. Durch die Musik lernt man etwas über die Menschen und ihre Kultur, egal ob sie als Fischer arbeiteten oder auf dem Reisfeld.

Ungefähr 17.000 Field Recordings können sich Interessierte online anhören und anschauen. Wen wollen Sie mit der Sammlung erreichen?

Wir möchten besonders jene Menschen erreichen, die dort leben, wo die Musik entstand. Gemeinsam mit Partnern vor Ort organisieren wir Repatriierungsprojekte, in denen wir eine Woche lang die Musik und die Fotografien, die Alan früher dort gemacht hat, ausstellen. Wir arbeiten auch Unterrichtspläne für Lehrer aus, um das Wissen über die lokalen Traditionen weiterzugeben. Örtlichen Bibliotheken überreichen wir einen Bücherband mit Fotografien, CDs und DVDs der Aufnahmen und geben somit das archivierte kulturelle Erbe zurück. Letztes Jahr haben wir ein solches Projekt in Mississippi durchgeführt, bei dem wir das „Toasting“ zurückgebracht haben.

Was genau ist das?

„Toasting“ ist eine besondere Art des Storytelling, dessen Wurzeln zurück nach Afrika und in die Sklavenzeit in den USA reichen. Auf rhythmische Art und Weise erzählen Menschen Geschichten, die sie selbst erlebt haben, zum Beispiel über Afroamerikaner im Zweiten Weltkrieg. „Toasting“ ist also ein Vorreiter dessen, was wir heute Rap oder Hip-Hop nennen. Besonders junge Menschen können hier die Verbindung zwischen aktueller Musik und ihren Wurzeln herstellen.

Was bedeutet Klang für das kulturelle Gedächtnis?

Die Aufnahmen geben einmalige Einblicke in vergangene Lebenswelten. Wir können die wahren Stimmen der Menschen hören, was vor der Klangaufzeichnung nicht möglich war. Alan Lomax wollte die Klänge lokaler Traditionen bewahren, bevor sie verschwinden. Bevor das Radio aufkam, war es üblich, dass man zu Hause und bei der Arbeit sang. Es gab so etwas wie eine innere Stimme. Mit dem Radio verstummte sie und wurde von externen Stimmen dominiert. Klangaufzeichnungen erfordern Konzentration bei den Zuhörern und können Verbindungen zwischen ihrer Gegenwart und der Vergangenheit aufzeigen. Sie sind eine Art lebendiges kollektives Gedächtnis.

Wie reagieren die Menschen, denen Sie Klänge aus ihrem Heimatort zurückbringen?

Meistens begeistert. Wir möchten den Menschen zeigen, dass sie stolz darauf sein können, was sie hervorgebracht haben. Gleichzeitig freuen sich die Leute sehr, dass das kulturelle Erbe ihrer Heimat geschätzt wird. Auch Musiker werden von dem Klangmaterial inspiriert. Manche möchten eigene Versionen der Lieder machen oder Samples für ihre Musik verwenden. In digitalisierten Zeiten klingen diese Aufnahmen einfach echter, weil sie nun einmal echter sind (lacht).

Das Interview führte Fabian Ebeling