„Angst vor dem Einfluss der Kunst“
Der Sänger und Dichter Parvaz Homay erzählt, warum er klassische iranische Musik mit zeitgenössischen Texten versieht und wie es ist, mit westlichen Musikern zu spielen
Herr Homay, in der klassischen iranischen Musik ist es üblich, die Lyrik großer Dichter wie Hafiz, Khayyam, Attar oder Rumi zu vertonen. Warum singen Sie eigene Texte?
Alle Iraner kennen diese Texte zur Genüge. Die Menschen brauchen heute aber eine Dichtkunst, die zeitgemäße Themen behandelt. Hinzu kommt, dass nicht alle eine 700 Jahre alte Literatur verstehen. Meine Sicht auf die Musik ist die eines klassischen Sängers, meine Sprache aber eine zeitgenössische.
Warum dürfen Sie in Iran nicht mehr öffentlich auftreten?
Zu Anfang meiner künstlerischen Tätigkeit gab es keine Probleme. Als ich bekannter wurde, hat sich das geändert. Immer häufiger wurden mir Konzertsäle nicht mehr vermietet und keine Genehmigungen für Auftritte mehr erteilt. Ab 2009 ging dann gar nichts mehr. Es gibt aber kein offizielles Verbot. Das läuft viel subtiler ab und trifft auch andere Musiker aus dem Genre der eigentlich erlaubten klassischen Musik. Offensichtlich haben die staatlichen Stellen Angst vor dem Einfluss, den populäre Künstler auf ihr Publikum ausüben könnten.
„Ich war da – in der Hölle ist es besser als im Paradies.“ Sind es solche Textzeilen, von denen sich fromme Menschen in Iran provoziert fühlen?
Ja, denn ich verwende gerne solche Formulierungen. Mir ist klar, dass ich damit manche Menschen gegen mich aufbringe. Sie denken, ich wäre gegen sie. Wenn ich mir ihre religiösen Regeln und Gesetze anschaue, kann ich das sogar verstehen.
Wie fühlt es sich an, sich im Ausland frei ausdrücken zu können, in der Heimat aber stumm bleiben zu müssen?
Es ist so, als hätte man die Sonne verloren und nur noch ein kleines Licht in der Hand. Selbst daran kann man sich wärmen, weiß aber nicht, wie lange das Öl dieses Licht noch leuchten lässt. Es wäre traurig, wenn es ausginge. Trotzdem bin ich ein eher positiv denkender Mensch.
Öffentliche Auftritte von Sängerinnen sind schon seit der Islamischen Revolution verboten, ausgenommen vor einem rein weiblichen Publikum. Glauben Sie, dass sich unter dem jetzigen Präsidenten Irans etwas daran ändern wird?
Es scheint so, als würde sich nach der Wahl von Hassan Rohani manches zum Besseren wenden. Dass sich aber etwas an der Situation der Sängerinnen ändern könnte, kann ich mir im Moment nicht vorstellen.
Rock- und Popmusik gelten in Iran als unislamisch. Trotzdem gibt es diese Musik. Können Sie etwas zu den Arbeitsbedingungen Ihrer Kollegen sagen?
Es sieht zurzeit so aus, als würde es leichter für sie werden. Tatsächlich werden immer mehr Auftritte genehmigt. Diese Art von Musik war bei den Iranern schon immer beliebt. Obwohl sie verboten war, fanden Konzerte im privaten Rahmen statt.
Sie geben viele Konzerte in Europa, den USA und in Kanada. Was macht den Unterschied zwischen iranischem und nicht iranischem Publikum aus?
Für Iraner musst du das singen, was sie hören möchten. Nichtiraner kommen meist aus Neugier. Da sie die Texte nicht verstehen, ist ihr Interesse überwiegend musikalischer Natur. Für mich ist es sehr interessant, auch vor diesem Publikum zu spielen.
Sie haben Stücke geschrieben, in denen die iranische mit der europäischen Klassik verwoben wird, und diese mit großen Symphonieorchestern aufgeführt. Worin lagen die Herausforderungen einer solchen Zusammenarbeit?
Im Alter von zwanzig Jahren habe ich am Musikkonservatorium in Teheran Klavierspielen gelernt und seitdem bin ich sehr mit der europäischen Musik vertraut. Meine erste Oper schrieb ich 2008. Als Vorlage diente mir „Moses und der Hirte“ von Rumi. Mit dem Arrangeur Shardad Rohani und dessen Orchester habe ich das Werk 2009 in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles uraufgeführt. Die Zusammenarbeit mit westlichen Kollegen finde ich sehr unkompliziert. Wenn die ihre Noten vorliegen haben, dann musizieren sie exakt nach diesen Vorgaben. Stimmungen und Gefühle spielen dabei eine weit geringere Rolle als bei traditionellen iranischen Musikern, die in der Regel ohne Noten spielen.
Das Interview führte Bernd G. Schmitz