Iraner erzählen von Iran

Die Überwachung des Körpers

Frauen in Iran sind in der Öffentlichkeit strengen Kleidungsvorschriften unterworfen. Die totale Durchsetzung des Hijab gestaltet sich für die Regierung jedoch oft schwierig

Die Pflicht zum Tragen des Hijab, also zur Bedeckung der Haare mit einem Tuch und der Verhüllung des Körpers mit langer weiter Kleidung, war bis zur vollständigen Etablierung der islamischen Regierung zu Beginn der 1980er-Jahre nicht im Programm der islamistischen Revolutionäre enthalten. Auch haben die Kriterien der Regierung in Bezug auf die Hijabpflicht nie den Weg ins Zivilgesetzbuch gefunden. Nicht einmal das vorgesehene Strafmaß für „Enthüllung“ ist klar definiert. Dennoch war es seit 1981, dem Jahr, in dem Frauen zum ersten Mal verwehrt wurde, sich ohne Hijab in der Öffentlichkeit zu zeigen, bis heute keiner Frau möglich, auch nur für ein paar Stunden unverschleiert in städtischen Gebieten auf die Straße zu gehen. Andererseits konnte die iranische Regierung die Utopie einer vollkommen verschleierten Gesellschaft aus zwei Gründen nicht realisieren.

Einen Grund kann man in der mangelnden Unterstützung der iranischen Gesellschaft für die Regierung sehen. Die Durchsetzung einer so strengen Verschleierung, wie sie zum Beispiel im offiziellen iranischen Fernsehen zu sehen ist, ist eine komplizierte Angelegenheit. Es müssten dann mehr als 32 Millionen Menschen, nämlich alle Frauen, die älter als neun Jahre sind, strengstens beaufsichtigt werden. Das ist für jede Regierung eine schwer zu bewältigende Aufgabe. Obwohl die iranische Regierung für die Durchsetzung der Zwangsverschleierung weder an finanziellen Mitteln gespart noch die Anwendung von Gewalt gescheut hat, ist sie doch gezwungen, einen Teil der Verantwortung an die Gesellschaft selbst zu übertragen.

Dabei ist allerdings nicht gewährleistet, dass die Menschen im Einklang mit den Forderungen der Regierung handeln. Die rigide Politik der Islamischen Republik hat dazu geführt, dass sie jeden Tag mehr Anhänger verliert. Doch obwohl die Gesellschaft nie vollständig mit den Forderungen der Regierung konform gewesen ist, hat sie sich niemals zum Kampf und Widerstand gegen die Hijabpflicht erhoben.

Ein weiterer Grund liegt in der Unfähigkeit, die Konventionen flächendeckend durch Ausübung von Gewalt durchzusetzen. Die staatliche Kontrolle in Iran erfolgt zentral, was bedeutet, dass sie vom Zentrum aus in Richtung Peripherie immer schwächer wird. Mit Zentrum sind hierbei die Städte und mit Peripherie die Dörfer und die übrigen nicht urbanen Gebiete wie Berge, Ausflugsorte und Skipisten gemeint.

Je größer die Bevölkerungsdichte in den Stadtzentren ist, umso mehr muss der Staat in die Kontrolle der Zwangsverschleierung, finanziell wie militärisch, investieren. Deshalb ist die Präsenz der Religionspolizei erstens weitgehend auf Großstädte und zweitens innerhalb dieser auf große Plätze in der Nähe von Stadtzentren begrenzt. Die Unfähigkeit der Regierung, die Peripherie zu kontrollieren, hat jedoch den Vorteil, dass die iranischen Frauen dort größere Freiheit in der Auswahl ihrer Kopfbedeckung genießen. Das bedeutet nicht, dass es eine vollkommene Freiheit wie zum Beispiel im Nachbarland Türkei gibt. Normalerweise wird jedoch die Bedeckung der Haare in entlegeneren Gebieten nicht obsessiv überwacht.

Weil die iranische Regierung bestrebt ist, ihre Macht zu demonstrieren und jede Frau überall zu kontrollieren versucht, schickt sie allerdings von Zeit zu Zeit Polizeitruppen an gut besuchte Ausflugs- und Freizeitorte und macht die begrenzte Freiheit der Frauen endgültig zunichte. Zum Beispiel hat die iranische Polizei kürzlich ein Projekt namens „Tarhe Darya“ („Projekt Meer“) initiiert, das im Gegensatz zu seinem zarten und romantischen Namen das Ziel hat, durch Polizeieinsätze an der Küste, vor allem der des Kaspischen Meeres, Frauen festzunehmen, die in den Augen der Ordnungshüter nicht korrekt verschleiert sind.

Es scheint, dass sich erst dann grundlegend etwas in Bezug auf den Hijab in Iran ändern wird, wenn die Gesellschaft es schafft, über ihre bloße Abneigung gegenüber den Forderungen der Regierung hinaus einen aktiven politischen Widerstand zu entwickeln und somit auch der Gewalt der Polizei in den Städten Einhalt zu gebieten.

Aus dem Persischen von Maryam Mameghanian-Prenzlow