Unterwerfung
Warum die Guatemalteken verlernt haben, ihre Wut auszudrücken
Gestern fuhr ich mit dem Bus durch Guatemala-Stadt. Als der Chauffeur zu einem waghalsigen Überholmanöver ansetzte, um an einem anderen Bus vorbeizuziehen, prallten wir fast gegen eine Straßenlaterne. Niemand sagte auch nur einen Ton. Nur ich habe mich leise beklagt. Mir fällt immer wieder auf, dass die Leute in Guatemala lieber stillhalten (oder höchstens nervös kichern) statt einfach mal zu sagen, was sie stört. Wenn sie sich aufregen, würden sich die Guatemalteken am liebsten verstecken, statt ihre Gefühle zu zeigen. Ihre Ausdruckslosigkeit rührt, denke ich, aus der Kolonialzeit - eine Vergangenheit voller Gewalt und Unterdrückung. Viele unserer Vorfahren erfuhren die Sklaverei. Nur wenige hatten die Macht inne und die Beziehung der anderen zu ihnen war immer eine Beziehung der Unterwerfung. Als Unterdrückter durfte man seine Gefühle nicht äußern.
Dies hat sich auf unsere Beziehungen untereinander übertragen. Auf die Kolonie folgte der ungerechte Feudalstaat, der grausame Bürgerkrieg und heute der Terror des organisierten Verbrechens und die Geschäfte der großen Konzerne, die sich unsere Rohstoffe unter den Nagel reißen. Wir sind von all dem eingeschüchtert und schweigen. Ich bin überzeugt, dass sich hinter unserer Ausdruckslosigkeit ein tiefes Gefühl der Wertlosigkeit verbirgt. Denn Gefühle zu zeigen, wird bei uns nicht an sich schlecht angesehen, wir können es nur einfach nicht. Die Unterwerfung unter eine Autorität, die über uns verfügt, steckt bis heute tief in uns drin. Nachdem wir mehrere Diktaturen durchlebt haben, haben wir uns daran gewöhnt, nur noch das zu tun, was uns unsere Anführer, der General, der Chef, der Bürgermeister oder der Lehrer erlauben.